Genealogische Datensammlung Kiening:

Katharina Schweizer, geborene Heiß, geboren 21.11.1906 in Hattenhofen, gestorben 30.10.1999 in Deggingen

aufgeschrieben im November 1989

unverändert abgetippt von Josef Kiening

Kindheits-Erinnerungen

Als 6. Kind von 10, 7 Mädchen und 3 Buben mußte ich schon viel arbeiten, zumal meine 2 Jahre ältere Schwester etwas kränklich war, da sie mit 2 Jahren die englische Krankheit bekam.

Meine 3 Jahre ältere Schwester mußte Sommer über zu einer Verwandten von der Mutter zum Kinder aufpassen, schon mit 9 Jahren, sagte die Mutter, ist sie dort gewesen. Dorthin mußte man 3 Stunden zu Fuß gehen. Mit der Mutter haben wir sie einmal besucht. Das nächste mal mußte ich allein hingehen. Ich hatte Angst, daß ich nicht hinfinde, weil man durch Fußwege abgekürzt hat. Da habe ich halt Rosenkranz gebetet. Dann mußte man ein Stück durch den Wald, von wo es hieß, daß sich da Zigeuner aufhalten, aber ich bin dann doch glücklich angekommen. Winter über war sie zu Hause, da gingen wir Kinder zusammen zum Tannenzapfen klauben. Zum Schlittenfahren sind wir auch, da hat sie mich mal ins Haus geschickt, bei der Mutter ein Messer holen, um eine Schnur abzuschneiden. Vor Freude bin ich gelaufen, auf Eis ausgerutscht und ins Messer gefallen, das hätte leicht ins Auge gehen können. Die Narbe sieht man heute noch neben der Nase. Einmal sagte sie, ich hab mein Messer verloren, schau bitte in der Schule nach, ob Du es findest. Wir hatten nur 2 Häuser weit in die Schule. Die Lehrerwohnung war Parterre, das Schulzimmer oben, alle 7 Klassen beisammen. Da rief der Lehrer, wer ist da droben, ja ich! Ich muß was suchen, da kam der Herr Lehrer herauf mit einer Petroleumlampe, aber nichts gefunden.

Das Elektrische wurde erst im 1. Weltkrieg eingerichtet. Da war ich 8 Jahre alt, als der 1. Weltkrieg ausbrach. Mein Vater brauchte Gott sei Dank nicht einrücken, er war doch schon 44 Jahre alt, vielleicht wurde er wegen der vielen Kinder nicht eingezogen, ich weiß es nicht. Da mußte ich viel Gejammer anhören. Einige alte arme Frauen warteten oft schon, bis die Mutter gemolken hatte. Sie ließ ja niemand leer gehen, wir hatten ja nur 3 Kühe. Wir Kinder mußten alles mögliche machen, auf den Feldern Ähren nachlesen, ich mußte auch Hamstern gehen für meine Tanten in der Stadt. Einmal mußte ich ein Paket zur Bahn bringen. Als ich gefragt wurde, was drinnen ist, sagte ich promt: Eier. Der Beamte sagte, das wird beschlagnahmt, dann mußte halt die Mutter selbst gehen und dies regeln.

Wir selbst brauchten nicht zu hungern. Milch und Kartoffeln hatten wir immer. Bei unserer Bahnstation war auch ein Gefangenenlager mit Russen, die mußten das Moor kultivieren, dann wurden Kartoffeln angebaut. Wenn abgeerntet war, mußte ich mit der Mutter und einem Schubkarren dorthin. Die Mutter hat nachgegraben, bis noch ein paar Kartoffeln herauskamen und ich mußte sie aufklauben.

Ich war nun die Ältere, die daheim war, mußte auf dem Feld mitarbeiten. Morgens früh vor der Schule mit dem Ochsen zum Kleeholen fahren, weil der Vater voraus ist zum mähen. Vater hatte es auch nicht leicht, neben der kleinen Landwirtschaft noch hinzuverdienen für wenig Geld. Er war ein strebsamer Mann, lernte Baumschneiden und war ein fortschrittlicher Mensch. Solange ich denken kann, hatte er einen Benzinmotor zum Gsodschneiden und dreschen.

Großmutter war über 30 Jahre Witwe. Großvater ist verunglückt, als er durchgehende Pferde aufhalten wollte. Nach ein paar Jahren übergab sie das Anwesen meinem Vater. Sie lebte dann im Austrag in einem Stübchen. Natürlich half sie noch mit, wo sie nur konnte, betreute uns Kinder, sammelte Pflanzen und Kräuter, trocknete sie für Apotheken. Zum Pilze sammeln nahm sie mich mit, da ich leichter unter die Büsche schlüpfen konnte.

