(C) Josef Kiening, Genealogie im Gebiet nordwestlich von München
Leben von Magdalena geb. Heiss
eigenhändig aufgeschrieben im Januar 1990 (Erläuterungen
wurden
kursiv eingefügt.)
Kinderzeit
Als letztes von 10 Kindern - 7 Mädchen und 3 Buben - wurde ich am 8.
Juli 1912 in Hattenhofen bei Fürstenfeldbruck geboren und ein paar
Tage später in Günzlhofen getauft, denn Hattenhofen gehört zu dieser
Pfarrei. Man musste mit dem Neugeborenen im Kinderwagen (der
"Chaise") etwa eine Dreiviertelstunde gehen bis Günzlhofen Die
Mutter war deshalb meist bei der Taufe nicht dabei. nur die Patin,
in meinem Fall unsere Tante Maria Marolda, eine Klosterschwester und
Schwester unseres Vaters.
Ich wurde, wie fast alle meine Geschwister, hauptsächlich von der
Großmutter (Maria Heiss, geb. Müller, also Vaters Mutter)
betreut und erzogen. Sie war eine wortkarge, verbitterte Frau, die
wahrscheinlich zu wenig Anerkennung für ihre viele Arbeit bekam. Sie
ging jeden Tag in die Kirche und hat überhaupt viel gebetet. Bis zu
ihrem Tod (ich war damals etwa 18 Jahre alt) lebte sie bei uns
im Haus. Nachdem sie uns alle großgezogen hatte, half sie noch im
Dorf bei einer anderen Familie mit Kindern.
An meine Kindheit kann ich mich erst ab 6 Jahren erinnern. Ich weiß
noch, wie die Soldaten durch die Hauptstraße des Dorfes zogen und
froh waren, endlich heim marschieren zu können, als der 1. Weltkrieg
zu Ende war.
In der Schule wurde ich von den Buben, weil ich klein und
schwächlich war, oft verprügelt, wohl aus Neid, weil ich
trotzdem in der Schule besser war als sie. Da bin ich heute noch
dankbar, dass mich meine größere, kräftige Schwester Greti
(Margarethe) so oft in Schutz genommen hat und mir zu Hilfe gekommen
ist.
Die Schule fing um 8 Uhr früh an. Die Schulkinder gingen fast alle
zuerst in die Frühmesse . Die Schule war gleich neben der Kirche. Es
war nur ein großer Schulraum für alle Klassen da. Immer zwei
Jahrgänge mussten zusammen die gleichen Aufgaben machen. Abschreiben
oder Schwatzen wurde mit "Tatz' n" (mit dem Rohrstock auf die Hände)
bestraft. Den Buben wurde schon manchmal der Hintern versohlt.
Anders wäre keine Ruhe ins Schulzimmer zu bringen gewesen.
Vielleicht war ich das "Basele" des Lehrers, denn meine Aufsätze
wurden immer vorgelesen, was mich sehr ärgerte, denn ich schrieb oft
Persönliches rein, was die anderen Kinder gar nicht zu wissen
brauchten.
Meine ersten Süßigkeiten hab' ich mir verdient, indem ich für meine
Nachbarin die Aufsätze schrieb. Die gesamten 7 Jahre lang hatten wir
den gleichen Lehrer, der streng, aber gerecht war und uns wirklich
viel beibrachte. Der Religionslehrer, Expositus Seilbeck, mochte
mich nicht, wahrscheinlich weil meine Eltern nicht "schmieren"
konnten. Die anderen Eltern brachten ihm meist Butter, Eier oder
Brot, und unsere Eltern konnten das halt nicht machen. Deshalb
wurden wir bei ihm benachteiligt (beim Lehrer nicht!). Vom Expositus
hab' ich viele "Tatz' n " bekommen. Deshalb habe ich ihn nicht in
bester Erinnerung, obwohl er andererseits auch wieder sehr
hilfsbereit war den kinderreichen Familien gegenüber. Er machte den
Kindern z. B. selbst Holzpantoffeln in der kargen Zeit noch dem 1 .
