(eigenhändig aufgeschrieben 1986/87 von Josef Kiening
senior, unverändert ab getippt 2008 von Josef Kiening junior.
Kommentare und Erläuterungen sind kursiv eingefügt von Josef
Kiening junior. Beim Lesen des ersten Manuskripts haben wir
einige Fragen gestellt. Die Antworten sind mit dem Zusatz:
"Mündlich"
eingefügt. )
Geboren bin ich am 18. September 1907 als lediges Kind der (Witwe)
Frau Walburga Köppl. Da meine Mutter eine geborene Kiening war,
erhielt ich diesen Namen. Mein Vater hieß Matthias Walch. Er war
Straßenmeister in Germering und lernte meine Mutter bei einem
Baumpflegekurs in Weihenstephan irgendwie kennen. Er war, wie
sich später herausstellte, bereits verheiratet. Ich selber habe
ihn nie gesehen.
(Das war unser Informationsstand von 1986. Der Straßenwärter
Walch war 1907 noch nicht verheiratet und wie er die Walburga
Köppl
kennen lernte, hat sich später zufällig gefunden. Matthias
Walch ist im September 1914 bei ersten Kriegseinsatz in Belgien
gefallen. Über sein kurzes Leben ist eine eigene Biografie zu
schreiben. )
Geboren wurde sie am 12.2.1878 als 3. Kind des Landwirtes
Sylvester Kiening in Hetzenhausen, Gemeinde Massenhausen,
Bezirksamt Freising. Über die Kindheit und Jugendjahre weiß ich
nicht viel. Einmal hatte sie mit ihrem Vater nach München zur
Schranne mit Getreide per Pferdegespann fahren dürfen. Die
Schranne fand damals auf dem heutigen Marienplatz statt. Auch wie
sie ihren späteren Mann Johann Köppl kennen lernte, weiß ich
nicht. Sie hat nacheinander 2 Söhne geboren, die aber schon im
frühen Kindesalter starben. Auch ihren Mann verlor sie schon
1903 durch Tuberkulose. Bei der Hochzeit kauften sie das Haus
Büchl
599. Es war früher ein kleines landwirtschaftliches Anwesen.
(Das stimmt nicht ganz. Aus den Notarurkunden wissen wir
inzwischen mehr Details, weshalb für Walburga Köppl ebenfalls
eine Biografie zu schreiben ist.)
Sie arbeitete meist als Taglöhnerin, Putzfrau und was sich
halt so ergab. Seit ich so denken kann, weiß ich nichts anderes.
Und nebenbei holte sie sich das Brennmaterial mit einem Handwagen
aus dem Wald. Damit sie mehr Zeit hatte, brachte sie mich täglich
in die Anstalt, heute sagt man Kindergarten, die von den
Schwestern des Waisenhauses mit betrieben wurde. Als ich dann
schon mehrere Jahre in der Schule war, nahm sie eine ganztägige
Arbeit an und zwar immer in Gärtnereien. Erst in der Gärtnerei
Nusser in Neustift. Nach mehreren Jahren ging sie dann zur
Gartenbauschule Weihenstephan, wo sie bis zur Rente blieb. Das
Haus verkaufte sie 1917 an einen Viehhändler, der es seiner
Tochter als Mitgift gab. Diese heiratete einen Wirt und ebenfalls
Händler. Heute besitzt die Tochter dieses Mannes das Eigentum.
Zur Ehre von Max Grichtmeier möchte ich noch sagen, dass er
meine Mutter bis zu ihrem Tod 1963 für 12 Mark Monatsmiete in
ihren 2 Zimmern ließ. Von Weihenstephan kam sie täglich auch
mittags heim, um auch mir und später für sich allein das Essen
zu wärmen. Zuletzt arbeitete sie auf dem Gelände des heutigen
Staudengartens. Weiß Gott eine Leistung.
Warum sie nicht mehr geheiratet hat, weiß ich nicht. Solche
Themen waren vor 60 - 70 Jahren zwischen Eltern und Kindern noch
tabu. Da sie erst 1916-17 mit regelmäßiger Arbeit begonnen hat
und damit versicherungspflichtig war, war ihre Rente sehr sehr
bescheiden. Mit dem Frauen- und Mütterverein machte sie nach dem
1. Weltkrieg alle Wallfahrten und Ausflüge mit, so dass sie mich
schon verstand, als ich nach der Lehre selber los zog. Als ich
von daheim weg war, besuchte ich sie alle Jahre ein paar mal. Da
sie ja immer allein war, musste sie eben mit allem selber fertig
werden. Ich habe sie nie jammern hören. Nur die letzten Monate
ihres Lebens war sie nicht mehr gut beisammen. Ihre jüngste
Schwester Leni, die nicht verheiratet war, half ihr dann und
pflegte sie. 2 Tage vor Weihnachten kam sie ins Krankenhaus. Sie
wehrte sich mit Händen und Füßen. Sie wollte daheim sterben.
Und wirklich, am 27. Dezember 1963 starb sie.
Sie begann Mitte September 1913. In der Klasse 1a hatten wir
den Hauptlehrer Biller, der als der strengste Lehrer in Freising
verschrieen war. Wenn sich heute ein Lehrer so was leisten würde (die
Kinder
ständig zu verprügeln),
käme er aus dem Zuchthaus nicht mehr heraus. In Erinnerung habe
ich noch die Feier zur Ernennung von Bischof Bettinger zum
Kardinal. Da Freising ja 1100 Jahre Bischofssitz war, wurde so
etwas groß gefeiert. Die ersten Schulferien verbrachte ich zum
ersten mal beim Onkel in Hetzenhausen. Hier ein Erlebnis: Eines
Tages kam der Postbote mit dem Rad und brachte ein Telegramm.
Mein Onkel als Ortsvorsteher läutete ein paar Männer zusammen
und die sperrten die Straßen mit Balken, um ein französisches
Auto, das Geld nach Russland bringen sollte, aufzuhalten. Noch
heute würde mich interessieren, wer diesen Plan ausgeheckt hat,
in allen Orten Deutschlands Wegelagerer zu spielen.
Im 2. Schuljahr war dann schon Krieg. Das Knabenschulhaus war als
Reservelazarett beschlagnahmt. Wir besuchten das Mädchenschulhaus.
3 Tage vor mittags von 8 - 12, 3 Tage nachmittags von 1 - 5. Auch
hier eine Erinnerung: In Frankreich brach der Stellungskrieg aus
und die Rekruten wurden daheim mit dieser Kampfart vertraut
gemacht. An einem schönen Oktobertag konnte man in Pettenbrunn,
4 km entfernt, im Exerzierplatz der Freisinger Jäger
Schützengräben,
Unterstände usw.. anschauen. Alle Frauen mit Kindern zogen los.
Kurz vor der Ziegelei Lang begegnete uns der Lehrer. Meine Mutter
natürlich drauf los, wie ich in der Schule wäre und so. Der
Hauptlehrer lobte mich sehr. Seit der Zeit konnte ich ihn gut
leiden, trotz aller Prügel, die ich auch weiter bekam.
Auch diese Ferien verbrachte ich in Hetzenhausen. In der 3.
Klasse war der Unterricht interessanter. Heimatkunde und Deutsch
waren Fächer, die Hauptlehrer Biller sehr gut vermitteln konnte.
Dazu begann ich jetzt zu lesen. In der Bücherei des katholischen
Pressvereins gab es Bücher, die Leihgebühr war 1 Pfennig. Zum
Personal, alles Freiwillige, gehörte auch unser Lehrer. Da er
meine Lieblingsfächer kannte, versorgte er mich immer mit dem
nächsten
Unterrichtsstoff. bloß hat er mich in der Schule nicht
aufgerufen, wenn ich noch so sehr den Finger hob. Höchstens zum
Schluss: "Sage es ihnen". Die nächsten Ferien war ich
wieder in Hetzenhausen.
In der 4. Klasse waren Naturkunde, Erdkunde und Geschichte die für
mich interessantesten Gebiete. Da es auch die Hobbys des
Hauptlehrers waren, war gut zum Zuhören. In der Erdkunde
Oberbayern, da steckte er die Rückwand mit Ansichtskarten voll
von dem jeweiligen Gebiet und in der Pause erklärte er uns die
einzelnen Bilder. In der Naturkunde hat er zuhause den Stoff auf
1, manchmal auch 2 Blatt Papier geschrieben und einem Schüler
gegeben. Bis zum nächsten Mittwoch musste es die ganze Klasse
abgeschrieben haben. Dann gings los. "Wer hat es überhaupt
nicht?" 1 - 2 waren immer dabei. Das nächste war, die
einzelnen Hefte nach Rechtschreibfehlern durchzusehen. Pro 10
Fehler 1 Tatze. Da war der Schüler, der vom Lehrer ab schrieb,
fein heraus. Denn dieses Blatt war garantiert fehlerfrei. Je öfter
es abgeschrieben wurde, um so mehr Fehler kamen dabei heraus.
Darum war Mittwoch der gefürchtetste Tag der Woche. Ich bekam
das Blatt sehr oft. Wir schrieben dann zu 3. oder 4. in unserer
Wohnung ab. Da ging es dann schneller durch. ( Ich war ja
Einzelkind. Da konnten die Freunde bei mir ungestört
abschreiben.
Üblich waren damals kinderreiche Haushalte, in denen es
turbulent zuging.)