Während dem 1. Krieg baute man auch Flachs an, das gab viel Arbeit, bis er zum Spinnen war. Meine Mutter hatte ein Spinnrad, die Großmutter konnte noch mit der Spindel spinnen. Das Garn konnte meine Mutter gegen fertiges Leinen umtauschen. Davon bekamen wir Mädchen. Ich habe heute noch die Tischdecke, hatte sie mit Rosen bestickt und Quasten außenrum gemacht. Habe sie nicht viel aufgelegt und ist noch wie neu.

Ein Backhäuschen hatten wir auch. Wenn das Brot gebacken war, gab die Mutter Birnen hinein zum dörren. Ich mußte dann hineinschlüpfen und sie herausklauben, da war es noch ganz schön warm drinnen. Später hat man die Brotlaibe auf langen Backbrettern zum Bäcker gebracht zum Backen. Oft kauften wir das Brot, weil wir das lieber mochten. Die Bäckerei war unser Nachbar, die Bäckin reichte uns öfter eine Semmel zum Küchenfenster heraus. Es war eine gute und tapfere Frau. Ihr Mann starb sehr früh, da backte sie alleine weiter, bis ihr ältester Sohn von der Lehre heimkam. Er war so alt wie ich.

Meine Brüder durften einen Beruf erlernen, bei uns Mädchen war es selbstverständlich, daß wir in Dienst gingen. Aber die Mutter lobte uns, daß sich nie eine beklagte. Wir hatten daheim ja auch nicht schöner, ich weiß noch, daß ich sagte, daß ich froh bin, wenn ich einmal fortkomme, meine zwei jüngeren Brüder haben mich viel geärgert. Ich kam im Ort zu einem Bauern an Lichtmeß, weil ich noch bis Mai in die Schule mußte. Hernach noch 3 Jahre in die Sonntagsschule. Sonntag nach der Kirche war Christenlehre, dann ging es bis 12 Uhr in die Schule. Zum Lernen hatte man da keine Zeit mehr. Es war mehr ein Familienbetrieb, 4 Söhne, 1 Tochter, 2 Mägde und ich. Drei Söhne waren im Krieg. Da hat man natürlich auch einen Unterschied gemacht zwischen uns. Anfangs mußte ich alleine schlafen oben am Flöz, das war nur ein Durchgang zum Speicher und zu den Zimmern im 1. Stock. Das bessere Pferdegeschirr war dort auch aufgehängt. Später dann, als die Tochter heiratete, kam ich in die Mägdekammer. Zu dritt in einer Kammer, das war unsere Behausung. Ich war für die Küche zuständig, Dirn und Mitterdirn für die Stallarbeit. Für die Pferde war ein Sohn zuständig. Deren Stall war extra, da war ein Verschlag für den Stallknecht, da mußte er auch schlafen.

Bulldog hatte man da noch nicht. Getreide wurde alles noch mit der Sense gemäht, da mußte ich mit meinen 13 und 14 Jahren auch mit zum Getreideaufheben. Ich mußte mit den anderen ebenso fast alles mitschaffen. Da gabs keine freie Stunde, nur Sonntag nachmittag, da ging man dann heim zur Mutter. Abends mußte man wieder da sein.

Nach 3 Jahren kam ich im gleichen Ort zu einem Gastwirt. Da war auch Landwirtschaft dabei, da war nur ein Knecht und eine Dirn und ich. Ich hatte wieder die Küche und das Haus zu versorgen, auch draußen mitzuarbeiten, auch manchmal mit den Pferden aufs Feld zu fahren. Etwas leichter war es schon als bei dem Bauern zuvor. Da blieb ich 1 Jahr. Es war der Brauch, daß die Leute unterm Jahr schauten, wen sie wieder einstellten.

Da kam vom Nachbarort eine Verwandte von der Mutter, ich soll zu ihr als Mitterdirn. Da konnte man wieder nicht nein sagen. Das was auch ein Bauernhof mit insgesamt 6 Dienstboten. Anfangs ging es, als aber die Heuernte kam, war ich mit meinen 16 Jahren total überfordert. Ich wurde krank, konnte die Finger nicht mehr abbiegen. Dafür mußte die Bäuern eine Zeitlang selbst mitmelken. Es wurde wieder besser und ich blieb, bis das Jahr um war. Ich sagte schon immer, wenn die Zeiten besser sind, gehe ich in die Stadt. In diesem Jahr war auch die Inflation, da war 1 Billion gleich 1 RM.