Weltkrieg, als es nichts gab. Wir hatten damals im Winter
lederbespannte Holzpantoffeln an. Bei jeder Erstkommunion lud
er alle Kommunionkinder zu Kaffee und Kuchen ein und machte ein
Gruppenfoto, denn er hatte damals als einziger im Dorf einen
Fotoapparat. Das erste Foto machte damals allerdings ein auswärtiger
Fotograf, der in die Schule kam. Ich weiß nicht, ob dieses Foto
irgendwo noch existiert. Wir hatten damals, Mädchen wie Buben,
Tragerschürzen über unserer Kleidung an, zum Schutz unserer guten
Sachen.
Meine Schwestern mussten, kaum aus der Schule entlassen, zu
Bauern, um dort zu arbeiten. Nur Theres ging auch nach Haspelmoor (in
das
staatliche Torfwerk) zum Torfaufkastl' n, wo sie dann
ihren Andreas kennenlernte, der nach der Schulentlassung auch im
Mullewerk arbeitete Der Torf wurde in der Nahe unseres Dorfes
gestochen, es waren alles große Moorgebiete.
Andreas arbeitete später in Fürstenfeldbruck und holte auch
seine Theres zu einer Baronin in den Haushalt. Ich weiß noch gut,
dass sie sagte, als sie zum ersten mal nach Hause kam: " Nichts kann
man, nicht mal Schuhe putzen !" Zu ihrer Hochzeit nähte sie mir ein
Kleid.. über das ich mich sehr freute, weil ich sonst nichts Schönes
zum Anziehen hatte. Die Hochzeitsfeier spielte sich in unserer
Wohnstube ab, wo zwei lange Tische zusammengerückt wurden. Das war
die erste und einzige Hochzeit von allen meinen
Geschwistern, die ich miterlebte.
Von unserer Schwester Sefi weiß ich dass sie dauernd kränklich
war (Anämie usw.) Später, als Theres in München in Stellung war,
holte sie Sefi auch nach München, wo ihr eine alte Dame in ihrem
Haushalt alles beibrachte.
Als ich 11 Jahre alt war und die Schwestern schon alle außer Haus
arbeiteten, bekam ich ein "kleines Schwesterlein", meine Nichte
Sofie, die Tochter der ältesten Schwester. Ich freute mich sehr
darüber und durfte sogar ihren Namen bestimmen. "Sofie" suchte ich
aus, weil dieser Name an diesem Tag im Kalender stand. Ich habe sie
außer meinen Schulstunden ständig betreut und ihr das Gehen und
Sprechen beigebracht, was mir große Freude machte.
Im Winter 1922, bei der großen Grippeepidemie, lagen, wir alle krank
im Bett, nur Mutter hielt sich soweit, dass sie uns versorgen
konnte. Damals hatte der Baum, den Vater bei meiner Geburt gepflanzt
hatte, zum ersten mal getragen und ich kann mich gut erinnern, dass
Mutter Schürzen voll Äpfel aus dem Keller holte und uns damit
versorgte. Es waren Boskop und sie mussten alle geschält werden,
weil uns von den Boskop die Schalen zu hart waren.
In den Inflationsjahren musste ich einmal in der Woche mit dem Zug
zu einer befreundeten Familie nach Olching fahren (ich glaube, sie
hießen Herberger) und Milch, Eier und Butter hinbringen. (Diese
Fahrt traf mich, weil ich noch auf Kinderfahrkarte die Bahn
benützen konnte.) Das war für mich immer ein schönes
Erlebnis, denn ich durfte dann mit Mariele, die etwas jünger war als
ich, und ihren schönen Puppen spielen, bis ich mit dem Zug wieder
zurück musste.
