Kiening: Genealogie im Gebiet nordwestlich von München

Samerberger suchen und finden eine neue Heimat (im Raum Dachau)

Aus Joseph Rieder "Rossoltesperg" Seite 183 - 188 (Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers, abgetippt von Irene Wirthinger)

Als wohl schon vor 1200 die bäuerliche Besiedlung des Samerberges abgeschlossen war, konnten neue Existenzen nicht mehr aufgebaut werden, es sei denn durch die Teilung von Anwesen, meistens unter Brüdern, und mit Genehmigung der Grundherrschaft. Diese hatte kein Interesse an großer Zersplitterung des Besitzes. Wollte einer mehr sein als nur Knecht, blieb nur die Übernahme eines Gutes, meistens durch Einheirat, oder später von etwa 1500 an die Erlernung eines Handwerkes, als diese nicht mehr von Bauern, sondern von hauptberuflichen Handwerkern ausgeübt wurden. Allzu üppig war aber das Arbeitsangebot auf dem Samerberg nicht. So blieb nur die Arbeitssuche auf der Wanderschaft und Niederlassung in der Fremde.

Das erste Dokument dafür ist eine Tegernseer Urkunde vom Jahre 1444, nach der sich vier Geschwister aus Staben (siehe dort) in Weilheim, Rottach, Tegernsee und Hall niedergelassen haben. Im Jahre 1493 ist Georg Lochner aus Lochen (siehe dort) in Schlitters im Zillertal nachgewiesen. Für das 16.Jahrhundert sind zwar keine Abwanderungen urkundlich faßbar; Städte und Märkte zogen aber ständig Menschen an, die Arbeit suchten.

Erst seit 1600 erfahren wir mehr aus den Briefprotokollen des Gerichtes Rosenheim, und zwar aus Quittungen über gezahltes väterliches und mütterliches Erbe, über Anwesensverkauf und aus Geburtsbriefen. Natürlich heirateten Samerbergerinnen und Samerberger in Anwesen der näheren und weiteren Umgebung, dienten sie als Mägde und Knechte. Andere haben sich in viel größerer Entfernung von der Heimat "heislich niedergericht": in Schwaz und Innsbruck, als Holzknecht in Burgau im Allgäu, in Hainburg und Bruck a.d. Leitha in Niederösterreich, in Friedberg und Mehring bei Augsburg, in Glatt am Neckar, im nördlichen Baden, in Lorsch "Mainzer Landts", im Kurbistum Köln.

In früheren Jahrhunderten bedeutete der Wegzug aus der Heimat meistens auch den Abbruch jeder Beziehung zu Eltern und Geschwistern. Eine wirklich funktionierende Post gab es noch nicht, Lesen und Schreiben waren noch nicht Allgemeingut. Für den Lamprecht Achenthaler quittierte 1638 sein Bruder Michael das väterliche und mütterliche Erbe, "weil er nunmehr über 17 Jahre außer Lands und niemand weiß, ob er noch lebendig oder todt ist". Christof Wörndl von Mitterhof war 1699 schon "im 9. Jahr dieser orthen nit mehr, sondern außer Landts unbewußt, was orthen sich befindt, dahero auch unwissend, ob er noch bey leben oder nit". Nachdem er auch 1677 außer Landes war, hatte er sich kurz vor 1690 wieder einige Zeit zu Hause aufgehalten und konnte viel aus der Fremde erzählen. Ausdrücke wie "so abwesend und unwissend, wo sich befindend", begegnen immer wieder. Falls überhaupt Briefe in die Heimat gekommen sind, hat man sie nach einiger Zeit uninteressant gefunden und dem Feuer übergeben.

Nur Briefe, die Michael Wagner von Ried den Eltern geschrieben hat, blieben erhalten und können mit Interesse gelesen werden.

Als gelernter Zimmermann begab er sich 1783 auf Wanderschaft, sein Handwerkszeug in einer Kraxe mitschleppend. Vier seiner Briefe, den ersten von 1784, brachten Schiffleute in die Heimat. Er hatte erst in Wien beim Bau der Universität und des Krankenhauses Arbeit gefunden, wo Kaiser Joseph II. sich wöchentlich zweimal über den Fortgang der Arbeiten vergewisserte, manchmal nur wie ein Schreiber angezogen, zu erkennen nur dadurch, daß er der Begleitung "über Holz und Stein" vorauslief. Auch sonntags müsse gearbeitet werden, die Messe finde auf der Baustelle statt. Er war Zeuge einer großen Überschwemmung, die viele tausend Klafter Holz forttrug, wo das Wasser in der Leopoldstadt im ersten Stock bei den Fenstern aus- und einlief.