Wenn die Ernte eingebracht war, wurde es wieder ruhiger. Kirchweih war immer ein großes Fest. Es wurde meistens eine Sau geschlachtet. Da gab es viel zu essen und zu trinken und so manche Belustigung. Der Knecht machte ein Seil als Schaukel ans Stadeltor, dann sagte er zu mir, komm jetzt probieren wir es gleich einmal aus. Wir schutzten, ich sagte, jetzt sehe ich schon in die Dachrinne, aber oh weh, plumps lagen wir auf dem Misthaufen. Das alte Seil war gebrochen. Wenn es ins Stadelinnere gegangen wäre, wo die Heuwagen standen, hätte es schlimm ausgehen können.

Sonntag nachmittag mußte man 3/4 Stunden zu Fuß gehen, um heimzukommen. Fahrrad konnte man keines kaufen, man hatte kein Geld. Es gab wahrscheinlich nichts zu kaufen. Von der Bäuerin bekam ich ein paar Schnürschuhe, die zog ich später noch zum Bergsteigen an. Als ich in der Stadt war, konnte ich öfters mit meinen Geschwistern Sonntags in die Berge fahren. Der Bauer oder die Bäuerin fragten schon immer rechtzeitig, ob man wieder bleiben will. Ansonsten mußten sie sich wieder jemand suchen. Wenn man einen Dienst antrat, wurde man meistens mit Roß und Wagen abgeholt. Man brachte den Kleiderschrank selbst mit. So ging ich an Lichtmeß nach Hause und machte erst einmal 14 Tage Urlaub.

In München

Nun suchte ich mir in der Stadt eine Stelle. Meine 3 Jahre ältere Schwester half mir dabei, diese ging schon früher in die Stadt. Ich kam zu einer Familie, sie stammten aus Österreich. Der Herr war Hauptkassier in einer Bank, es waren 2 Kinder, 1 Bub und 1 Mädchen, da. Diese waren mir gegenüber ziemlich frei. Der Bub war der ältere, ein junger Gymnasiast, sagte er doch: Du Volksschülerin du, du bist in keine höhere Schule gegangen. Ich sagte darauf: Dumminasiast! Ich fand mich schnell zurecht in der Stadt. Ich mußte öfter ins ganz alte Viertel, für den Herrn Bücher tauschen. ansonsten gefiel es mir. Im Frühjahr ging die Stöberei los. Parkettböden abziehen mit Stahlspänen war schon eine ungewohnte Arbeit. Die Frau arbeitete auch überall mit, ich half ihr beim Kochen und räumte die Küche auf. Zum Brotholen hatte ich nicht weit, in der gleichen Straße ein paar Häuser weit. Da sagte die Bäckersfrau, daß ihr Mädchen heim müsse. Ich war 3 Monate in meiner ersten Stelle in der Stadt.

So kam ich also in die Bäckerei, da hatte ich dann gleich viel mehr Lohn, 25 Mark zum Anfang. Es waren schon ältere Leute, die Frau hatte Verständnis, weil sie, wie sie sagte, früher auch im Dienst war. Sie hatten zwei Töchter, da hat jede einen Beamten geheiratet. Die Frau versorgte den Laden schon viele viele Jahre, sagte sie, ohne einen Tag Urlaub. Ich mußte überall helfen: Küche und Zimmer, manchmal im Laden helfen. Morgens um 5 Uhr in die Backstube die Brezen in die Lauge tauchen, weil die als erstes in den Ofen kamen, die brauchten eine gute Hitze. Die wurden schon Nachmittag gemacht, da war ich auch dabei. Der Herr sagte einmal zu meiner Mutter: Brezen machen tut sie wie der Teifi. Die Backstube war damals noch im Keller. Der Backofen wurde mit Brikett geheizt. Beliefert wurde nur ein benachbartes Milchgeschäft, da brachte ich die Semmeln hin und die Milch, die zum Backen gebraucht wurde, nahm ich gleich mit heim. Damals wurde die Milch noch offen ausgeschenkt und fast alles wurde erst eingewogen beim Verkauf. Ausgang hatte ich Sonntag nachmittag und mußte um 9 Uhr zuhause sein. Da war in jeder Pfarrei ein Verein für Hausangestellte. Alle 14 Tage war Versammlung, der Präses hielt dann einen Vortrag über manch wissenswertes, es wurde gesungen und man durfte Fragen stellen. Ich bin auch öfter ins Gärtnerplatztheater, da war es Nachmittag im 4. Rang ganz billig. Im Fasching ging ich vielleicht ein- oder zweimal zum Ball mit Schwester und Schwager. Wenn zwei Feiertage waren, durfte ich heimfahren als Ersatz für den Urlaub. Ich war nun 6 Jahre dort, als sie das Geschäft aus Altersgründen verpachteten. Ich blieb dann noch 2 Jahre beim Nachfolger. 8 Jahre waren dann wirklich genug.