Als Schulkind hatte ich oft Bronchitis. Einmal hörte ich in der
Nacht, als ich so arg husten musste, den Vater im angrenzenden
Schlafzimmer (die Tür zu meiner Kammer stand offen) sagen: "Die
stirbt uns ja" . Da hatte ich Angst und verkroch mich in Mutters
Bett, das immer so wohlig warm war; die Mutter hat lieber gefroren,
damit ich ja schön zugedeckt war. Vater und Mutter waren überhaupt
immer gut zu mir, dem Nesthäkchen, obwohl sie bei ihrer vielen
Arbeit sehr wenig Zeit für mich hatten.
Die Eltern
Vater musste schwer arbeiten. Im Sommer im Stall und Feld, denn wir
hatten eine kleine Landwirtschaft; im Winter half er an der
Bahnstation Haspelmoor Langholz umladen, denn der Ertrag der
Landwirtschaft reichte für uns nicht zum Leben. Es wundert mich
nicht, wenn er abends als Ausgleich in die Eberl' sche Wirtschaft
ging und manchmal auch über den Durst getrunken hat. Er wurde ja
meist "freigehalten", weil er sehr unterhaltsam war und auch
manchmal mit seiner Mundharmonika (er war sehr musikalisch) zum Tanz
aufspielte.
In jungen Jahren hatte er einen Kurs in der Baumschule Weihenstephan
gemacht und er wollte mir einmal das Baumveredeln beibringen,
aber damals hatte ich natürlich für so was gar kein Interesse. Er
pflanzte in unserem Garten viele Apfel- und Birnbäume,
besonders gute Sorten , auf die er sehr stolz war. Und im Winter
schnitt er für wenig Geld anderen Leuten die Bäume oder pfropfte
frisch auf und veredelte sie. Er ließ sich auch von Weihenstephan
junge Bäume schicken, die er anderen Leuten in die Obstgärten
pflanzte, alles gegen geringe Bezahlung, wie ich mich erinnere.
Unsere eigenen Obstbäume versorgten unsere Familie das ganze Jahr
über und vor allem im Winter mit Vitaminen, denn Südfrüchte usw.
bekam man damals ja noch nicht.
An unseren Vater denke ich gern, weil er trotz seiner vielen und
schweren Arbeit immer lebenslustig war und ihm bis ins Alter "der
Schalk im Nacken saß". (Seine Enkel können davon noch einiges
erzählen). Ich erinnere mich übrigens , dass ich meine Eltern nie
sich streiten hörte, und ich hörte auch nie ein Schimpfwort von
ihnen. Vater hat gern abends in der Wirtschaft "politisiert", sie
haben sich die Köpfe über der Politik heißgeredet. -
Aus ihrer Jugend erzählten uns die Eltern leider gar nichts.
Die Mutter hatte mir mal Handschuhe gestrickt mit schönen Mustern,
was damals meine Schulfreundinnen sehr bewunderten. Mutter sagte,
"Das habe ich von den Schwestern in der Schule gelernt", als ich sie
fragte, wo sie die schönen Handarbeiten gelernt habe.
.(Die Mutter stammte aus Wenigmünchen. Im etwa 10 km entfernten
Lauterbach war eine Filiale der "Armen Schulschwestern", die
wahrscheinlich Handarbeits-Unterricht erteilten .)
Wenn ich an unsere Eltern denke, erinnere ich mich, dass sie jeden
Tag - auch sonntags um 5 Uhr früh aufgestanden sind. Sie nahmen
Weihwasser und. beteten zusammen den "Engel des Herrn" und drei
"Ehre sei dem Vater". (Mutter ging, soweit irgend möglich, jeden
Morgen um 7.30 Uhr in die hl. Messe). Früh wurde dann gleich im
Kachelofen Feuer gemacht und für die Kühe und Schweine Wasser
gewärmt. Mit Kleie verrührt bekam jede Kuh einzeln ihren Eimer
vorgesetzt. Kartoffeln wurden für Schweine und Hühner gekocht,
zerdrückt und mit Kleie vermischt. Mit dem 'Benzinmotor"
gehäckseltes Heu und Haferstroh bekamen ebenfalls die Kühe und der
Ochse. Mit dem Fressen im Trog ließen sich die Kühe dann ruhiger
melken. Anschließend gab es für die Familie Frühstück.