Nach mindestens vier Jahren Arbeit in Wien machte er sich wieder auf Wanderschaft. In Amsterdam verkaufte er sein Handwerkszeug. Rheinaufwärts wandernd kam er nach Lothringen, wo er bei der neuen Saline in Saargemünd wieder einige Zeit Geld verdienen konnte. Es war bereits die Zeit der Französischen Revolution, "überall Revolte und Aufruhr". In Weißenburg war er Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen Revolutionsanhängern und Katholiken. Die ersteren wollten die Kirche plündern und hatten sie bereits besetzt. Da bewaffneten sich die katholischen Frauen mit Gabeln, Hacken und Prügeln und vertrieben die Revolutionsgarden. Über Straßburg, Basel und Zürich kam er nach Maria Einsiedeln, wo er am 31. Juli 1791 eintraf. In Bursin bei Rolle am Genfer See stellte ihn ein Zimmermeister ein. Am Heiligen Abend schrieb er den Eltern, es würden hier kaum Feiertage gehalten, zu essen gäbe es fast jeden Tag Fleisch und dazu immer Wein. In eine katholische Kirche habe er drei Stund. Er wolle hier bleiben, bis er Französisch gelernt habe.

Seine Wanderung durch Frankreich beendete er in St. Martin auf der Insel de Re an der Atlantikküste, von wo er 1802 zum erstenmal schrieb. Im Juni 1803 bat er um eine Bestätigung vom Gerichte Rosenheim, daß er unverheiratet sei, weil er zu heiraten gedenke. Die Angehörigen ließ er 1810 wissen, daß er einen Sohn habe. Den würde er gerne auf den Rossersberg schicken, damit er Deutsch lerne. 1813 schrieb er, daß die Rekrutierung sehr stark sei, "fast alles muß marschieren in Krieg". Wegen der Blockade durch die Engländer gehe mit dem Handel nichts mehr, die Lebensmittel würden teuer. Im letzten Brief habe er gelesen, daß Erl im Krieg abgebrannt sei. Noch einmal schrieb der nun Dreiundsiebzigjährige, er wolle die Hälfte seines Erbteiles dem Kirchwald vermachen, wenn der noch in gutem Zustand sei, denn sein Vater habe ihm geschrieben, daß alle Kirchen, die nicht Pfarrkirchen sind, abgerissen werden sollten. Es gibt dann noch einen Brief des Sohnes von 1866, mit dem die Verbindung mit der Heimat des Vaters aufhört.

Besonders bemerkenswert ist aber ein großer Abwanderungsschub in und nach dem Dreißigjährigen Krieg.

Die Schweden hatten 1632, Schweden und Franzosen am Ende des Krieges die Gegend westlich und nordwestlich von München schwerstens geplündert und verwüstet. Ortschaften wurden niedergebrannt, viele Bewohner getötet, Hunger und Seuchen taten ein übriges. Das Steuerbuch von 1671 vermerkt für Schwabhausen mehr als ein dutzendmal: "Hat ein Prandstatt erkauft." Dabei kann in jenen Fällen, wo es heißt: ". . . hats vom Vater überkommen", dieser ebenfalls eine Brandstatt erkauft haben. Ähnliches trifft auch für Oberroth bei Dachau zu. In den Jahren 1634 bis 1637 bemühten sich Kurfürst Maximilian und die Grundherrschaften um Siedler, die sich nur in den vom Krieg verschonten Gebieten wie dem Samerberg finden ließen. Vielen Samern waren diese Gegenden durch den Samtrieb bekannt. Ein gutes Dutzend Bauern verkauften ihre Anwesen teils an Geschwister, teils an andere Einheimische, teils sogar an Tiroler. Nachgeborene Söhne, die in der Heimat nur als Knechte Arbeit gefunden hätten, konnten sich dort in fruchtbarem Lande eine eigene Existenz aufbauen.

Michael Daigl von Schweinsteig hatte in den Fritzenhof von Holzmann eingeheiratet, verkaufte ihn 1636 an einen Fischersohn und ließ sich in Albertshofen, Gericht Landsberg, nieder. Mit ihm zog der Bruder Hans, wie wir aus dem Mirakelbuch vom Kirchwald entnehmen können. Der Bruder Georg in Schwarzenbach verkaufte ebenfalls und fand in Kiemertshofen bei Altomünster eine neue Heimat. Georg Weigl und Christina überließen das Ullgut in Schadhub der Schwester und wurden Nachbarn Daigls in Albertshofen. Georg Puecher und Anna beim Schneider in Ried- Unterleiten verkauften an den Wirt von Neubeuern und ließen sich in Hausen bei Geltendorf nieder, dort ebenfalls Christian und Brigitta Maurer von Esbaum. Nicht weit davon, in Windach, übernahm Veit Pichel, bisher in Wiesholz, ein Anwesen.