Ich war nur kurze Zeit daheim, da wurde meine 2 Jahre ältere Schwester krank, die bei einer Frau Baronin am Wörthsee in Stellung war. Dann kam ich für sie hin. Es war eine ältere Dame, sie hatte eine Gesellschafterin, wohnte in einem sehr schönen großen Haus mit Garten direkt am See. Sie hatte ein eigenes Boot, da kamen öfters meine Geschwister zum Kahnfahren. Da haben wir auf dem See gesungen und waren fröhlich.

Ich ging dann am gleichen Ort zu einer Familie, ein älteres Ehepaar, auch ein schönes Haus mit großem Garten. Im Winter wohnten sie in der Stadt. Im Sommer fuhr der Herr mit der Bahn nach München ins Büro. Die Frau arbeitete überall mit. Sie hatte einen ausgesprochenen Putzfimmel. Im Haus wurde jede Woche alles mit Fensterleder abgerieben, auch in Zimmern, wo sich niemand aufhielt. Im Garten wurde auch jede Woche aufgehackelt. Da lobte sie mich und sagte, ich könne einen Gärtner heiraten. Zu mir war sie sehr nett. Sie hatten auch ein Bootshaus am See. Da bin ich öfter Baden gegangen. Ich konnte zwar nur ein bißchen schwimmen, ich hatte es allein mit Schwimmgürtel in der Isar gelernt.

Meine jüngste Schwester kam zur Baronin. Sie war im Nähen sehr geschickt, konnte für die Baronin viel nähen und umändern. Für mich hat sie Kleider und sogar Mäntel gemacht. Es ist mir schon schwer gefallen, als ich dann im Sommer nach Hause mußte. Vater und Mutter waren über 60 und brauchten eine Hilfe, mein zweitjüngster Bruder hat auch viel geholfen.

Im Herbst ging ich wieder in die Stadt, durch Empfehlung kam ich zu einer Familie. Der Herr war Direktor in einem großen Baugeschäft. Zuerst war man im Zentrum in einer Wohnung, aber bald wurde ein Haus gebaut in einem Villenviertel. Es war auch ein großer Garten drum herum mit Obstbäumen, da wurde sogar gemostet. Ich konnte Obst essen, was ich wollte.

Sonntags ging ich gerne zu einer Tante, die eine Schwester vom Vater war. Sie war meine liebste Tante. Ihr Mann hatte eine Schreinerei in der Stadt. Hatten einen Sohn und eine Tochter, die war so alt wie ich, wir waren viel zusammen. Damals gabs die Bahnfahrten "Kraft durch Freude", da sind wir sehr oft miteinander ins Gebirge. In der Stelle bekam ich auch Urlaub, da fuhren meine 2 Jahre ältere Schwester und ich mit einem Omnibus in die Schweiz. Am Vierwaldstätter See in einem Hotel wohnten wir. Das ist schon eine Pracht, die Viertausender, schneebedeckte Berge vor sich. Ich habe selbst Fotoaufnahmen gemacht. Ich war 2 Jahre in der Stelle, dann kündigte ich. Sie wollten mich nicht weglassen, aber wenn ich mal was gesagt habe, dabei bleibts.

Ich suchte mir wieder eine Stelle mitten in der Stadt, da brauchte ich nicht mehr lange sein.

Heirat

Durch meine Schwester lernte ich einen 6 Jahre älteren Mann kennen, er war Witwer mit einem 6 Jahre alten Buben. Der 13. vor Weihnachten war mein Glückstag, da schrieb ich meiner Mutter: 's Christkind hat mir einen Bräutigam gebracht. Er hat auch, so lange er lebte, nie den 13. Dezember vergessen. Ich blieb noch einige Monate in Stellung. Dann zog ich in seine Wohnung und machte alles sauber. Er selbst kam nur Sonntags nach Hause. Seinen Buben hatte er bei seinen Eltern in Württemberg. Bis wir Ende August heirateten, fuhr ich meistens mit dem Rad nach Hause, um meinen Eltern bei der Ernte zu helfen.