Noch ein Erlebnis: Eines morgens, als wir zur Schule gingen,
ritt eine Gruppe prächtig geschmückter Soldaten "Leichte
Reiter" durch Freising, um die Kriegsbegeisterung
anzuheizen. Bis 1907 waren diese im aufgehobenen Kloster Neustift
in Garnison. Da zu diesem Truppenteil nur reiche Bauernsöhne
rekrutiert wurden, einerseits weil sie sich zu den Pferden hinein
trauten, andererseits weil sie viel über Pferdepflege lernten,
war das ein gegenseitiger Gewinn. Da diese Soldaten nicht mit dem
Wehrsold von 22 Pfennig auskommen brauchten, sondern von zu hause
unterstützt wurden, ließen sie viel Geld in der Stadt sitzen.
Wir Buben, angesteckt von den Erwachsenen, liefen bis zur
Stadtgrenze mit und kamen so gegen 9 Uhr in die Schule. Auf die
Frage, wo wir waren, sagten wir es. Nach kleinem Überlegen sagt
er, er würde uns nichts tun, wenn einer das Wort richtig
schreiben könne: Schwolesche, Schwolleschä ? Immer falsch. Der
Hauptlehrer schrieb dann: "Chevaulegers". Er tat uns
trotzdem nichts. Er erklärte uns, wie viele französische Worte
es damals in Bayern gab: Perron (Bahnsteig), Trottoir (Gehweg),
Charcurtier (Wurstladen) usw...
Eine andere Begebenheit: Wir hatten in der Klasse eine Kasse, in
die man ab und zu etwas hinein gab. Von dem Geld wurden
Liebespakete für die Väter (im Kriegseinsatz ) gepackt.
Eines morgens war das Pult aufgebrochen und das Geld verschwunden.
Als Dieb wurde ein Klassenkamerad, der im Waisenhaus lebte,
gefunden. Er bekam als Strafe eine Woche lang jede Stunde 6
Tatzen und 6 Arschprügel. Ein Polizist brachte den Buben alle
Tage in die Schule. Eineinhalb Jahre später, wir gingen in die 6.
Klasse, starb Hauptlehrer Biller am Neujahrstag 1918. Am 3.
Januar, als sich die Trauergäste vom Grab verlaufen hatten, hat
der Bub in das noch offene Grab einen Haufen drauf gemacht. (Wegen
der
gefrorenen Erde konnte das Grab nicht sofort zu geschaufelt
werden. ) Einer der alten Lehrer wohnte gleich neben dem
Friedhof und konnte ihn mit dem Fernglas gut ausmachen. Er kam
dann in eine Besserungsanstalt. Bei einem Schülertreffen, das
Freund Elfinger organisierte, kam ein Fremder. Es war der
ehemalige Schulkamerad. Er hatte in der Memminger Gegend eine gut
gehende Gärtnerei. Er ist trotz allem, was ihm passierte, ein
anständiger Mensch geblieben.
(Mündliche Ergänzung: Wir Kinder hatten wenig Spielzeug.
Einmal brachte das Christkind einen Druckkasten. Die einzelnen
Buchstaben konnte ich auf einer Leiste zu Wörtern setzen und so
Sätze drucken. Auch einen Laubsägekasten hatte ich. Das Holz
zum Ausschneiden bettelte ich in Zigarrengeschäften. Die
Zigarrenkistchen waren nur aus dünn geschnittenen Fichten und
brachen an den Jahresringen. Sperrholz kannte man noch nicht. In
den Sommermonaten spielte sich das Leben auf der Straße ab.
Schussern, Reifen treiben und Verstecken waren unsere liebsten
Spiele.)
Im Frühjahr 1917 begann ich in der Kirche Sankt Georg zu
ministrieren. Aber bereits im Winter hörte ich auf Geheiß
meiner Mutter wieder auf, weil ich (durch die Kniebeugen) bei
allen
Schuhen die Sohlen abbrach. ( Im Krieg war kaum Ersatz
zu bekommen.)
In diesen Ferien war ich nicht in Hetzenhausen. Dafür lernte ich
das Schwimmen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge
erlebte das meine Mutter. Denn einerseits wusste sie mich gut
aufgehoben, andererseits konnte sie mich kaum füttern, weil ich
vor lauter rum rennen immer Hunger hatte. 1917 war bei der
Verpflegung das schlechteste Jahr des ganzen 1. Weltkrieges.
In der 5. Klasse hatten wir Erstkommunion und erfreulicherweise
auch Firmung. Diese fand alle 2 Jahre statt, die 5. und 6. Klasse
zusammen. Das war sehr günstig, weil man nur einmal einen Anzug
brauchte, den es im Krieg nicht so ohne weiteres gab. Bei der
Kommunion musste ich vom Religionslehrer aus etwas aus dem
Gottesdienst vorlesen. Ich sagte das daheim und ich hätte von
der Mutter aus alles auswendig lernen müssen. Da ich nicht
wollte, ging meine Mutter am nächsten Tag zum Lehrer. Als dieser
von der Tür zum Pult ging, sagte er gleich: "Kiening raus!
Ich hau dich nicht, weil du das nicht lernst, sondern weil ihr
alle ohne Vater seid und mit der Mutter tut, was ihr gerne tut."
In den Ferien war ich wieder in Hetzenhausen. In der 6. Klasse
wurden die 2 Parallelklassen zusammen geworfen, weil durch den
Übertritt
in die Mittelschule die Schülerzahl kleiner wurde. Trotzdem
waren wir in der 6. und 7. Klasse 72 Schüler. Für den
Hauptlehrer Zimmermann schon eine Aufgabe. Hier eine Begebenheit:
Wir Büchl-Buben, 12 an der Zahl ( der Lehrer meinte einmal, die
vom Büchl und die vom Goldberg ( kleine Nebenstraßen in der
Freisinger Altstadt) kosten ihn 10 Jahre seines Lebens.),
also wir saßen auf den Planken, an denen an Viehmarkttagen die
Kühe
angebunden wurden, und rauchten Judenstrick. Das war so eine
Nesselart. (? Trockene Zweige der "Gemeinen Waldrebe",
eine Clematis-Art, die langsam verglimmten, wenn man daran
saugte
oder blies.) Auf einmal stand der Lehrer vor uns, der seinen
gelben Dackel spazieren führte. "Morgen in der Früh reden
wir weiter!" Am anderen Tag nach dem Beten winkte er bloß
mit dem Finger und wir marschierten geschlossen raus. Nachdem er
uns über die Schädlichkeit des Rauchens besonders für Kinder
aufgeklärte hatte, ging es mit dem Fragen los. Einer gab 6 zu.
Die meisten waren brav und sagten "nur eine". Nun kam
die Überraschung für uns. Der mit 6 ging straf frei aus und die
1 bekamen 6 Tatzen. Weil sie am meisten gelogen hatten.
Ein anderes Erlebnis 1918: Anfang November kam der Kittl Karl,
der in der Heilig-Geist-Kirche ministrierte und fragte mich, ob
ich nach Oberberghausen mitgehen wollte. Dort steht eine Kapelle,
dem Hl. Klemens geweiht. Ein alter Gymnasiallehrer hieß
ebenfalls mit Vornamen Klemens und er nahm sich nun um diese
Kirche an. An seinem Namenstag ließ er immer eine Messe lesen.
Dazu kamen auch die früheren Bewohner der beiden Bauernanwesen,
die einmal da existierten und von der Staatsforstverwaltung
aufgekauft wurden, um Pappeln anzupflanzen. Wir gingen in der
Frühe
zeitig weg. Es waren von uns aus etwa 8 km. Nach der Kirche ging
es wieder heimwärts. Wir redeten gescheit, bis wir wieder nach
Freising kamen. Hier fanden wir alles aufgeregt. In den
Wirtschaften saß und lärmte das Militär. Die Geschäfte hatten
die Rollläden herunter gezogen. Wir wussten nicht, was los war.
Meine Mutter sagt mir auf meine Frage : "Revolution ist."
"Was ist das?" "Das weiß ich selber nicht."
bloß die Aufforderung, nach der Schule gleich heim zu gehen. Der
Lehrer erklärte es uns. Der König wurde verjagt und die Macht
wird jetzt vom Volke ausgeübt. Er sagte das mit bitterer Stimme.
(Anmerkung: Die Staatspropaganda in der Monarchiezeit war
wirkungsvoller, als man sich das heute vorstellen kann. Josef
Kiening
war fest monarchistisch geprägt. Das wurde er sein ganzes
Leben nicht mehr los, obwohl er durchaus kritisch war und bei
jedem
System die Schwächen erkannte. Im Vergleich dazu war seine
spätere Frau
völlig ohne jede Ideologie. Sie dachte nur praktisch, an
Familie,
Essen, Kleidung, Geld usw. Der katholische Religionsunterricht
in der
Monarchiezeit, Nazipropaganda oder die
nachfolgende
Amerikanisierung, das war alles bei ihr durchgefallen und
ist
nicht einmal in Spuren hängen geblieben. Doch zurück zu
1919:)
Die erste Folge war, der Krieg war aus. Vom Waffenstillstand
verstanden wir Kinder natürlich nichts. Aber die Soldaten kamen
heim. Am Viehmarkt wurden jede Woche zweimal Pferde versteigert.
Für 20 bis 50 Mark gingen sie an neue Besitzer über. Ab Neujahr
1919 bekamen wir Hilfslehrer. Es waren Leute, die von der Schule
gleich zum Barras eingezogen wurden und jetzt ihr Praktikum
nachholen mussten. Da waren mitunter Typen darunter !
An einen kann ich mich erinnern. Wir lasen das Gedicht: "Als
Kaiser Rotbart lobesam ins heilige Land gezogen kam". Der
Hauptlehrer korrigiert am Pult Hefte. Von uns Buben musste jeder
eine Zeile lesen. Einer betonte ein Wort so komisch. Wir lachten.
