Genealogische Datensammlung Kiening:
Reinhard Riepl stellte eine interessante Frage:
In einigen Pfarreien (z.B. in der Pfarrei Weidenwang in Mittelfranken) treten als Taufpaten Kinder auf, die nachweislich erst 7 bzw. 11 Jahre alt waren (wie sich aus weiteren Angaben zweifelsfrei ergibt). Das neugeborene Kind erhielt in allen mir dazu bekannten Fällen den Vornamen des Taufpaten.
Mich würde nun interessieren, ob jemand dazu etwas sagen kann, wie man die ganze Sache einordnen soll. Heutzutage gibt ein Taufpate ja den Eltern das Versprechen, sich um das Patenkind zu kümmern, falls den Eltern etwas zustoßen sollte. Weiß jemand, welche Funktion ein Taufpate früher hatte? Gehörte das auch zum Verständnis eines Taufpaten oder eher nicht? Waren bei den Kinder-Taufpaten deren Eltern die "eigentlichen" Taufpaten, die Kinder gaben aber nur den Namen für den Täufling? Könnten eventuell auch schon Heiratsabreden für später dabei eine Rolle gespielt haben?
Reinhard Riepl
Antwort von Josef Heinzelmann, Mainz:
Die Rolle der Paten ist in den Konfessionen und im Laufe der Jahrhunderte sehr unterschiedlich. Am besten liest man im "Dictionnaire du droit canonique" zu den katholischen Vorschriften nach. Oder in anderen theologischen Lexika (die freilich meist sehr vage daherreden.) Das Buch von Mitterauer hat diese fundamentalen Regeln nicht zur Kenntnis genommen.
Über die Fragen gibt ein sehr interessantes Buch Aufschluss: Agnès Fine, Parrains, marraines. La parenté spiritu-elle en Europe. Paris (Fayard, 1994). Es behandelt das Problem eher aus ethnologischer und soziologischer Sicht.
Erstaunlich die Praxis der geistlichen Verwandtschaft zwischen den Gevattern: den leiblichen Eltern und den Paten eines Kindes. Sie ist uns gänzlich aus dem Bewußtsein geschwunden. Auf Zypern nennt man kaladelphos (Schönen Bruder) den Sohn seines Paten, ähnliches bedeutet das Wort compère (Pate und Vater sind "Ge-vattern"). Wir sind nicht weit von der "Blutsbrüderschaft". Welche Rolle der "Pate" in patriarchalisch strukturierten Gesellschaften spielen kann, weiß man von der Mafia. Der "Compare politico" in Kalabrien ist der angesehene Mann im Ort, der oft viele hundert Patenkinder hat, die ihn mit ihren Familien wählen (S.132).
Die Gevatterschaft (compérage) hatte also ihre eigene Rolle in der "Verwandtschaft durch Vertrag", fast so bedeutend wie Ehe und Adoption. In vielen Regionen Europas hat die Wahl naher Verwandter als Paten die alten Bräuche verdrängt. Auf dem Balkan soll es noch heute Brauch sein, dass ein Ehepaar einen ? nicht verwandten ? Paten für alle seine Kinder wählt. (S. 125).
Ich kenne aus Bayern den auch sonst in katholischen süddeutschen Gegenden offensichtlich bis ins 19. Jahrhundert gepflegten Brauch, dass ein Ehepaar ein anderes zu Gevattern bat, der Mann hob dann alle Söhne, die Frau alle Töchter aus der Taufe. Auch daraus lässt sich für Genealogen zuweilen eine Hilfe gewinnen: Wenn etwa zwei Ehepaare Hans und Maria Mayr im selben Dorf wohnen, kann man die Taufen durch die Patennamen zuordnen. Wenn einer der beiden Paten starb, wurde sein Ehenachfahr auch sein Nachfolger als Pate. Dass in einem solchen Fall die Kinder ihre Namen nicht nach den Paten bekamen, ist selbstverständlich, sonst hätte es ja nur je einen Namen für alle Söhne und Töchter einer Familie gegeben.
(Anmerkung: Für mein Forschungsgebiet (Raum Dachau) trifft diese Version am häufigsten zu. Damit scheiden Kinder als Taufpaten aus. Falls es bei nicht verwandten "Gevatter-Familien" zu Heiraten zwischen den Kindern kam, braucht man nicht auf eine Heiratsabrede schon bei der Taufe schließen. Kiening)
Zwei konkrete Fragen will ich noch beantworten. Kinder als Pate: Ein Pate muss sich nicht um das Kind beim Tod der Eltern "kümmern", dafür gibt es Vormundschaft. Der Pate hat sich für die religiöse Entwicklung des Täuflings mitverantwortlich einzusetzen. Als ich mit 10 oder 11 Pate für einen Cousin wurde, erklärte mir der Pfarrer, dass es deshalb viel besser sei, Jugendliche zu Paten zu nehmen, als alte Leute, die nicht lange ihr Amt ausüben können.
Etwas anderes ist es bei Patenschaft in Vertretung. In Mainz wurde bei Verhinderung auswärtiger Paten immer ein Kind aus dem Waisenhaus genommen, damit es auch mal an einem Festschmaus teilnehmen konnte.
Josef Heinzelmann
Nachtrag von Reinhard Riepl :
Auch Zedler schreibt, teilweise langatmig und schwülstig, sehr ausführlich zu dem Thema, teilweise auch sehr interessant .
(Bei "Zedler" handelt es sich um folgendes Werk:
Zedler, J.H. (1732-1754). Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, Welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden. Halle u.a.: Archiv der Europäischen Lexikographie
Dieses großartige Werk ist online verfügbar:
http://mdz.bib-bvb.de/digbib/lexika/zedler/ )
Zedler bestätigt vor allem die Existenz der Kinder-Taufpaten und nennt auch das identische Motiv, das Heinzelmann beschrieben hat: Je jünger der Pate, desto länger kann sich der Pate um sein Patenkind kümmern.
Heinzelmann verneint dieses "Sich-Kümmern" - aber das ist der alte Streit zwischen Theorie und Praxis. Theoretisch hat Heinzelmann natürlich recht. Praktisch aber nicht. Dem "kleinen Mann" ist die Religionstheorie ziemlich wurscht - natürlich spielt und spielte da auch das "Sich-Kümmern" eine Rolle, da kann es überhaupt keinen Zweifel daran geben.
Zedler schreibt auch über die Taufzeugen: Ursprünglich gab es keine Tauf-Paten, sondern Tauf-Zeugen. Die bezeugten nämlich schlicht und einfach, daß dieses Menschlein ordentlich christlich getauft und damit in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen worden war. Bevor es Taufbücher gab, welche dieses schwarz auf weiß dokumentierten, hatte das natürlich seinen guten Sinn. Erst später entwickelten sich die Tauf-Zeugen dann zu Tauf-Paten - mit allen Funktionen, welche Heinzelmann treffend und präzise beschreibt, sowie dem sonstigen "weltlichen" Brimborium (Taufgeschenk etc.)
R. Riepl
(Anmerkung: Das scheint überwiegend auf evangelische Gebiete zu passen. Zedler war evangelisch.)
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(C) Josef Kiening, zum Anfang www.genealogie-kiening.de