Zur Hochzeit konnten nur ein paar Schwestern von mir kommen, da wir von seinem Chef eingeladen waren. Dieser war ein Vetter von seinem Vater, er stammte vom gleichen Ort (Deggingen) in Württemberg. Von da kamen früher die Stuckateure. Mein Mann, sein Vater, sein Großvater waren Stuckateure. Sein Großvater kam noch überall rum, wo damals Bahnhöfe gebaut wurden. Der Chef und sein ältester Sohn waren Trauzeugen. Vor der Kirche führte mich der Chef ein bißchen im Regen herum. Er sagte, ein Braut soll naß werden, dann wird sie reich. Hernach fuhren wir zum Fotografen, anschließend gleich zum Mittagessen beim Chef, es gab Gänsebraten. Ein Bekannter von meinem Mann fuhr uns ins Gebirge. In Rottach machten wir Kaffeepause, so einen guten Kuchen hatte ich noch nie, es war Cremeapfelkuchen. Als wir weiterfuhren, mußten wir das Auto anschieben, es sprang nur an, wenn es ein wenig abwärts ging.

Sonntag abend war die Hochzeitsreise schon beendet. Montag früh gleich wieder Auswärts fahren. Als Polier konnte er nicht lange wegbleiben. Ich selbst wurde von der Chefin auch gleich in Anspruch genommen. Wir wohnten im Mittelbau von seinen Häusern.

Im Herbst holten wir seinen Sepperl bei den Großeltern. Es war natürlich eine Umstellung für uns beide. Er sprach richtig schwäbisch, so verlangte er einmal Geseltsbrot. Ich wußte nicht, was das ist. Er sagte immer nur "a Gselts, a Gselts", bis ich endlich drauf kam, daß es Marmelade ist. Zur Schule wollte er auch nicht gleich, er sagte, draußen haben sie noch Herbstferien. Da lief er mit dem Schulranzen zur Chefin, bei der Tante suchte er Zuflucht. Es kam aber gleich von der Schule eine Mahnung.

Mit dem Lesen gab es auch Schwierigkeiten. Bei der Großmutter hieß es morgens "Ahn fang an", dann wußte er es schon auswendig. (Er konnte also den Text nicht lesen, sondern sagte ihn auswendig auf, wenn er den Anfang hörte.) Im Hause hatte er gleich wieder seine alten Freunde, mit denen er sich immer gut verstand. An mich hat er sich schnell gewöhnt. In den Ferien durfte er immer zu seinen Großeltern. So auch nach 2 Jahren.

Als wir uns vornahmen, ihn abzuholen, bekam sein Vater den Stellungsbefehl zum Einrücken. 5 Tage vor Kriegsbeginn mußte er Knall und Fall fort. Als ich ihn zum Bahnhof begleitete, ging ich ins nahegelegene Kaufhaus und kaufte mir noch ein Kleid, da waren die Tische schon zugedeckt. Ich fuhr nach ein paar Tagen hin zu meinen Schwiegereltern. In der Bahn war alles voll Militär. Da graute mir schon.

Im Radio hörte ich den Beginn des 2. Weltkrieges. Das war ein furchtbarer Schlag, da konnte man nur noch beten.

In Landshut wurden sie eingekleidet, bei großer Hitze mußten sie mit voller Ausrüstung einen ganzen Tag marschieren. Er hatte sich die Füße wundgelaufen und kam ins Lazarett, von wo ich dann Post bekam. Dann ging es weiter in Polen mit Wachhalten. Später kam er nach Prag, da mußte er auch viel auf Wache. Nach längerer Zeit wurde er freigestellt, weil seine Firma wichtige militärische Ausführungen zu machen hatte. Da mußte er viel mit den KZ-Häftlingen arbeiten, das war auch nicht schön zuzusehen, wie die behandelt wurden. Er schaute immer, so gut es ging, daß er ihnen Brot zustecken konnte.

Als es dann mit Bombenangriffen immer schlimmer wurde, haben wir unseren Sohn wieder zu den Großeltern gebracht. Am 11. Juli 1944 hat es unser Haus getroffen. Am nächsten Tag das Vorderhaus und Rückgebäude. Nebenan traf es die Kirche, den Turm sehe ich immer noch vor mir, wie der gebrannt hatte. Die Feuerwehr konnte nicht mehr eingreifen, es hat überall gebrannt.