Abends schnitt Mutter immer Mengen von Brot auf, das dann früh mit
kochendem Wasser übergossen und mit Salz abgeschmeckt wurde. (Hartes
Brot wurde kurz aufgekocht). Nur an den Sonntagen wurde heiße Milch
statt Wasser über das Brot gegossen. Das war unser Frühstück. In die
Schule bekamen wir eine Scheibe trockenes Brot und einen Apfel mit.
Mittags gab es meistens Mehlspeisen (Fleisch nur sonntags).
Semmelknödel mit frischen Pfifferlingen schmeckte uns besonders.
Brotteig knetete Mutter selbst im großen Backtrog, eine sehr schwere
Arbeit für eine eigentlich zarte Frau. Gebacken wurden die Brotlaibe
dann nebenan beim Bäcker.
Nachmittags aßen wir, wenn wir Hunger hatten, wieder trockenes Brot
und Äpfel. Abends gab es, wenn frisch gebuttert wurde (zwei bis
dreimal pro Woche) frische Buttermilch und heiße Kartoffeln. Hans
und Michel luden sich immer Berge von Kartoffeln auf den Teller,
worauf Mutter sagte, es wäre euch wohl vergönnt, aber ihr kriegt ja
so große Mägen! Sonst gab' s abends Nudelsuppe von selbst gemachten
Nudeln (Mutter hatte eine Nudelmaschine; die fertigen Nudeln wurden
dann zum Trocknen ausgelegt), Riebelesuppe ( mit dem Hobel in
kochendes Wasser geriebener Nudelteig) oder Eiereinlaufsuppe. Für
den Winter wurde Dörrobst gemacht (der Bäcker dörrte es nach dem
Brotbacken oben auf seinem Backofen) oder Sauerkraut.
Die Wäsche musste Mutter natürlich mit der Hand waschen. Über Nacht
wurde die Schmutzwäsche eingeweicht und am nächsten Tag im
Waschkessel in Seifenwasser gekocht und dann mit Kernseife
gebürstet. Im Winter wurde die Wasche auf dem Dachboden über der
Remise (Werkzeugschuppen) aufgehängt. Ich erinnere mich, dass
ich dabei einmal durch ein morsches Brett durchgefallen und unten im
Schuppen an einer Egge hängen geblieben bin, Gott sei dank völlig
unverletzt.
Mutter hatte tagsüber ihre Hausarbeit zu verrichten und im Sommer
arbeitete sie auch noch auf dem Feld mit. Nie saß sie da, ohne
Flickzeug in den Händen zu haben, besonders viele Hosenböden gab es
zu flicken. Sie hatte auch schon eine Singer Nähmaschine zum Treten.
Im Dorf
Ab und zu kam die Schneiderin, die Fischer Marie, um uns Kleider und
Schürzen zu nähen, oder den Männern Hemden. Wir hatten die meiste
Kleidung aus Leinen, weil die Eltern Flachs anbauten, der in
Olching bei den Herbergers zu Stoff verarbeitet und meist blau
eingefärbt wurde. Mutter hat mit der Spindel Flachs gesponnen;
mit dieser Flachswolle wurde gestrickt (eine recht harte
Wolle). Die Wolle zum Stricken von Socken usw. wurde in
Fürstenfeldbruck gekauft. In Mammendorf kaufte man im
Haushaltwarengeschäft alles, was man so brauchte und wo es später
auch Stoffe gab. In Hattenhofen hatten wir einen Krämer für
Lebensmittel, gegenüber der Schule. Bier holte man im Krug vom Faß
beim "Caselli" -Wirt (Riedl).
Dieser hatte auch ein kleines Lebensmittelgeschäft.