Der junge Lehrer ging auf wie eine Dampfnudel. Der Hauptlehrer
beruhigte ihn und meinte, er solle es mal vorlesen. Das tat er.
Während
er las, ging er immer 2 Schritte vor und zurück. Wir Buben
rissen Augen und Maul auf. So etwas hatten wir noch nie gesehen.
Auch der Hauptlehrer schob die Brille auf die Stirn und starrte
ihn an. Als er zu der bewussten Stelle kam, unterlief ihn der
gleiche Fehler. Wir brüllten und der Hauptlehrer machte den
Herrn Kollegen darauf aufmerksam. Am nächsten Tag hatten wir
schon wieder einen neuen. Auch die Sommerferien 1919 war ich in
Hetzenhausen.
Ab Sommer 1919 konnten die Knaben wieder ihr angestammtes
Schulhaus beziehen und wir hatten statt 4 nunmehr 6 Stunden
Unterricht. Auch Sport kam zu seinem Recht. Während der
Sommerferien begannen in Freising die Turn- und Sportvereine
wieder ihre Tätigkeit. Hier waren es natürlich die Fußballer,
die uns interessierten. Da bekam ich Schwierigkeiten mit meiner
Mutter wegen der kaputten Schuhe, die es ja immer noch nicht gab.
(mündlich: Wir spielten mit selbst genähten Bällen aus
Stoffresten.)
Die Berufswahl kam jetzt zur Sprache. In den meisten Berufen
musste man damals noch Lehrgeld bezahlen, damit man überhaupt
als Lehrling angenommen wurde. Ich entschloss mich, Bäcker zu
werden. (Die Bäcker verlangten kein Lehrgeld.) In der
Bäckerei
Ludwig Zischka am Goldberg bekam ich schließlich eine Lehrstelle.
Als ich mich vorstellte, meinte der Meister: "Arg schwach
ist er halt ." Ich wog damals knapp 60 Pfund. Ich konnte die
Stelle erst am 1. Januar 1921 antreten. Das halbe Jahr blieb ich
deswegen in Hetzenhausen bei meinem Onkel und ging da auch ein
paar Wochen in die Sonntagsschule.
Am 1.1. 1921 trat ich also in das Berufsleben ein. Das Aufstehen
in der Frühe hat mir zeitlebens keine Mühe bereitet. (Mündlich:
Die
Lehrlinge
schliefen
in der Bäckerei in einem Bretter-Verschlag
auf dem Dachboden. Da es hier im Sommer sehr heiß war, brachten
sie ihre Betten auf einen Wäschetrockenplatz, einer Art
Dachterrasse, vor ihrem Dachkammerl. Solche Wäschetrockenplätze
auf den Dächern von Nebengebäuden gab es in Freising fast bei
jedem Haus. Im Winter, wenn es im Dachboden zu kalt war,
schliefen sie auf dem Backofen. Die Freizeit verbrachten die
Lehrlinge in der warmen Backstube. )
Am Vormittag Brot austragen mit der Kirm. (Wie ein
Rucksack zu tragender großer Korb.) Wichtig war, dass man
alle Brotmarken nach Hause brachte. Gebacken wurde noch auf einem
alten Holzbackofen. Wir zwei Lehrlinge hatten zu tun, das nötige
Holz klein zu hacken. Die Scheite wurden der Länge nach
gespalten und zwar so dünn, wie man sie auch im Küchenherd
verfeuert. Deswegen wurde von der Bäckerei nur 1. Klasse Holz
gekauft. Wöchentlich wurden so 2 bis 3 Ster verbraucht. Das war
die Nachmittagsbeschäftigung. Mitte Juli 1921 wurde der alte
Ofen abgerissen und ein Dampfbackofen gebaut. Das Holz machen
fiel weg, aber dafür waren alle 2 bis 3 Monate 100 bis 150
Zentner Brikett von der Straße weg in die Hütte zu schleppen,
weil der Hof so klein war, dass man nicht rein fahren konnte. Als
der neue Ofen fertig war, wurde die Markenwirtschaft aufgehoben
und da begann eine Freßwelle.
Was die Arbeiter am Samstag ausbezahlt erhielten, musste
gleich ausgegeben werden, da das Geld ja am Montag schon
wertlos
war. Am
schlimmsten war es 1923, als der Meister im Laden das Geld in den
größten Semmelkorb warf. Nach Geschäftsschluss und Abendessen
wurden alle, auch die Lehrlinge zum Geld zählen und bündeln
eingespannt. Zum Schluss bekamen wir unseren Lohn, für den wir
am Montag vielleicht eine halbe Semmel kaufen konnten.
Ein Wort zu dieser Zeit, von der man sich keine Vorstellung
machen kann, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Es gab
praktisch nichts zu kaufen und in der Privatwirtschaft auch keine
Verdienstmöglichkeit. Was in der Industrie erzeugt wurde, ging
als Kriegsentschädigung ins Ausland. Deshalb gab es viele
Arbeitslose. Der bayerische Staat nahm einen Vorkriegsplan in
Angriff, den Bau der mittleren Isar als Kanal für den Betrieb
von Elektrizitätswerken. Da alles im Handbetrieb geschafft
wurde, kamen Tausende unter. Von den Freisinger Männern waren es
viele Hundert. Wegen der Geldentwertung wurde das Lohngeld in
Lastwagen zu den Baustellen gefahren. Da die Reichsbank mit dem
Drucken nicht nach kam, waren alle großen Firmen und Städte
berechtigt, Notgeld auszugeben, mit der Auflage, die Scheine 6
Wochen später wieder einzulösen. Da bis dahin ja völlig
wertlos, wurde das Notgeld für die Herausgeber ein glänzendes
Geschäft. Als im Dezember 1923, die Mark war eine Billion, die
Währungsreform
kam, war die mittlere Isar so ziemlich fertig. Als 1924 das
Wasser der Isar in den Kanal geleitet wurde, ist der
Grundwasserspiegel zurück gegangen. Das Bayernwerk musste alle
Brunnen der Dörfer und Bauern tiefer graben lassen, weil sie ja
alle auf dem Trockenen saßen. Das musste alles mit gutem Geld
bezahlt werden, was fast so teuer kam, wie der ganze Kanal selber.
(Anmerkung:
Dieser
Absatz ist ein erst später erworbenes Wissen, keine zeitgleiche
Beobachtung. Für einen Jugendlichen waren die Zusammenhänge
sicher
unverständlich. )
Meine erste Eisenbahnfahrt, an die ich mich auch erinnern kann,
war 1922 mit dem Jugendverein zum Katholikentag nach München, wo
ich aber statt zu den Veranstaltungen die große
Verkehrsausstellung besuchte. Vom Münchner Kindl-Keller am
Gasteig aus fuhr ich mit der Straßenbahn zur Theresienhöhe. Ich
bestieg die Linien-Nummer, die man mir gesagt hatte. Als der
Schaffner zum Kassieren kam, die Fahrkarte kostete 20 Mark,
meinte er: "Mei, Bua, du fährst ja entgegengesetzt. Aber
bleib nur hocken, wir kommen trotzdem hin. " Er hat mir
angesehen, dass ich vom Land kam und zum ersten Mal Straßenbahn
fuhr.
Die zweite Fahrt war ein Schulausflug 1923 nach München ins
Deutsche Museum. Es war ein Sonntag, denn an einem Arbeitstag
hätten
wir Lehrlinge ja nie frei bekommen. Wir vom Lebensmittel-Handwerk
hatten grundsätzlich in unserer Freizeit nachmittags Schule,
während
die anderen Berufe einen ganzen Tag Schule hatten, da sie ja doch
irgendwie Arbeit versäumten.
Es war meines Wissens der erste solche Schulausflug, den ein
Freisinger Lehrer organisierte. Unser Lehrer, Herr Dietrich,
schaffte das 1923, als die Inflation dem Höhepunkt zustrebte und
der Dollar eine Milliarde Mark kostete. Der Lehrer kaufte die
Fahrkarten schon 3 Tage vor der Fahrt und Verpflegung hatten wir
Schüler selbst dabei. Das Deutsche Museum war noch provisorisch
in der Maximiliansstraße untergebracht. Mit einem Röntgenapparat
konnte man selbst beliebige Sachen durchleuchten. Der Lehrer
hielt seine Brieftasche hin und sie war leer. Wir lachten alle.
Doch als er sie vor uns aufschlug, war sie voll mit
Millionenscheinen. Die Strahlen waren durch das wertlose Papier
durch gegangen. Heute ist dieser Apparat nicht mehr im Museum,
weil man inzwischen die Gefährlichkeit der Strahlen erkannte.
Ich hatte meine Lehrzeit fast beendet. Die letzten 4 Wochen (Dezember
1923) erhielt ich einen viertel Dollar Wochenlohn. Die
ersten
4 Wochen als Geselle bekam ich 5 Mark Wochenlohn, wurde aber
ständig
aufgebessert. 1928 erhielt ich 25 Mark. Im April 1924 hatte ich
130 Mark erspart und ich kaufte mir dafür ein Fahrrad. Erding,
Scheyern, Dachau waren so die ersten Touren. Auf Pfingsten
Kelheim, Regensburg, Walhalla, Landshut, Freising. Im August
hatte ich erstmals Urlaubstage. Mit Freund Elfinger wanderten wir
von Schliersee über Gmund, Tölz, auf die Benediktenwand. In
einer Holzknechthütte konnten wir umsonst übernachten. Auf der
Tutzinger Hütte hätte es 3,50 Mark gekostet. So viel Geld
hatten wir nicht mehr. Wir brauchten außer der Fahrt vielleicht
6 Mark.
1925 ging die Urlaubsfahrt allein auf die Zugspitze. In
Freising fuhr damals Sonntags schon um halb 3 Uhr ein Zug nach
München,
damit man dort die ersten Züge in die Berge erreichte. So war
ich um halb 8 Uhr bereits in Garmisch. Über das Höllental auf
die Zugspitze. Am anderen morgen Abstieg zur Reinthalhütte,
Aufstieg über den Schachen auf die Meilerhütte. Nach einem
Gipfelbesuch der Dreitorspitze Abstieg über Ferchen- und
Lautersee nach Mittenwald. Hier blieb ich privat über Nacht.