Wir konnten zu meiner Schwester aufs Land ziehen. Da half ich viel bei einem Bauern, bloß um etwas zum Essen zu kriegen. Nach 3 Jahren konnten wir wieder in die Stadt ziehen zur Firma, da ein Haus mit großem Rückgebäude stehen geblieben ist. Dafür mußte ich die Hausmeisterei übernehmen. Nach einem Jahr kam die Währungsreform mit 40 Mark Kopfgeld. Das bißchen Ersparte war wieder futsch. Von da an konnte man erst wieder was kaufen.

Als wir an einem Sonntag zu meinen Eltern fuhren, sagte mein Mann, schau ob Du wo ein Gockerl bekommst. Ich kam mit dem Resultat, Gockerl hat man keines, aber einen jungen Hund. Wir holten uns das Wollknäuel. Im Zug hatte ich ihn am Schoß, dann kam der Schaffner, wir mußten eine Kinderfahrkarte für ihn nehmen. Zuhause angekommen, nahm der mit schwarzem Kaffee vorlieb, Milch hatten wir keine.

Das Auto

Mit der Lebenshaltung wurde es nach der Währungsreform besser. Mein Mann hat vor dem Krieg den Führerschein gemacht und einen alten DKW gekauft. Im Krieg mußte man die Batterie und die Reifen abliefern und der Rest ist durch die Bomben kaputt gegangen. Neun Jahre nach dem Krieg kaufte er einen Lloyd, einen sogenannten Leukoplastbomber. Da war es auf den Straßen noch ruhig, wir fuhren meistens Samstags ins Gebirge, da hat es unserem Hund auch besser gefallen als zuhause. Einmal blieb er im Gras sitzen, erst als wir wegfuhren, ist er uns nachgerannt. Als wir einmal bei meinem Bruder zu Besuch waren, haben wir ihn vergessen, mitzunehmen. Er hat sichs im Garten wohlsein lassen. Erst als wir einige Kilometer gefahren sind, sagte ich, wo haben wir den Hund? Dann mußten wir umkehren und ihn holen. War das Fahrzeug auch klein, es konnte uns doch von Nutzen sein: Wir sind weit mit ihm herum gekommen, wenn es auch nicht schnell ging. Bergauf gings halt langsam.

Nach sechs Jahren bekamen wir von der Firma einen VW-Käfer, damals wurden sie noch robuster gebaut. Wir hatten immer Freude daran, besuchten sehr oft meine Eltern und Geschwister, besonders gern fuhr er zu seinen Eltern. Zur Arbeit mußte er fast immer auswärts, montags oft bei Nacht und Nebel fort und Samstag nachmittag kam er nach Hause.

Ruhestand

Mit 65 ging er in den wohlverdienten Ruhestand. Nach 2 Jahren konnten wir in seinem Heimatort günstig ein Haus erwerben, indem er den Bauplatz, den er von seinem Vater geerbt hatte, gut verkaufen konnte. Es war eine schöne Zeit, er konnte sich im Garten beschäftigen. Mit dem alten VW fuhr er bereits bis an sein seliges Ende. 18 Jahre waren ihm in seinem schönen Heimatort beschieden. Nun bin ich schon über 4 Jahre allein in diesem schönen Haus. Sein Sohn verstarb vor einem Jahr in München, die Schwiegertochter bleibt in der Stadt.

Ergänzung,

geschrieben Februar 1990

Einsamkeit braucht heute nicht mehr zum Problem werden. Man hat Unterhaltung durch Radio und Fernsehen. Im übrigen bin ich allein sein gewöhnt von früher. Ruhe und Stille ist im Alter auch ganz schön. Da denkt man gerne zurück an die Jugendzeit: Wir Geschwister hatten immer ein gutes Verhältnis zueinander, mußte jedes selbst gleich sein Brot verdienen. Mein Bruder Hans ist weit herumgekommen, er hat mir von überall eine Ansichtskarte geschickt. Mein jüngster Bruder war ein großer Radsportler, mit ihm bin ich per Rad bis nach Garmisch (100 km) zu unserer Cousine Rosi in Urlaub gefahren. Da sind wir auf den Wank und haben schöne Touren gemacht, auch durchs Höllental. Mit Selbstauslöser hat er viele Bilder geknipst.

Fotografieren war sein Hobby, er entwickelte, vergrößerte, verkleinerte. Es wurden immer schöne Bilder. Er hat mir sogar das Album dazu geschenkt, ich habe ihm viel zu danken.