Haspelmoor und Loitershofen gehörten damals zu Hattenhofen, auch die
Kinder von dort mussten zu uns in die Schule. Im Winter mussten oft
die Schneeräumer für sie erst die Wege freimachen. Ich erinnere mich
dass Martina, die Frau von Xaver, jeden Tag mit den Kindern Lina und
Lisi von Haspelmoor nach Hattenhofen gegangen ist, zur Kirche und
Schule.
In Hattenhofen hatten wir auch eine Poststelle, die Dori und Isidor
(Beheim ?) betreuten. Isidor trug auch die Post aus und so ist für
uns "Post" immer mit dem Namen "Isidor" verbunden gewesen.
Straßennamen gab es in Hattenhofen damals noch nicht, nur
Hausnummern.
Bürgermeister war vor dem 2. Weltkrieg der Wirt Eberl. Ich erinnere
mich noch, als 1933 Vater immer wieder sagte, den Hitler wählen wir
nicht, denn da gibt' s Krieg. Von uns hat dann sicher auch keiner
Hitler gewählt; Vater hatte uns so überzeugt.
Mein Berufstraum
Mein Traum als junges Mädchen war damals, Schneiderin zu werden.
Aber da hatte ich in Hattenhofen keine Chance, denn die einzige
Näherin im Dorf, die Fischer Marie, hatte keine Prüfung und durfte
daher auch keine Lehrmädchen einstellen.
Ich wollte und konnte aber auch wegen meiner schwächlichen Natur
nicht bei Bauern arbeiten und so beschloss ich, mir nach meiner
Schulzeit erst mal was zu verdienen - und zwar als Kinder- und
Hausmädchen beim Bolz'n - Bauern. Ich musste aber im Sommer auch
Feld- bzw. Erntearbeiten mit machen und genauso viel Getreide
aufheben und bündeln wie die Erwachsenen. Wenn mir da meine
Schwester Greti nicht geholfen hatte, hätte ich das nicht
geschafft.
Mit 16 Jahren hatte ich mir dann ein bisschen was erspart und
meldete mich in Fürstenfeldbruck in der Nähschule an. Wohnen konnte
ich bei Tante Kathie, einer pensionierten Rot-Kreuz-Schwester, die
meist unterwegs war.
Von meiner Patin weiß ich nur,dass sie Krankenschwester war und an
Lungen-TBC gestorben ist. Die Rotkreuzschwester Katharina war
schon pensioniert so lange ich weiß. (Schwester des
Vaters.) Ich
musste mich halt selbst verpflegen. Die anderen Mädchen gingen alle
mittags nach Hause und konnten sich an einen gedeckten Tisch setzen.
Am Wochenende fuhr ich meist nach Hause, mit dem Fahrrad, und holte
mir von Mutter Proviant für die ganze Woche. Sie gab mir dabei auch
immer etwas Lebensmittel mit für ihre alte Tante Fendt, die mit
ihrer Tochter in Fürstenfeldbruck wohnte.
Einmal schaute ich zu wie sie eine Suppe kochte und dabei etwas Mehl
und Milch verrührte und ein Ei aufschlug, die eine Hälfte in den
Teig fallen ließ und die andere Hälfte in der Tasse aufbewahrte für
den anderen Tag.
Bei den Marienschwestern in der Nähschule lernten wir Mädchen zwar
sehr gut nähen, aber nicht zuschneiden und Schnitte anfertigen. Als
mir nach einem halben Jahr das Geld ausging, holte mich von der
Nähschule weg eine Witwe, Frau Haid zu sich, die zwei kleine Kinder
hatte. Ich musste für die ganze Familie nähen und nebenbei lernte
ich auch den Haushalt führen.