Nachmittag Rückfahrt nach Freising.
1925 oder 1926 ist es meiner Mutter eingefallen, dass sie sterben
könnte und ich besaß keinen schwarzen Anzug. Im Nachbarhaus
hatte sich ein sehr guter Schneider nieder gelassen. Er hat ein
Mädel
aus unserem Haus geheiratet und sich deshalb mit seinem Vater
verkracht, der als Uniformschneider bei den Offizieren einen
guten Ruf hatte. Der Schneider im Nachbarhaus fertigte mir, als
ich noch nicht zwanzig Jahre alt war, auf Mutters Kosten einen
schwarzen Anzug für den Fall ihrer Beerdigung, als teuerstes und
bestes Stück im Kleiderschrank. Als meine Mutter fast 40 Jahre
später starb, war ich aus diesem Anzug natürlich längst heraus
gewachsen.
1926 Eine Woche Urlaub. Der Großglockner war das Ziel. (Die
Großglocknerstraße
war noch nicht gebaut.) Von der Früh um
halb 3 Uhr bis 5 Uhr nachmittags fuhren wir mit Personenzügen
nach Bruck Fusch. Schnellzüge wären uns zu teuer gewesen.
Übernachten
in einem Heustadel. Am Montag Aufstieg zum Franz Josef Haus. Es
war so starker Nebel, dass wir, als wir einen Mann sahen, fragten
wie weit noch bis zum Haus sei. Er stand auf den Stufen zum
Eingang. Das Wetter war zweifelhaft, so dass wir nur bis zur
Erzherzog Johann-Hütte wanderten. Wir hätten so am anderen Tag
eine Stunde erspart. In der Nacht schneite es 40 cm und damit war
es aussichtslos. Alle Bergsteiger stiegen ab. ( Anmerkung:
Mein Vater und sein Kamerad Elfinger hatten, von der
Zugspitz-Tour
einmal abgesehen, keinerlei Berg-Erfahrung. Wahrscheinlich
hatten
die Beiden sogar ein Seil dabei, aber keine Ahnung, wie damit
umzugehen war. Mein Vater hat sich für diese Tour einen
Eispickel und Steigeisen gekauft. Er hat sie nie benützt, jedoch
viele Jahre aufgehoben. Als ich, der Sohn, 30 Jahre später zur
Jugendgruppe des Alpenvereins ging und diese Ausrüstungsstücke
mit brachte, löste ich mit den Altertümern große Heiterkeit
aus. Den Eispickel benützte mein Vater bis zu seinem Tod als
Gartenwerkzeug. )
Wir stiegen mit 2 netten Wiener Herren, so Mitte 40, nach
Heiligenblut ab. Wieder war ein Heustadel Nachtquartier. Am
anderen Tag wanderten wir durch das Mölltal hinaus nach Lienz an
der Drau. Mit dem Zug fuhren wir über Spital und Bad Gastein
nach Salzburg. Die Wiener Herren fuhren von hier aus heim. Wir
blieben am Bahnhof über Nacht, besichtigten Salzburg und die
Festung. Am letzten Tag fuhren wir über Mühldorf - Landshut
wieder heim.
1927 (mündlich: Im Spätwinter 1927 hatte ich einen
Platten-Fotoapparat Marke Voigtländer für 128 Mark gekauft.
Leider blieben von den frühen Bildern wenig erhalten.)
Neben den üblichen kleinen Radtouren war der große Kolpingstag
das große Ereignis. Er fand über die Pfingstfeiertage in Wien
statt. Da wir schon am Freitag Nacht mit einem Sonderzug nach
Passau fuhren, musste ich für Samstag und Dienstag einen
Ersatzmann in der Bäckerei herbringen. Zum Glück fand ich einen
ehemaligen Schulkameraden. Im Passauer Dom war früh 3 Uhr eine
Messe mit anschließendem Orgelkonzert auf der eben fertig
gestellten größten Orgel der Welt. Auf der Donau stand ein
Sonderschiff bereit. Erst hieß es, es würden 2 fahren, aber
schließlich wurden alle auf eines gepfercht. Wir 20 Freisinger
fanden ein schönes Plätzchen hinter dem Speisesaal, wo die
Bierfässer gelagert waren und der deshalb abgesperrt war. Man
wollte uns einige male vertreiben, aber das Schiff war so
überladen,
dass man keinen Platz fand. Das Schiff lief hinten spitz aus und
wir konnten, auf unseren Fässern sitzend, links und rechts alles
sehenswerte anschauen, was denen, die in Schiffsmitte standen, 10
Stunden lang, eben nicht möglich war. In Wien fuhren wir mit der
Straßenbahn umsonst, weil jeder 100 Schilling vorzeigte, die der
Schaffner nicht wechseln konnte. Wir bekamen in der Neustiftgasse
Zimmer in einem Stundenhotel, was wir natürlich nicht wussten.
In der Votivkirche fand der Festgottesdienst statt. Auf dem
Heldengedenkplatz die große Feier. Im Festzug dort hin erregten
die Mainburger Gesellen Aufmerksamkeit, weil sie ihren Holledauer
Schimmel voraus trugen. In allen Wiener Zeitungen wurde das
vermerkt. Am Pfingstmontag Schönbrunn und Fest. Am Dienstag
Besichtigung von Stefansdom, Prater. Wir fuhren auch mit dem
Riesenrad. Abends ging es zum Heurigen. Nachts um 11 Uhr fuhr der
Sonderzug wieder ab Richtung München.
Ich hatte noch ein paar Tage Urlaub gut. Bei einer Radtour nach
Berchtesgaden ging es über Erding, Wasserburg, Traunstein,
Reichenhall. Die letzten Kilometer fuhr ich mit der Bahn, da es
ziemlich bergauf ging. Königsee, Salzbergwerk, Stift. die
Heimfahrt ging über Ramsau, Schwarzbachwacht, Inzell, Traunstein.
Von hier mit der Bahn nach Freising.
1928 gab es keinen Urlaub mehr, weil der nächste Lehrling
aus gelernt hatte und mir die Stellung gekündigt wurde. Nach 2
Wochen stempeln fasste ich den Entschluss, auf die Walz zu gehen
und zwar per Rad.
(Anmerkung:
Es war 1928 durchaus noch üblich, als Handwerksgeselle auf
Wanderschaft
zu gehen. Fragte ein wandernder Bäckergeselle in einer
Bäckerei
nach Arbeit und wurde negativ beschieden, so war es üblich, dass
er als
Wegzehrung eine Semmel bekam. Die Verpflegung bei der
Wanderschaft war also sicher gestellt. Für die Übernachtung gab
es in
größeren Orten Gesellenhäuser oder Kolpinghäuser.
(Der spätere Schwager Johann Heiß war Schreiner und kam
bei
seiner Wanderung etwa zur gleichen Zeit durch ganz Deutschland
bis nach
Hamburg, wobei er an einigen Orten kurzzeitig Arbeit bekam
und
auch etwas lernte, so zum Beispiel in Immenstadt die
Schi-Herstellung.)
Diese "Wanderschaft" war jedoch nach einem Tag
schon wieder zuende: Die Radtour führte lediglich
amperaufwärts.)
Ich kam bis Moorenweis, Landkreis Fürstenfeldbruck,
wo ich eingestellt wurde. Die Bezahlung war miserabel, 5 Mark die
Woche. Aber nachträglich muss ich sagen, dass es nicht das
schlechteste war. Im November kam der Kiening Hans (kein
Verwandter. Am Büchl in Freising hießen alle Kiening.), der
auch bei Zischka gelernt hatte, per Rad aus Bruck, wo er in
Stellung war. Er gab diese auf. Von meiner Mutter erfuhr er, wo
ich war. Ich stellte mich bei der Bäckerei Jocher (in
Fürstenfeldbruck)
vor und wurde auch gleich genommen. Bis Ende Januar 1937
hatte ich einen sicheren Arbeitsplatz. 1929 begann die
Weltwirtschaftskrise und Deutschland hatte 1932 6 Millionen
Arbeitslose.
Schon in Freising war ich Mitglied des Lehrlingsvereins und
trat dann zum Gesellenverein über. Dieser Verein spielte viel
Theater, aber das sonstige Leben war nichts besonderes. Außer
der Wienfahrt natürlich. In Fürstenfeldbruck war es ganz anders.