Ein Gut in Loitershofen, Fürstenfeldbrucker Gerichts, hat sich Christoph Polz, bisher Fuchs von Ried-Unterleiten, ausgesucht. Wolf Schweiberer und Catharina übergaben das Anwesen in Hinterschweiber der Schwester. Vater, Bruder Hans und die Schwester Martha zogen mit nach Oberroth. In derselben Gegend fanden auch Caspar Wiesholzer von Laberg und Michael Zifferer von Ziffer Aufnahme. Hans Mayr von Gern ist in Armertshofen bei Oberroth ansässig geworden, Michel Achenthaler eine gute Stunde entfernt in Unterbachern. Hans Prempichler, Vordergrub, nunmehr Holzhausen bei Dachau, quittierte seinem Bruder in Brennbichl 50 fl väterliches und mütterliches Erbe, "womit er sich heislich einrichten kundte, samt einer Khue". Georg Schöffauer, bisher Schuster in Mitterhof, baute sich in Rothof, Pfarrei Kreuzholzhausen bei Dachau eine neue Existenz auf. Wolf Hintermaier übernahm in Webling bei Dachau einen zerstörten Bauernhof, seine Schwester, verheiratet mit Martin Leitner von Leiten, nicht weit entfernt in Stetten.

Eine Stunde nördlich davon in Edenholzhausen, wurde Simon Thaler von Steinkirchen ansässig. Zu ihm zog nach dem Krieg der Bruder Kaspar, der 1636 in Steinbach, Perndorffsche Hofmarch, bezeugt ist. Ihre Schwester Elisabeth ist 1636 in Adlshausen Friedberger Gerichts, genannt. Der Bruder Georg in Wilparting blieb in Sichtweite zur Heimat. Silvester Gradl und Margaretha, ehedem Hasn-Eheleute von Unterstuff, quittierten den Kaufpreis für ihr Anwesen aus der Gegend von Altomünster, Matheis Krörz von Staben aus Erndried, Kranzberger Gerichts. Gundelsried (Gundamsried) bei Pfaffenhofen an der Ilm wurde die neue Heimat für Hans Schuster und Magdalena aus Weikersing. Hans Walcher von Mitterhof und sein Bruder Leonhard waren in Pippinsried bei Altomünster anzutreffen. Vom selben Ort aus bestätigten Michael Sattelberger und Martha den Erhalt des väterlichen und mütterlichen Erbes. Laut Mirakelbuch von Kirchwald befand sich dort auch Maria Linder vom Rossersberg. In der Nähe, in Reichartshausen, hat Caspar Graf Hundham sich angesiedelt, in Egling im Gerichte Aichach Virgilius Riez von Brunn, verheiratet mit einer Heibltochter von Untereck.

Weiter nördlich im Donaumoos, hat sich Wolf Habendank, verheiratet mit Ursula Hintermaier, wohl auch eine Brandstatt erkauft. Bürger in Neuburg wurde Adam Lechner aus dem Mühlthal, der spätere Aufenthalt seines Bruders Hans ist nicht bekannt. Im Ries in Hinteraltingen hat Hans Heibler von Untereck Arbeit gefunden. Wo sich die beiden Oberleitner, Wolf Oberleitner, Riepl, und Sebastian Oberleitner, Mesner, hingewandt haben, ließ sich nicht feststellen. Ihre Anwesen hatten sie an Tiroler aus Schwoich verkauft. Der Törwanger Taufbuch eingetragene Christian Staber aus Ilmmünster dürfte 1646 in seiner Heimat Zuflucht gesucht haben. Adam Rieder vom Lamprecht konnte sich laut Geburtsbrief von 1647 in Wolnzach das Bürgerrecht erwerben.