Mit 18 Jahren hatte ich mir dann wieder ein bisschen was erspart und
konnte mir den ersten Wintermantel kaufen (früher trugen wir im
Winter nur Strickjacken und einen großen Schal, dazu Mütze und
Handschuhe und selbst gestrickte Strümpfe). Durch Bekannte erfuhr
ich, dass es in Augsburg Zuschneidekurse gab, und so meldete ich
mich bei der Akademischen Zuschneideschule an. Drei Monate dauerte
der Kurs, der monatlich 50 DM kostete, damals viel Geld. Dazu musste
ich von der Hattenhofener Bahnstation Haspelmoor aus täglich nach
Augsburg und zurück fahren und mich natürlich auch selbst
verpflegen. Das ging dann nur mit elterlicher Unterstützung. Nach
Beendigung des Kurses mussten wir eine Prüfung ablegen und ich bekam
ein Zertifikat, das mich als fertige Schneiderin auswies. Ich
meldete mich in Fürstenfeldbruck bei der Innung an, die mir
allerdings zur Auflage machte, noch eine Gesellenprüfung abzulegen
mit einem Gesellenstück (Kleid oder Bluse mit Rock). Ich entschied
mich für Bluse und Rock und erhielt dafür die Note 2 (da ich statt
Knopflöcher und Knöpfe Druckknöpfe einnähte, was mir aber
keiner gesagt hatte). Zusätzlich mussten wir Teilarbeiten machen,
sieben verschieden eingesetzte Taschen. Das zeigte mir der Lampl
Sepp, ein Schulkamerad und fertiger Schneider. Seine Schwester Lisi
war meine beste und langjährige Freundin.
Nach der Prüfung machte ich mich in Hattenhofen selbständig und
erhielt genügend Auftrage. Durch die über die Arbeit gebeugte
Haltung bekam ich mit der Zeit aber Herzbeschwerden und öfters
Bronchitis, weil diese früher in der Kinderzeit nie richtig
ausgeheilt worden war.
Bei der Baronin
In dieser Zeit nähte ich öfters was für die Baronin Uckermann in
Steinebach am Wörthsee. Dort war unsere Schwester Sefi als Köchin
angestellt. Als Sefi einmal ins Krankenhaus musste (sie war immer
etwas kränklich), fragte mich die Baronin, ob ich nicht so lange
aushelfen würde, bis Josefa wieder käme. Ich sagte zu, betonte aber
gleich, dass ich keine Ahnung vom Kochen hatte. Das machte ihr
nichts aus, denn sie konnte gut kochen. Die "höheren Töchter"
mussten damals, bevor sie heirateten, einen Haushalt fuhren und
kochen lernen, damit sie später ihren Hausangestellten etwas
beibringen und sie überwachen konnten.
Das Haus der Baronin war eine schöne Villa am Wörthsee mit
herrlichem geschnitzten Treppengeländer. Auch unten in der Diele
waren die Wände mit geschnitzten Paneelen verkleidet und in der
Mitte stand ein wunderschöner geschnitzter Tisch, den Michl, der
einen Blick für alles Schöne hatte, fotografierte.
Die Baronin brachte mir mit viel Geduld das Kochen bei. Sie war eine
sehr vornehme, aber auch sehr sparsame Frau, die nur für Besuch
reichlich auftischte. Abends aß sie nur Porridge (dicker Haferbrei),
höchstens mal ein Ei dazu. Sie war fromm und bescheiden. Ihr Mann
war im 1. Weltkrieg als Offizier gefallen und nun musste sie von
dieser Rente leben. Ihre Tochter, in Berlin-Spandau verheiratet, kam
in den Sommerferien immer mit ihren zwei Töchtern, was für mich
ziemlich viel Arbeit brachte. Ich bekam dann eine Hilfe
(Bauerntochter), die putzte und Geschirr spülte. Als Sefi aus dem
Krankenhaus entlassen wurde, konnte sie die Stelle nicht mehr
antreten; es war ihr zu anstrengend, da auch etwas Gartenarbeit mit
gemacht werden musste. Sie blieb dann bei den Eltern zuhause und
nahm später eine Stelle beim Hattenhofener Lehrer an, so dass sie in
der Nahe der Eltern blieb.