Natürlich gab es eine sehr gute Theatergruppe. Das Vereinsleben
war viel geselliger, obwohl es fast nur Bürgersöhne waren. Wir
waren vielleicht 5 bis 8 Flüchtlinge (Ortsfremde), wie
man heute so schön sagen würde. (Die Gesellenkammer in der
Bäckerei
war nur ein ungeheizter Schlafraum. Da konnte man sich in der
Freizeit kaum aufhalten. ) Jeder wurde von der ersten
Stunde
voll angenommen. In erster Linie lag das am Präses Kooperator
Schmidhuber. Er war jeden Dienstag pünktlich da. Der Verein
hatte kurz vorher einen kleinen Saal in einem kleinen Café
gefunden und eingerichtet, so dass wir hier ein eigenes Lokal
hatten. Kooperator Schmidhuber war schon nahe an die Fünfzig. Er
wartete auf eine bestimmte Pfarrei mit einer schönen Kirche:
Rottenbuch bei der Eschelsbacher Brücke. Er war alles andere als
bigott. Er sah die Welt wie sie war und nicht wie sie in den
Augen katholischer Pfarrer sein sollte. In den 4 Jahren, die ich
ihn hier erlebte, hat er keinen einzigen kirchlichen Vortrag
gehalten. Er reiste gerne und sprach darüber. Da ich selbst viel
auf Achse war, gab er mir oft Ratschläge über Kirchen, an denen
ich sonst vorbei gefahren wäre.
Zunächst beruflich: Es wurde hier noch früher aufgestanden,
nämlich um 2 Uhr, da das gesamte Weißgebäck um 6 bis halb 7
Uhr fertig sein musste. Die Bäckerei hatte einen elektrisch
gespeisten Ofen, der mit Nachtstrom beheizt wurde und um 6 Uhr
abgeschaltet wurde. So lange er eingeschaltet war, blieb die
Hitze gleichmäßig. Dann ging die Wärme schnell zurück. In
Bruck war im ehemaligen Klostertrakt die bayerische Polizeischule
untergebracht, schwankend zwischen 400 bis 600 Mann. Jeder
erhielt alle 4 Tage 2 Pfund Brot, das monatlich wechselnd von den
5 Bäckereien geliefert wurde. Da begann die Arbeit schon um halb
10 Uhr und es wurden 200 Wecken vor der täglichen Arbeit
gebacken. Denn bei Tag wäre der Ofen zu kalt geworden. Von wegen
48 Stunden-Woche.
1930 und 1931 nahm ich im Münchner Gesellenhaus je an einem
Konditoren-Kurs teil. Zweimal wöchentlich 3 Stunden. 1930 hatten
wir einen älteren Konditormeister als Lehrer, der aus der Praxis
kam, weil er selber als Stunden-Konditor in einigen Bäckereien
arbeitete. Der Lehrer vom Winter 1931, ein jüngerer Herr, ging
von Voraussetzungen aus, die wir als Bäckergesellen nicht
bringen konnten. Deshalb brachte dieser Kurs nicht viel.
(Mündlich: 1934 war ich in einem Meisterkurs in München. Am
9.4.1934 absolvierte ich die Prüfung als Bäckermeister in
München.
)
Da wir in Bruck schon um 2 Uhr nachts mit der Arbeit angefangen
haben, hatte wir nachmittags frei. Da habe ich dann wieder zu
lesen begonnen. Es gab eine Pfarrbibliothek. Der Benifiziat, der
sie betreute, war sehr tolerant. Neben kirchlichen
Schriftstellern waren auch solche vertreten, die von den Eiferern
nicht gerne gesehen wurden, wie Heer und Thoma.
Im Sommer 1932 erhielt Kooperator Schmidhuber die gewünschte
Pfarrei. Der neue Präses war genau das Gegenteil, bigott,
unpünktlich.
So war es kein Wunder, dass der Verein schnell auseinander fiel.
Als im Winter 1933 die Nazis zur Macht kamen, gingen sehr viele
Bürgersöhne
zur SA, schon aus geschäftlichen Gründen. Außer einigen Älteren,
die regelmäßig zum Kartenspielen kamen, waren nur noch ein paar
Jüngere im Gesellenverein.
Zur Ehre der Nazis sei gesagt, dass es in Bruck ruhig weiter ging.
Das mag daher rühren, dass alle Bonzen Brucker Bürger waren,
die alle kannten und auch bekannt waren. Mir sind nur ein oder
zwei Fälle bekannt geworden, die nach Dachau (ins KZ) kamen.
(Anmerkung: Für meinen Vater wären die Artikel im "Amperland"
sehr interessant gewesen: "Die SA in Fürstenfeldbruck"
(Amperland 2002 Heft 2 und 3) und "Zur Entnazifizierung im
Landkreis Fürstenfeldbruck" (Amperland 2007 Heft 1 und 3).
Leider hat er diese Veröffentlichungen nicht mehr erlebt. Es
bleibt wohl den Enkeln überlassen, die Nazizeit auf zu
arbeiten.)
Im Gegensatz zu Freising, wo allein aus meiner Schulklasse 6 (ins
KZ
kamen).
2 blieben dort (sind also umgekommen), 4
wurden nach einem Jahr entlassen und wurden im Krieg zum
Batallion 999 eingezogen, wo sie nicht mehr heim kamen. (Anmerkung:
Über
die Nazizeit in Freising habe ich selbst in der jüngsten Zeit
(2008) noch nichts
gelesen. Dieses Eisen ist wohl immer noch zu heiß, um von
Zeitschriften wie "Amperland" angefasst zu werden. )
Bei der Hochzeit eines Gesellenvereins-Mitglieds wurde dessen
Braut gestohlen. Er suchte sie in allen Wirtschaften. Nachts um
10 Uhr begegnete ihm Kooperator Schmidhuber, der einen Versehgang
(Besuch bei einem Sterbenden) hatte. Er fragte ihn, warum
er rumläuft. Er sagte dann: "lass dich gern haben, gehe
heim. Wenn es eine gescheite ist, kommt sie von alleine und um
ein Luder ist es nicht schade, wenn sie ausbleibt." Die
junge Frau lag daheim im Bett und weinte Rotz und Wasser, weil
der Mann schon am Hochzeitstag nicht heim kam.
Bei einer anderen Hochzeit hatten wir die Haustüre mit
Ziegelsteinen verbarrikadiert. Da man im Hochzeitsanzug kein
Werkzeug in der Tasche hat, wusste sich das Brautpaar trotzdem zu
helfen. Das Haus war so niedrig, dass man den Schlüssel in die
Dachrinne legen konnte. Der Hochzeiter half seiner Frau auf das
Dach, im weißen Brautkleid. Sie drückte ein Speicherfenster auf
und stieg ein. Mit einem Waschseil ließ sie einen Hocker
herunter, damit er auch aufs Dach und so in das Haus kam.
Eine weitere Hochzeit gab in Bruck Gesprächsstoff ab: Der
Schnetzer Girgl betrieb mit seiner Mutter eine Gärtnerei. Er
verkaufte seine Ware jeden Vormittag auf dem Marktplatz. Da seine
Mutter sehr bösartig war, konnte der Sohn nicht heiraten. Er
ging mit einer Köchin vom Marthabräu 17 Jahre lang. Als er das
Aufgebot bestellte, bat der den Beamten, er solle es im
Schaukasten etwas verstecken. Dieser zog den Schein jedoch auf
einen schwarzen Karton auf und befestigte ihn in der Mitte vom
Kasten. Der Redakteur der Zeitung, auch ein Junggeselle über 40
( bei der Machtübernahme (der Nazis) floh er rechtzeitig
nach Südamerika), schrieb, dass einer der letzten vom Fähnlein
der 7 Aufrechten zur Ehe ging. Auf Wunsch des Hochzeiters fand
die Trauung schon in der Frühmesse statt. Der Pfarrer selber las
die Messe. Bei der entscheidenden Frage "Willst du den
gegenwärtigen Mann zur Ehe nehmen?" zögerte die Braut
einen Moment. Der Pfarrer zischte: "No, nimmst ihn jetzt
oder nicht. Laufen tut ihr ja schon lang genug mit einander."
Überflüssig zu sagen, dass es an diesem Tag nur ein Thema in
Bruck gab.
Kooperator Schmidhuber hatte auch einen gemischten Chor gegründet.
In seinen jungen Jahren soll er eine sehr gute Tenorstimme gehabt
haben und im Freisinger Domchor Solo gesungen haben. Es waren so
20 Damen und so 10 Männer. Wir wurden eine Klicke und wanderten
auch sonntags zusammen.
Im Herbst 1931 fuhren wir nach Thiersee zu einem Theater. Der
Pfarrhof war damals zugleich eine Gastwirtschaft und schenkte
guten Wein aus. Mit einem Kameraden zusammen schlief ich bei
einem Bauern. Wir waren kaum im Bett, wurde dem Freund schlecht.
Er rannte zum Fenster, brachte den Kopf glatt durch die
Eisenstangen vor dem Fenster, aber leider nicht mehr herein. Nach
vergeblichen Versuchen weckte ich den Bauern und wir bogen mit
einer Wagendeichsel die Stangen aus einander.
Im Herbst gab es viele Zwetschgen und deshalb in der
Konditorei wenig zu tun, denn alles aß selbst gebackenen Datschi.
So war ich schon um 12 Uhr mittags fertig. Mit dem Rad fuhr ich
über München in Richtung Holzkirchen. Hier überholte ich
mehrmals einen etwa 40-jährigen Münchner. Er fragte mich:
"Wo fährst du hin?" "Ich weiß es noch nicht,
vielleicht nach Tegernsee." " Was möchtest du in den
teueren Nest, fahre lieber mit mir nach Hausham."
In Darching kehrten wir zur Brotzeit ein. Er bestellte 2 Maß.
Wer anschafft, der zahlt. Auch zweimal 2 Paar Wollwürste. Doch
sie schmeckten ihm nicht: "Magst es !". Nach dem
Mangfalltal hatten wir den Weyerner Berg zu schieben. Damals gab
es die Autobahn mit der Weyerner Brücke noch nicht und selbst
die Landstraßen waren nicht asphaltiert, die Autos allerdings
selten.
