Kiening: Genealogie im Gebiet nordwestlich von München
Auf dem Land konnte vor Einführung der Schulpflicht kaum jemand lesen und schreiben. Zur schriftlichen Fixierung wichtiger Vorgänge war man auf den Landrichter (Notar) angewiesen. Alle Verträge wurden vor diesem abgeschlossen und vom Gerichtsschreiber notiert. Das waren vor allem Erbverteilungen und Eheverträge. Die Erfüllung der in solchen Verträgen vereinbarten Leistungen wurde widerum vom Notar in "Quittungen" schriftlich niedergelegt.
Beispiel: 16.11.1772 Quittung StA München Pflegger.FDB Pr 36
Der genannte Protokollband enthält unter diesem Datum eine Quittung. Quittungen gibt es praktisch zu allen Verträgen. Sie werden hier nur angegeben, wenn sie Informationen enthalten, die in anderen Quellen fehlen. Die Masse der Quittungen, die nur davor stehende Verträge bestätigen, wurden ignoriert.
Es folgt eine zufällig ausgewählte Quittung im vollen Wortlaut, sowie ein Kommentar, welchen Nutzen der Familienforscher aus dieser Quittung ziehen kann.
Quittung über 1025 fl, 16.11.1772
Die Georg Michlschen Kinder zu Rettenberg im churfürstlichen Landgericht Friedberg: Silvester Michl Leerhäusler in Stätzling und Simon Michl, Viertler in Laimering, beede selbst zugegen, dann Apollonia Michl die ihrer Abwesenheit halber durch den churfürstlichen Landgerichtsprokurator Johann Balthasar Keller vertreten worden, bekennen hiemit für sich, alle ihre Erben, Freund und Nachkommen offen gegen jeden ... mit und in Kraft dieser Quittung, daß sie von Martin Neumayr Halbbauer zu Rettenberg jenige 1025 fl (Gulden), welche ihnen vermög des unterm 27. 9bris ao 1727 (= 27.11.1727) errichteten Vertrag an ihrem väterlichem Erbgut ausgemacht worden. Er Neumayr aber laut des unterm 24.7.1747 weiters errichteten Vergleiches hinaus zu bezahlen übernommen. Nunmehr in den pactierten Fristen richtig bar und ohne Abgang empfangen haben, daher dieselben ersagtem Neumayr sowohl als dessen Eheweib auf all ihre Erben Freund und Nachkommen diese richtig herausbezahlten 1025 fl halber in bester Form rechtens zu ewigen Zeiten quittiert haben wollen, also und dergestalten, daß weder sie noch ihre Erben die mindeste Anforderung mehr machen sollen noch wollen, zumalen sie sich aller Etceptionen absonderlich aber non numerato vel solute pocunio in Kraft dies ausdrücklich verziehen und begeben thun.
actum 16. 9ber 1772 Zeugen Prokurator Kressierer und Zenger, Oberschreiber
Diesen barocken Wortschwall werden Sie normalerweise nicht abschreiben. Ich notiere diese Quittung wie folgt:
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16.11.1772 Quittung 1025 fl
An Kinder des Georg Michl in Rettenberg:
zahlte Martin Neumair 1/2 Rettenberg Vatergut laut 27.11.1727 und Vergleich 24.7.1747.
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Georg Michl Halbbauer in Rettenberg ist 1727 gestorben. Er hinterließ mindestens 3 Kinder.
Die Michl-Kinder waren 1727 noch minderjährig, benötigten also ihr Heiratsgut erst viel später. Normalerweise wurden ab der Heirat der Kinder die Erbanteile in Raten ausbezahlt.
So erklärt sich der lange Zeitraum von 45 Jahren: Um 1750 wurde mit der Ratenzahlung begonnen und nach weiteren 20 Jahren waren alle Raten geleistet.
Bis 1876 gab es eine bunte Währungs-Vielfalt. Sämtliche Währungen waren im Prinzip Münzen aus Edelmetall. Es gab theoretisch keine Inflation. Da Edelmetalle laufend gefördert wurden und nach der Eroberung von Südamerika große Goldmengen nach Europa kamen, fiel allein schon der Preis der Edelmetalle im Verhältnis zu anderen Waren, insbesondere im Vergleich zu Lebensmitteln.
Stieg der Edelmetall-Wert einer Münze nahe an den Nennwert, so wurde sie schleunigst eingezogen und durch eine Neuprägung mit weniger Edelmetall ersetzt. Ein schönes Beispiel sind die silberhaltigen 5-DM-Stücke, die bis 1974 geprägt wurden und am 1.8.1975 für ungültig erklärt wurden.
In der Geschichte der Edelmetallmünzen kam dieser Fall alle paar Jahre vor. Wer schlau war, hortete die höherwertigen alten Münzen, auch wenn sie offiziell ungültig waren.
Hier ging es um erhebliche Beträge, die aus dem normalen
Geldumlauf im Haushalt nicht zu leisten waren. Dazu wurden
gehortete Münzen aus dem Versteck geholt. Die verschiedenen
Prägungen
hatten trotz gleichem Nennwert einen unterschiedlichen Wert.
Außerdem
wurde eine bunte Mischung von ausländischen Münzen, Gold- und
Silberstücken gehortet. Nur Kenner konnten sie bewerten. Vor
allem die Wirte hatten Erfahrung im Umgang mit Münzgeld und
wurden als Schiedsrichter zwischen Schuldner und Empfänger
herangezogen. In einer Quittung in den Briefprotokollen der Hofmark
Massenhausen fand ich eine Aufstellung der Münzen.
Die in den Verträgen von etwa 1620 bis 1875 genannten Gulden-Beträge gelten immer für den gleichen bayerischen oder rheinischen Gulden. Gemeint ist dabei die gerade gültige Prägung. Geldwert-Vergleiche sind nur auf das Jahr der Quelle anzuwenden. Die Inflation im Gültigkeitszeitraum des Gulden war enorm.
Steuern waren in Naturalien oder festen Geldbeträge zu leisten. Wer frühzeitig, etwa 1650 schon, eine Naturalien-Menge in einen Geldbetrag umschreiben ließ, war um 1800 schon deutlich besser dran als sein Nachbar, der noch die gleichen Naturalien abliefern mußte.
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(C) Josef Kiening, zum Anfang www.genealogie-kiening.de