Manche Dinge, die man als Kind erlebte, vergißt man sein Leben lang nicht. Da kamen einmal zwei wilde Nikoläuse (früher kam bei uns nicht der heilige), in die Stube herein. Ich war ganz allein, die anderen sind alle durchgegangen, ich drückte mich ins Tischeck, einer langte links und einer rechts nach mir, ich schrie fürchterlich, da kam die Großmutter und nahm mich auf den Arm.

Den Kindern wurde auch immer Angst gemacht mit dem schwarzen Mann. Da kam einmal der Kaminkehrer in die Stube, ich verschlupfte mich gleich, derweil er die Semmeln verteilte, die er beim Bäcker geschenkt bekam. Ich schaute unter der Ofenbank hervor.

Vor dem 1. Weltkrieg hatten wir im Stadel einmal (Soldaten-)Einquartierung mit Pferden. Das Stadeltor war immer offen, ich ging gerne hinein. Der Soldat hat mich immer auf den Arm genommen. Da sagte mein Vater: Geh nicht immer da hinein, die Pferde könnten mal ausschlagen.

Vater war sehr gut zu uns Kindern. Ich weiß nur einmal, daß ich Schläge bekam, weil ich in den Türstock der hinteren Haustür mit dem Messer kleine Löcher bohrte. Das sollte das Fußwegerl darstellen, das zum Wirt führte, da war ein kleiner Laden dabei. Wenn wir was kauften, bekamen wir eine Pfefferminzkugel geschenkt.

Ich war 5 1/2 Jahre alt, als meine jüngste Schwester zur Welt kam. Da weiß ich noch, wie die Hebamme die Tür zu unserer Kammer zumachte, wir waren schon im Bett. Damals habe ich das noch nicht erfaßt, wir Kinder sagten halt immer, wenn wir die Hebamme vorbei gehen sahen: "s' Kindlein Wei mit dem Körble." Solche Dinge waren damals für Kinder tabu. Ich kam schon bald aus der Schule, als mich der Nachbarsbub aufklärte. Ich konnte mir das garnicht vorstellen, wie eine Geburt vor sich geht. Das letzte Kind hat man noch so gern, sagte meine Mutter. Vater hatte eine größere Freude als mit uns größeren. Er hat sich viel mehr abgegeben mit der Kleinen. Als er nach Feierabend aufm Kanapee saß und die Kleine schon stehen konnte, schutzte er sie mit den Füßen, daß sie jauchzte.

Manchmal wurde der Mutter die Arbeit auch zuviel, wenn alle nach ihr schrieen, sagte sie, wenn ich nur mal 4 Hände hätte. Mutter war eine feinsinnige Frau, sie gab niemand ein böses Wort. Ich glaube nicht, daß sie einmal zugehauen hat. Die paar freien Stunden Sonntag nachmittag mußte sie mit Flicken, Strümpfe stopfen und Stricken ausfüllen.

Vater ging im Sommer Sonntags gern auf die Felder nachschauen, ob das Getreide bald reif ist. Es war auch so üblich, daß die Männer Sonntag nachmittag ins Wirtshaus gingen.

Früher mußte man viel zu Fuß laufen. Meine Mutter ging immer an Allerheiligen aufs Grab von ihrer Mutter, das sind, schätze ich, über 2 Stunden weit. Die Strecke geht über Günzlhofen, Unterschweinbach, dann Wenigmünchen. Ich kann mich erinnern, daß ich einmal dabei war, daß mir aber fast zuviel zugemutet war. In Unterschweinbach lebte auch eine Schwester von Vater. Ihr Mann war Schneidermeister. Diese war die Taufpatin bei uns für alle Kinder.

In die Schule kam man damals im Mai und Ende November wurde ich erst 6 Jahre. Die ersten Jahre hatte ich noch Herrn Lehrer Hacker. Er war allgemein beliebt, man hat etwas gelernt bei ihm, er war wirklich gut zu den Kindern. Als der 1. Weltkrieg ausbrach, war seine Meinung, daß er 4 Jahre dauere. Da sagten die Leute, der spinnt.

Sein Nachfolger, Herr Lehrer Fellermaier war nicht so beliebt. Er war ziemlich nervös und konnte sich furchtbar aufregen, wenn einer nichts gekonnt hat. Ich selbst weiß ja nur einmal, daß ich Tatzen gekam: Beim Stillsitzen malte ich auf meine Tafel 2 Männlein, die rauften. Das zeigte ich meiner Nachbarin und sagte, die schauen, wer Herr wird.