Am Weyerner Berg überholte uns ein Hanomag, der Kleinwagen der
Zwanzigerjahre: 2 Pfund Blech und 1 Pfund Lack und fertig ist der
Hanomag. Eine Frau fuhr. Links saß ihr Begleiter. Der Wagen
staubte uns völlig ein und blieb dann vor uns stehen. Als wir
vorbei schoben, lachten uns die Autofahrer aus. Sie fuhren dann
wieder in einer Staubwolke vorbei, um nochmal anzuhalten. "Wenn
sie kommen, hältst du mein Rad !" sagte mein Begleiter. Als
das Auto überholte, sprang er auf das Trittbrett und gab der
Frau links und rechts eine Ohrfeige. Darauf schaffte das Auto den
Berg auf einmal.
Im Naturfreundehaus in Hausham wurde abends getanzt. Da ich nicht
tanzen konnte, zog ich jedes mal das Grammophon auf.
Dieses Thema fehlt in der Aufschreibung meines Vaters. Es
gibt jedoch Fotos .
Faltboote waren um 1930 die aktuellen Sportartikel und deshalb
hat mein Vater auch eines gekauft. Die Amper in Fürstenfeldbruck
war ein geeigneter Fluss direkt vor der Haustüre. Flussaufwärts
bis Schöngeising oder flussabwärts in die delta ähnlichen
Verzweigungen bei Emmering kann man überall schön paddeln. Auf
der Donau von Ulm bis Wien zu paddeln, war der Traum der
Faltbootfahrer. Ein "Wasserwanderführer für die Donau von
Ulm bis Passau" existierte in unserem Haushalt bis in die
1960-er Jahre und ich habe ihn als Kind gerne gelesen. Meine
Eltern kamen mit dem Faltboot über die Amper und die Isar bzw.
Loisach bei Wolfratshausen nicht hinaus. Einmal fuhren sie mit
dem Boot auf dem Chiemsee. Nach dem Krieg hat meine Mutter das
Boot, dessen Gummihaut sicher schon brüchig war, noch in der
Reichsmarkzeit vertauscht.
Erst nach dem Tod meines Vaters erzählte sie mir eine etwas
peinliche Begebenheit: Die Faltbootfahrer brachten ihre Kleidung
und sonstigen Habseligkeiten in einem wasserdichten Gummisack im
Boot unter. Einmal hat mein Vater mit seinem Boot umgeworfen. Es
ist ihm selbst zwar nichts passiert, denn er konnte gut
schwimmen
und sein Boot hat er auch eingefangen. Aber der Kleidersack mit
seiner einzigen Lederhose, Geldbörse und sonstigen Kleidung ist
ihm davon geschwommen und er hat somit seine sämtlichen
Habseligkeiten und Geld bis auf die Badehose, die er an hatte,
verloren. Meine Mutter, die beiden kannten sich wohl noch nicht
lange, hat ihm dann Geld geliehen, damit er sich wieder Kleidung
kaufen konnte. So hat sich also meine Mutter ihren Mann
"gefischt".
Wenn ich heute mein Leben so überblicke, kann ich wohl sagen,
dass die Brucker Jahre zu meinen schönsten zählten und mich
entscheidend prägten. In Bruck lernte ich auch meine Frau
Margarethe kennen. Sie war in der gleichen Bäckerei (von
15.10.1930
bis 15.6.1933) beschäftigt. 1933 ging sie für einen Sommer
nach hause ( zur Ernte in der elterlichen Landwirtschaft) und
trat
im Herbst eine Stelle in München (als Köchin bei der Familie
Späth, die weiter unten nochmal genannt wird) in der
Zenettistraße an.
Meistens trafen wir uns dann alle 14 Tage, so in der Gegend
Gräfelfing.
( Am freien Mittwoch nachmittags fuhren wir mit dem Rad los
und trafen uns auf halbem Weg zwischen Bruck und München im
Kreuzlinger Forst. Wir hatten ja noch kein Telefon zur
Verfügung.
Für alle Mitteilungen wurden Postkarten geschrieben. )
Mit dem Urlaub haperte es bei Gretls Stelle in München. Zweimal
erhielt sie je eine Woche. 1934 fuhren wir nach Südtirol und
1935 an Rhein und Mosel. (Am Rhein war die Radler-Gruppe
allein
schon durch ihre Lederhosen als Bayern erkennbar und
aufgefallen.)
Sonntags- und Wochenendfahrten
unternahmen wir mehrere.
1936 Ich ging schon an die 30 und ich machte mir Gedanken
für meine Zukunft. Ich wollte nicht immer in abhängiger Stelle
sein, sondern für mich selbst arbeiten. Inzwischen war ich
erster Geselle geworden. Die Bäckergesellen, die eingestellt
wurden, wechselten rasch, da 12- und 14-stündige Arbeitszeit
nicht mehr gefragt war. Die Arbeitslosigkeit war abgebaut.
1937 Im Januar 1937 gab ich die Stelle in Bruck auf. Gretl
besorgte mir ein Zimmer bei Schweizer in der Zenettistraße (Josef
Schweizer,
Polier bei der Firma Späth, wurde bald darauf der
Schwager, da er Gretls Schwester
Kathi (siehe deren Lebensgeschichte)
geheiratet hat.) und ich ging auf Geschäftssuche. Ich
fand eines in der Parkstraße. Es war ein Eckgeschäft, kostete
5000 Mark (Ablösung für die Einrichtung) und 300 Mark
Monatsmiete. Am 25. Februar 1937 haben wir geheiratet und am
gleichen Tag das Geschäft gekauft. (Für den Kaufpreis
reichten unsere Ersparnisse nicht aus, deshalb gab meine Mutter
in Freising noch ihr Spargeld dazu.)
Sicher, die Arbeitszeit war nicht kürzer, aber wir
arbeiteten doch für uns.
(Anmerkung: Das muss ich, der Sohn, nun doch etwas erläutern:
Mein Vater ging spätestens um 4 Uhr in die Backstube, damit um 6
Uhr, wenn meine Mutter den Laden öffnete, Brot und Semmeln
fertig waren. Gleich am frühen Morgen kamen die Berufstätigen
einkaufen, um ihre Brotzeit mit in die Arbeit zu nehmen. Am
späten
Vormittag war mein Vater in der Backstube mit der Arbeit fertig
und konnte meine Mutter im Laden vertreten. Dann hatte meine
Mutter etwas Zeit für die Hausarbeit. Um 6 Uhr abends wurde
normalerweise der Laden geschlossen, geputzt und das Geld
gezählt.
Um 8 Uhr abends fielen beide müde ins Bett. Auch ich als Kind
und Jugendlicher musste zwangsläufig um 8 Uhr ins Bett, was
meine Freunde sehr verwunderte: "Eine seltsame Familie !
" Frei waren nur Samstag nachmittags und Sonntag. Urlaub und
Krankheit war in diesem Lebensplan nicht vorgesehen.)
(Kommentar, eingefügt 2018:
Die Militärdienstzeit nimmt einen großen Teil seiner
Lebensgeschichte ein. Er schreibt aber nichts über das Militär,
sondern immer nur darüber, wie er sich privat der
Befehlsmaschinerie zu entziehen versuchte, ohne damit an zu
ecken.Es geht immer nur darum, wie er das autoritäre System
ausgetrickst hat. In den Jahren der Gefangenschaft gab
es diese Möglichkeiten nicht mehr.
Es sollte nicht vergessen werden, dass während der
Lebenszeit meines Vaters zweimal das Geld seinen Wert völlig
verloren hat (1923 und 1948) , alle Ersparnisse einer falschen
Politik geopfert wurden. Es wäre ungerecht, ihm vor zu werfen,
dass er am Ende seines Lebens fast vor dem Nichts stand, nichts
Bleibendes geschaffen hat, weder materiell noch ideell, mit
Ausnahme seiner vorstehenden Lebensgeschichte.
Die beiden Kriege, die er erleben musste, waren keine
Naturkatastrophen, sondern mutwillig von einer wahnsinnigen
deutschen Staatsführung verursacht. )
Fortsetzung des Originaltextes:
Politisch ging es nun rasant. Im Frühjahr 37 (der
Anschluss von) Österreich, im Herbst Sudetengau, 1938
Saargebiet und die Tschechoslowakei. 1939 begann dann der Krieg.
Schon ein paar Wochen vorher wurde alles rationiert.
1940 im September erhielt ich die Einberufung (zum
Militär). Das Geschäft wurde geschlossen. ( Die Vorräte
der Bäckerei (Mehl, Zucker) mussten an eine Sammelstelle zurück
gegeben
werden.) Die
Miete wurde vom Staat bezahlt. (Sie war ja das Mehrfache eines
normalen Monatseinkommens.).
Zur Rekrutenausbildung musste ich nach Neuburg an der Donau.
8 Wochen später wurden wir zu den Landesschützen nach München
versetzt. Hier konnte ich an wachfreien Abenden nach Hause gehen.
(Anmerkung: Diese Einberufung gehörte schon zu den
Vorbereitungen des Rußlandfeldzuges im folgenden Jahr, denn
militärisch war zu diesem Zeitpunkt wenig los. Polen, Frankreich
und
Norwegen war besetzt. Das Militär hatte sich verausgabt
und
musste sich neu aufstellen. Am Anfang des Krieges wurden zuerst
die
jungen Wehrpflichtigen, die Jahrgänge um 1920 eingesetzt. Wer
überlebt
hatte, wurde befördert und kommandierte nun die 1940
eingezogenen schon
älteren Jahrgänge von 1906 bis 1914. Die Geburtsjahrgänge von
1914 bis
1919 fehlten fast völlig, denn während des ersten Weltkrieges
wurden
wenig Kinder geboren. So ergab sich die paradoxe Situation, dass
die
Dienstgrade um 20 Jahre alt, die Mannschaft aber um 35 Jahre alt
war.