Im Bewußtsein, daß eine schwere Arbeit auf sie wartet, aber hoffnungsfroh waren sie hinausgezogen in das Land mit den ertragreichen Böden, ebeneren Gelände, manche freilich nicht ohne eine böse Vorahnung. So ließ Silvester Gradl in den Kaufvertrag aufnehmen: "Die Kauffer haben Ihnen ein Jahrlang herberg darumb ausgnummen, daß wann sie wider verhoffen durch feindliche Überfahlung von Iren haab und Guetern veriagt würden, nit gleich einen Unterschlupf haben würden, sy dann solche Herberg ein Jarlang zesuechen haben sollen." Eher als gedacht war die "feindliche Überfahlung" da. In etwa zehn Jahren hatten sich die Siedler mit Hilfe der Grundherrschaften "heislich niedergericht", hatten die Häuser instandgesetzt oder aus Trümmern neu aufgebaut, einen Viehstand geschaffen, zum Teil mit Hilfe aus der Heimat, hatten Getreide gesät und geerntet, da kam die schreckliche Nachricht, daß die Schweden und Franzosen wieder gegen Bayern vorrücken. Die schaurigen Verwüstungen und Morde kannte man aus eigener Erfahrung, Ruinenstätten gab es noch genug. Man lud auf Wägen, was diese tragen konnten, spannte an und trieb auch noch Vieh mit. Ziel war die alte Heimat hinter dem Inn. Mit ihnen zog eine nicht geringe Schar von Menschen, welche die Schrecken des Krieges schon einmal kennengelernt hatten. Kurfürst Maximilian rief dazu auf, die Flüchtlinge in christlicher Gesinnung aufzunehmen. 27 Eintragungen im Taufbuch, neun im Sterbebuch lassen auf eine beträchtliche Zahl von Flüchtlingen schließen. Neun beziehen sich auf oben genannte Samerberger. Dem Michael Daigl zum Beispiel starb hier seine Frau Elisabeth, dem Bruder Georg eine Tochter.

Als die Nachricht kam, daß der Krieg zu Ende sei, atmete das ganze Land auf. Man spürt das förmlich, wenn man die Inschrift liest, die Zimmerleute an einem stehenden Balken des Turmhelmes von Törwang angebracht haben: "10. August 1648 Der Schwöd hat das Land derzeit verlassen." Die Flüchtlinge konnten nun zurückkehren. Nicht selten werden sie wieder eine Brandstatt vorgefunden haben. Glücklicher dran waren jene Samerberger, die erst nach Kriegsende an die Stätten der Verwüstung gezogen sind. Martin Widmann aus Törwang hat sich in Oberroth "auf einer Brandstatt ein neues Haus erbaut", am selben Ort auch Georg Ramsauer, verheiratet mit Margarete Mayr von Gern. Hier hat auch 1660 Wolfgang Glas von seinem Vater Georg ein Anwesen übernommen. Der hatte es vom Pfarrer als Brandstatt erkauft. Nach dem Steuerbuch von 1671 hat Hans Georg Widmann, der möglicherweise auch vom Samerberg stammte, eine Wirtschaft und ½ Hof in Oberroth erkauft, und zwar 1641 von Hans Anglsprucker, dem früheren Wirt von Törwang. "Beim Hof ist noch kein Haus, sondern eine Brandstatt", ein Beweis, daß 1671 noch nicht alle Kriegsschäden behoben waren.

Im Nachbarort Niederroth hat Michael Schmiedhauser von Törwang, 1649 verheiratet mit Dorothea Linder von Haus, Törwang, im Jahre 1654 sich auf einer Brandstatt angesiedelt. Hans Speck von Fading übernahm 1656 in dem besonders schwer verwüsteten Schwabhausen eine Brandstatt. In Priglbach (Prittlbach?) bei Dachau treffen wir 1659 den Georg Rotiel von Osterkam, in Klingen bei Aichach 1666 den Marx Sulzberger. Er hatte sich 1640 in Sielenbach ein Söldenhäusel gekauft. Der Ort war aber 1646/48 dem Erdboden gleichgemacht worden, so daß von einer Neugründung durch den Deutschorden gesprochen wurde. Christof Heiß ausm Thal hat sich hier angesiedelt. Nach dem Verkauf des Maurerhäusels in Schilding zog Georg Berchthold nach Aiglsdorf in der Holledau. In Webling bei Dachau erwarb Thomas Bieder ein Haus, das "ganz ruiniert" war. Neben ihm hat Christof Sattelbergen 1648 "eine Prandstatt neu auferpauth". 1671 hatte er es schon auf einen stattlichen Viehstand gebracht. 3 Roß, 5 Khue, 1 Füll, 3 Jungrinder, 2 Kälber, 4 Schaf, 2 Pöck, 1 Lamm, 1 Impen, 1 Schweinmuetter

Sicherlich sind mit diesen Namen nicht alle erfaßt, die vom Samenberg ausgezogen sind und einen beachtlichen Beitrag geleistet haben zum Wiederaufbau des von Schweden und Franzosen schrecklich verwüsteten Landstriches zwischen München und Aichach. Natürlich ging die Abwanderung ständig weiter und erreichte im 19. Jahrhundert einen Höhepunkt.

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(C) Josef Kiening, zum Anfang www.genealogie-kiening.de