Die Zeit bei der Baronin war für mich eine schöne, unbeschwerte
Zeit, die ich nie vergesse. Sonntags hatte ich meist frei; es kamen
dann meine Schwestern Gretl und Kathi (sie spielte Gitarre), und
manchmal auch Michl und meine Freundin mit ihrem Freund. Wir hatten
ein eigenes Ruderboot auf dem Wörthsee und so gingen wir rudern und
schwimmen und verbrachten immer einen fröhlichen Sonntag.
Im Winter wollte die Baronin immer für ein paar Monate nach Berlin
zu ihrer Tochter, da es ihr dann am See zu kalt war. Mutter wollte
aber nicht, dass ich mit ging. Sie wollte mich erstens nicht so weit
fort lassen und zweitens hatte sie wohl Angst vor den Gefahren
der Großstadt, denn Berlin war damals schon verrufen.
In München
Durch ein Inserat habe ich dann eine Stelle als Köchin bei Familie
Eugen Holderried in München-Harlaching, Autharistr., bekommen. Es
war eine Fabrikantenfamilie (Stempel, Schilder, Gravierungen usw.)
Im Haus lebte außer dem Ehepaar noch der Sohn Eugen, der später
Grafiker wurde und in die Firma mit einstieg. Da sie aus Schwaben
waren, liebten sie Mehlspeisen und besonders Spätzle. Ein halbes
Jahr habe ich gebraucht, bis ich sie zur Zufriedenheit des Hausherrn
vom Brett schaben konnte. Jeden Tag machte ich damals schon
"Jogging" mit der Boxerhündin Nori im nahe gelegenen Harlachinger
Wald. Bei " Nori, hopp!" lief sie mit mir genau im Schritt.
Bei Holderrieds aß man fett und üppig. Deshalb musste der Hausherr
auch jeden Sommer zur Kur nach Bad Gastein, damit er sich wieder
etwas wohler fühlte. - Als ich merkte, dass ich auch zu dick wurde (
130 Pfund), hab' ich abends nur noch Äpfel, die immer zentnerweise
im Haus waren, gegessen, und dadurch wenigstens nicht mehr
zugenommen. Herr und Frau Holderried gingen nachmittags mit dem Hund
spazieren und kamen meist zum Abendessen nicht nach Hause. Der Sohn
musste dann immer die Reste von Mittag essen, was ihm gar nicht
behagte. Es wurde nämlich immer soviel gekocht, dass auch ein Gast
noch mit essen hätte können. Jeden Tag kam der Metzger mit einer
Fleischlieferung, das am Abend vorher telefonisch bestellt worden
war. Nur freitags gab es Fisch oder Mehlspeisen. Das war für mich
eine große Umstellung, denn von der Baronin her war ich an
einfaches, kalorienarmes Essen gewöhnt. Und hier hieß es immer- Sie
müssen viel fetter kochen!
Nachmittags hatte ich oft frei, deshalb konnte ich nähen, auch für
mich privat. Für Gretl, die damals mit ihrem Sepp schon die Bäckerei
hatte, nähte ich weiße Kittel und für mich Kleidung; für Eugen
Faschingskostiime. Eugen hatte, obwohl schon fast 25 Jahre, noch
keinen Hausschlüssel. Er hätte so früh heimkommen sollen, dass die
Eltern noch auf waren. Manchmal kam er aber trotzdem erst um
Mitternacht nach Hause. Dann warf er Steinchen an mein Fenster im 1.
Stock und ich musste ihm aufschließen. Wir waren wie Kumpel
zueinander. Die ganze Familie war sehr human und behandelte mich
immer gut. Nie bekam ich ein Schimpfwort zu hören (Übrigens auch nie
bei der Baronin und nie von meinen Eltern, so dass ich ganz "in
Harmonie" leben konnte).
(Anmerkung: Der Rest der Lebensgeschichte darf auf
Wunsch von Magdalenas Tochter
nicht veröffentlicht werden. )
Bayreuth, im Januar 1990
Eure Leni
(gestorben am 14.1.1991 in Würzburg)
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(C) Josef Kiening, zum Anfang www.genealogie-kiening.de