Bis zum Beginn des Rußland-Krieges wußte das Militär mit
den neuen Rekruten wenig anzufangen, deshalb durfte mein
Vater oft nach hause.
Mein Vater rechnete nicht mit einem schnellen Ende des Krieges
und einer Wieder-Öffnung seiner Bäckerei.
Da meine Mutter durch den Krieg praktisch ohne Beschäftigung
war, haben meine Eltern nun offensichtlich geplant und
konsequent
ein Kind erzeugt, eben mich, der diesen Text eintippt. In den 6
Jahren ihrer ledigen und bis dahin 3 Jahren ehelichen
Partnerschaft war ein Kind praktisch nicht möglich, da meine
Mutter ja stets als Arbeitskraft einsatzfähig sein musste. Die
Entscheidung für ein Kind erfordert einen gewissen Optimismus
für
die Zukunft. Ob sich meine Eltern anders entschieden hätten,
wenn sie geahnt hätten, wie schlimm der Krieg enden wird, habe
ich leider versäumt zu fragen.
Die Entscheidung für ein Kind hatte auch eine praktische Seite.
Kinderlose Frauen wurden zur Arbeit in den Rüstungsfabriken
dienstverpflichtet. Mit einem kleinen Kind ersparte sich meine
Mutter diese Belastung.)
Im Mai 1941 wurden alle Bäcker und Metzger aussortiert und in
die Blumen- und Martinsschule versetzt. Schon einige Wochen später
wurden Bäcker- und Schlächtereikompanien zusammen gestellt. Wir
kamen nach Arnsberg in Westfalen. Hier stießen dann noch
Kraftfahrer zu uns. Die Lastwagen mussten wir in Paris abholen. (Die
französischen
Autofabriken
produzierten also schon für das
deutsche Militär.) Ich war als Beifahrer eingeteilt, so
dass
ich bei dieser Gelegenheit die Stadt Paris kennen lernte. 4 Tage
waren wir dort. Über Brüssel - Aachen ging es wieder nach
Arnsberg. Hier wanderte ich zum Möhnesee und einmal zur
Sorpetalsperre. Hier in Westfalen wurden fast alle Flüsse zu
Seen aufgestaut und als Trinkwasser-Reservate verwendet.
Im August 1941 ( begann der Rußland-Feldzug und ) es ging
per
Lastauto auf der Autobahn über
Braunschweig, Magdeburg, Frankfurt an der Oder nach Warschau. (Das
Fotoalbum
enthält Bilder, die vermutlich das Warschauer Getto
zeigen.) Wir waren Armee-Bäckerei der Panzerarmee Nord. Im
Gegensatz zu Divisions-Bäckereien, die beim Vormarsch oft nur 1
bis 2 Tage an einem Orte lagen, blieben wir oft 14 Tage an einem
Ort liegen und versorgten zum Schluss den Nachschub. Aber wenn
verlegt, kamen wir bis zur Front. Der östlichste Ort der
Nordfront war Orel. Hier besetzten wir eine russische Brotfabrik.
Sonst wurde in 3 Schichten in der Bäckerei gearbeitet. Dazu
Arbeitsdienst, Brotausgabe und Holz machen. Wir verheizten täglich
4 Ster Holz, kurz geschnitten und gehackt wie für einen
Küchenherd.
Das gab allerhand Arbeit so nebenher. Wenn das Aggregat ausfiel,
jeden Monat so 1 bis 2 Tage, es lief ja jeden Tag 18 Stunden,
mussten wir den Teig von Hand mischen und kneten. Alle 2 Stunden
500 Kommissbrote. Dazu den nötigen Sauerteig. Das Wasser dazu,
ca. 1500 Liter musste so nebenbei an irgend einem Brunnen besorgt
werden. Wir hatten 5 Wasserfässer zu 200 Liter. Erst später
nahmen die Kraftfahrer einen liegen gebliebenen Tankwagen mit,
der 3000 Liter fasste. Das waren die Probleme für das
Vorauskommando, wo backen, wo Holz und wo Wasser. Abbruchreife
Holzhäuser gab es ja oft, aber Wasser war rar. So eine Zisterne
war rasch leer. Unsere Backmeister und Schichtführer waren fast
alles jüngere Leute, die als Zivilisten zu Bäckereikompanien
eingezogen wurden und erst in München beim Ersatzbatallion zu
Soldaten ausgebildet wurden.
Wir hatten vor allem im strengen Winter 1941 - 42
Schwierigkeiten, denn das Rezept, das man uns mitgegeben hat,
welche Menge Wasser, Mehl, Sauerteig und Holzstreumehl (?) funktionierte
nicht
mehr.
Wir haben da ein Zeug gebacken, das nach 8 Tagen noch
am Messer klebte. Ich sagte dem Backmeister, er solle den
Sauerteig verdoppeln und da ging es wieder. Er hat mich immer gut
leiden können. Ich bekam noch vor den Schichtführern das
Kriegsverdienstkreuz. Das gab Neid.
Die Post war immer bei der Armeeführung und einmal brachte der
Feldwebel nur ein Telegramm für mich, dass mein Sohn geboren
wurde (30.8.1941). Dadurch wussten es gleich alle und es
wurde natürlich gefeiert. Ich hatte schon etliche Flaschen Sprit
und Zucker gehortet. Einmal war eine Zuckerfabrik in der Nähe.
Der Spieß spendierte noch 2 Flaschen Sekt.
Im Frühjahr 1942 musste unsere Kompanie jeden Samstag
einen Verpflegungszug ausladen. Dafür fuhren wir als Begleitung
für das Leergut. Unsere Kompanie erhielt 2 bis 3 Karten im Monat
für den Fronturlauber-Zug. Es hätte Jahre gedauert, bis wir
alle an die Reihe gekommen wären. Wir waren 3 Münchner und da
die Einheit ja von München kam, waren wir bis Mai 1941 daheim.
Deshalb waren wir die letzten.
Mitte August mussten wir zum Chef (Hauptmann der Kompanie).
Er sagte uns, dass im September anfangs, Mitte und ende, je eine
Platzkarte für uns da sei. Aber er hatte im
Armeeverpflegungslager gehört, dass 3 Waggon leere Bierfässer
nach München vorbereitet wurden. Wir entschieden uns natürlich
für diesen Weg. Bei den Platzkarten begann der Urlaub in
Brest-Litowsk.
Beim Fässertransport aber am Zielort in München. Am 10.
September nachts ging es los mit dem Zug nach Bryansk. Im Bahnhof
Ost luden wir die Waggons mit Bierfässern voll, wobei wir im 3.
Waggon die Fässer nur außen herum als Kugelfang auftürmten und
in der Mitte Platz für uns ließen. Der Zahlmeister meinte, 3
Wochen seien wir wohl unterwegs und wir erhielten für diese Zeit
Marschverpflegung. In Bryansk-West standen wir wieder 1 Tag und
da sahen wir, wie ein Flak-Kommando (die Züge waren gegen
Luftangriffe und Partisanenangriffe bewaffnet.), das die
gleiche Marschverpflegung bekommen hatte, wieder mit vollen Säcken
daher kam. Die haben nochmal Verpflegung geholt auf Urlaubsschein.
Das konnten wir auch. Unterwegs haben wir nur gegessen, was nicht
so lange gehalten hat. An jedem Haltepunkt holten wir beim Roten
Kreuz warme Erbsensuppe. In Brest sprach eine Schwester so
bayerisch. Ich fragte, wo sie daheim sei. In Mühldorf. Jahre
später,
bei der Entlassung in Hammelburg sah ich diese Schwester wieder
und sie hat sich gefreut, als ich sie anredete. Über
Tschenstochau - Hindenburg - durch Oberschlesien, nach Prag, über
Eger kamen wir nach Regensburg. Hier erhielten wir 4 Würste als
Verpflegung nach München. In Laim sagten uns die Eisenbahner die
Wagen zur Hackerbrücke (Hacker- und Pschorrbrauerei). Mit
der Straßenbahn fuhr ich heim und sah zum ersten mal meinen (inzwischen
1
Jahr
alten) Sohn. Am nächsten Morgen holte ich mein Gepäck.
Dem Lademeister sagten wir, abends holen wir die Papiere. Mit
diesen meldeten wir uns am anderen Morgen beim Kommando im
Hauptbahnhof. Ein junger Leutnant mit Ritterkreuz, der nur mehr
einen Fuß hatte, bestellte uns für abends um 10 Uhr wieder und
da begann der Urlaub am anderen Tag mittags um 12 Uhr. Wir hatten
also 3 Tage heraus geschunden.
Die Rückfahrt trat ich mit dem Fronturlauberzug "Paris -
Wien - Brest" an. Mit einem Anschluss in Minsk und Bryansk
wollte ich zur Kompanie. In Brest traf ich einen Kameraden, der
schon vom 2. Urlaub zurück kam. Der sagte mir, dass die Kompanie
wahrscheinlich in Deutschland sei. So war es auch. Mit einem
neuen Marschbefehl ging es wieder die Strecken zurück, über
Frankfurt an der Oder, Berlin nach Osnabrück. Als ich mich beim
Spieß meldete, ich war der letzte von uns dreien, meinte er, ob
ich etwas dagegen hätte, wenn ich gleich wieder in Urlaub müsste.