Unser Expositus (Filialpfarrer) war auch sehr gut beim Unterricht. Er hat alles so beieindruckend dargelegt. Man konnte viel lernen. In der Religion bekam ich Note 1. Vom Lehrer war die Hauptnote 2.

Meine 2 Jahre ältere Schwester Josefa (wir nannten sie Sefi) war eine gute Schülerin. Leider wurde sie von den Buben viel gehänselt, weil sie noch etwas klein war. Sie war ein so gutes nettes Mädel. Bei ihrer Erstkommunion passierte ihr ein Mißgeschick. Unser Bruder Hans mußte etwas beim Kramer holen, da bekam er etwas geschenkt. Sefi sagte, gib mir auch was und hat es schnell gegessen. Damals mußte man von Mitternacht an nüchtern sein. Die Mutter sagte es dem Expositus, da wurde sie beim Kommonionausteilen übergangen. Erst am Montag konnte sie mit teilnehmen. Die Nachbarsbuben haben sie deswegen wieder verspottet. Die arme Sefi hatte es schwer, doch sie war geduldig, wir hatten sie sehr gerne. Nach der Schulzeit mußte sie auch in den Dienst. Da kam sie nach Mittelstetten, wo unsere älteste Schwester auch war. Es war eine Mühle. Von da an ist Sefi gewachsen, wurde groß und stark. Sie meinte, daß ihr das vorbeifließende Wasser gut bekommen hat. Später kam Sefi auch nach München. Sie war ein äußerst tüchtiges und fleißiges Mädchen, nahm immer Stellen an, wo sie ganz selbständig im Haushalt war und dadurch auch mehr Lohn verlangen konnte.

Ich war damals in der Walterstraße in einer Bäckerei und Sefi in der Franz Josef-Straße. Im Sommer ging ich sonntags zu ihr. In den Zwanzigerjahren war es in der Stadt noch schön und ruhig. Ich mußte durch die ganze Innenstadt, aber zu Fuß konnte man alles viel besser betrachten und man sparte das Trambahngeld. Im Winter trafen wir uns meistens bei unserer Schwester Therese und Schwager Andreas.

Sie wohnten damals schon in der Urbanstraße. Dorthin kam auch öfter ein Freund von Andreas, beide waren im Gesellenverein. Wir verbrachten dort immer schöne Stunden. Zwischen dem Freund von Andreas und mir entwickelte sich gar bald eine nette Freundschaft. Ich hatte eine große Hochachtung vor ihm, er war ein solider und netter Mensch. Er stammte aus einer gut bürgerlichen Münchner Familie. Wenn wir ausgingen, war meine Schwester und Schwager fast immer mit von der Partie. Ich erinnere mich an einen sehr netten Faschingsball. Er hatte seine Schwester dabei, ein sehr nettes Mädel, wir verstanden uns prächtig. Ich war als Zigeunerin verkleidet, ich hatte ja ganz schwarze Haare. Sie hatte auch schwarze Haare, aber sie meinte, daß sie mit 40 schon grau würde. Da sagte ich: Dann verrate ich Ihnen ein Mittel, da werden Sie nicht grau! Zigeunerinnen wissen allerhand so Mittel!

Ich konnte auch aus der Hand lesen. Das war wirklich ein netter Spaß. In der Wohnung von Schwester Theres und Schwager Andreas  feierten wir auch noch ein paarmal Fasching, klein Hansi und ein kleines Mädchen vom Wohnungsnachbar waren so drollig. Sefi und ich haben ein bißchen Theater gespielt. Bei meiner Schwester war es immer schön und gemütlich. Schlittenfahren waren wir auch, am Neuhofer Berg sind mein Schwager und ich runtergefahren, dann haben wir umgeschmissen. Mein Freund war auch überall dabei, aber auf die Dauer währte die Freundschaft nicht, er wollte sich doch noch nicht binden. Zu meiner Schwester sagte er, es war nur ein Strohfeuer.

Um meinen Liebeskummer zu vergessen, lernte ich Gitarre spielen. Da war in der Lindwurmstraße gleich um die Ecke ein Musiklehrer, da ging ich abends hin. Bei ihm kaufte ich auch die Gitarre. Mein Schwager Andreas konnte sehr schön Zither spielen, das war immer sehr nett, wenn ich dazu gesungen habe. Aber alles geht vorüber, man muß sich nur fügen. Unser Herrgott weiß immer warum.

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(C) Josef Kiening, zum Anfang www.genealogie-kiening.de