Es ging also wieder für 14 Tage heim. Als ich Ende November zur
Kompanie zurück kam, war ich ein Vierteljahr weg. Ende Dezember
fuhr ich schon wieder wegen Familienangelegenheiten.
(Anmerkung: Bei den "Familienangelegenheiten"
konnte es
sich nur um die "Evakuierung", also den Umzug von Frau und
Kind nach Hattenhofen ins Haus der Großeltern
handeln. Als
die Bombenangriffe schlimmer wurden, verließ alles die Städte
und
suchte auf dem Land Unterschlupf. In die unbenutzte
Bäckerei und
die dazu gehörende noch möblierte 1-Zimmer-Wohnung wurden in der
Folgezeit bis Kriegsende immer wieder "Ausgebombte"
untergebracht, also
Restfamilien, die durch die Bombardierung obdachlos geworden
waren. )
Der Kompanie-Chef, in
Zivil ein evangelischer Pastor, war prima in dieser Beziehung.
Diesmal wurde ich telegrafisch zurück geholt.
1943 Am 10. Januar wurden wir in die Bahn verladen und in
3 Tagen ging es über Magdeburg, Breslau nach Kiew. Bei jedem
Lokwechsel stand schon eine neue Lok bereit. Die müssen uns
notwendig brauchen. Ein Vierteljahr haben wir nur das Brot
gebacken, das wir selber gegessen haben. Wir kamen nach Charkow.
Hier ging es rund. Die O.T. (Organisation Todt, heute
"Technisches
Hilfswerk", benannt nach dem Leiter der Organisation, der hieß
nämlich
Todt) baute
die Straße zu unserem Betrieb aus. Eine Wasserleitung wurde vom
See herauf gelegt. Russen machten das Holz. Wir bekamen von einer
aufgelösten Bäckerei-Kompanie noch 3 Back-Anhänger (Backöfen).
Mitten in diesem Trubel kam der 2B der Armee, ebenfalls ein
General, und sagte, so ein Glück wie wir möchte er auch haben.
Wir kamen wieder zurück nach Deutschland, denn wir wurden von
einer Kompanie abgelöst, die beim Rückzug ihr gesamtes Gerät
verloren hat.
Mit unseren Lastautos wurden wir wieder in die Bahn verladen.
Diesmal ging es über Brest, Königsberg, Berlin nach Soest. Der
Chef schickte alles in Urlaub. Wir erhielten ein neues Gerät.
Alles wurde auf Khaki-Braun um gespritzt. Von Soest wanderte ich
wieder zum Möhnesee. Die Staumauer war durch einen englischen
Torpedo haargenau in der Mitte getroffen worden und das
auslaufende Wasser hatte Hunderten in den Städten an der Ruhr
den Tod gebracht, da das Hochwasser ja nachts kam. Darauf ließ
man alle Stauseen in Deutschland auslaufen.
Mitte Juli 1943 fuhren wir wieder mit der Bahn über Fulda,
Frankfurt, Karlsruhe, Mühlhausen, Lyon, Marsaille, am Mittelmeer
entlang nach Narbonne an der spanischen Grenze. Etwas landeinwärts
nach Carcassonne. Hier wurden wir ausgeladen. Kein Mensch wusste
weiter. Mit einem Kameraden wanderte ich hinauf zur Burg, die ja
als die größte erhaltene Burganlage der Welt gilt. Zwischen
kleinen alten, aber bewohnten Häuschen sahen wir eine baufällige
Kirche. Alles war wie vor 500 Jahren.
Bram, etwa 20 km landeinwärts, wurde unser neues Domizil. Wir
Bäcker
wurde alle in einem Café einquartiert. Im Ort war ein Lager für
gefangene Rotspanier, diese wurden zur Arbeit herangezogen. Wir
hatten dafür Vormittags exerzieren. Nachmittags war Schwimmen
Dienst. Bei Bram führte der Rhone-Loire-Kanal vorbei ( Canal
du Midi) . Es wurde erzählt, dass Frankreich diesen Kanal
nach dem 1. Weltkrieg als Kriegsentschädigung zur
Großschiffahrtsstraße
ausbauen wollte, um das Mittelmeer mit der Biskaya zu verbinden.
England habe diesen Plan hintertrieben, damit Gibraltar seinen
strategischen Wert nicht verlor.
Mit einem Kameraden bin ich viel herum gelaufen. Einmal sind wir
zu einem hoch gelegenen Dorf gewandert. Hier sah man in die
Pyrenäen.
Ein älterer Franzose sagte uns, dass hinter diesen Bergen
Lourdes sei. "Da müssen wir den Backmeister hin hetzen." Am
anderen Tag beim Baden erklärten wir es ihm. Er redete mit dem
Kompanie-Chef. Am Freitag sagte er, wir fahren hin. Als wir am
Samstag dann den Marschbefehl holen wollten, meinte er, das ginge
leider nicht, weil es mit der Bahn über 350 km seien. Ja wenn
wir einen Grund hätten. Im Krieg waren viele Hotels als
Lazarette beschlagnahmt. Ich sagte saukalt, mein Bruder sei dort
im Krankenhaus. (Ich war ein Einzelkind und hatte gar keinen
Bruder.) Nach kurzem Überlegen: "Das geht." Mit
Marschverpflegung versorgt, saßen wir mittags um 12 im Zug nach
Toulouse. Von da ging es Richtung Pau und abends erreichten wir
Lourdes. Schnell waren wir durch den Ort. Einen Soldaten fragten
wir wegen Übernachtung. In der Kommandantur erhielten wir ein
Freiquartier zugewiesen. Der Wirt bot uns markenfreien
Hasenbraten zu 5 Mark an. Er war prima. Am anderen Morgen in der
alten Pfarrkirche war alles leer. Ein alter Herr zeigte uns den
Wallfahrtsbezirk. Ein Mesner führte uns in eine kleine Kirche im
2. Stock. Hier stand Beichtstuhl neben Beichtstuhl. Bei einem
deutsch sprechenden Pfarrer, offenbar ein Elsässer, konnten wir
gleich beichten. Der Pfarrer schimpfte nicht schlecht auf Hitler.
Vor der Kirche gab es Verkaufsstände mit allem möglichen Kitsch. (Ein
kleines
Fläschchen
mit Wasser aus Lourdes existierte in unserem
Haushalt noch bis in die 50-er Jahre.)
Nach der Mittagspause marschierten wir wieder los. Am Abend
vorher hatten wir am Ortsende eine Seilbahn entdeckt, die auf
einen 2000 m hohen Berg fuhr. 5 km war bis zur Talstation. In der
größten Mittagshitze latschten wir durch das enge Tal. Der
Backmeister jammerte. Bei km 5 setzte er sich auf den Stein.
"I gang koin Schritt mehr!" Ich schaute um die Kurve
der Straße. Da war die Talstation. Gleich wurde eine Großkabine
abgefertigt. Auf dem Gipfel hat es ihm dann schon gefallen. Beim
Rückmarsch war es dann schon kühler. Mit dem Zug kamen wir
wieder nach Toulouse und haben im Soldatenheim übernachtet. Am
nächsten
Morgen in Richtung Bram blieb der Zug 5 km vor Bram stehen. Das
Gleis war gesprengt worden. 8 Stunden saßen wir Mitte August im
Zug. Meinen Vorschlag, die 5 km zu laufen, lehnte der Backmeister
ab. "I gang koin Schritt!". Abends bei der
Befehlsausgabe meinte der Spieß zu mir, er hätte nicht
geglaubt, dass ich so verrückt auf Berge sei. Er wäre nicht mit
gelaufen. Aber gefallen muss es dem Backmeister doch haben, denn
am nächsten Wochenende wollte der Spieß mit 2 Kraftfahrern los
ziehen. Aber wir wurden nach Italien verlegt.
In Italien hatte es einen Umsturz gegeben. Mussolini war
verhaftet worden. Die neue Regierung schloss einen
Waffenstillstand mit den Engländern, die schon Süditalien
erobert hatten.
Die Fahrt nach Italien war schön. Sie ging von Narbonne durch
Südfrankreich
immer der Küste entlang über Nizza, Genua, Mailand, Verona. Wir
fuhren nur bei Tag und hatten Platz im Zug, da die Kraftfahrer
bei den Autos blieben. In Verona wurden wir in ein Kloster
einquartiert. Arbeit hatten wir hier nur eine Schicht und dadurch
viel Freizeit.
Später wurden wir auf Kommandos aufgeteilt. Ich kam mit 4
Kameraden nach Brixen in eine italienische Privatbäckerei.
Abwechseln backten wir 3 Tage und der Boss 3 Tage. Zur
Brotausgabe und Wache wurde nur 1 Mann benötigt. Der
Unteroffizier war prima und ließ mich in der Freizeit Ausflüge
unternehmen. Einmal unternahm ich eine Tagestour auf die Plose.
Für
die Hüttenwirtin nahm ich 2 Brote mit, im Tausch gegen Essen.
Sie warnte mich vor Partisanen. (Wahrscheinlich waren die
Partisanen besser informiert und wussten, dass hier nur ein
harmloser Bäcker herum lief.) Aus einem verlassenen
italienischen Camp, die Italiener waren beim Umsturz heim
gelaufen, nahm ich Bergstiefel, Zeltbahnen und so weiter mit. Ein
Auto von unserer Kompanie brachte die Sachen als Paket nach
Kiefersfelden (zur Post.) Wir besaßen noch 3000 Liter
Benzin, das wir in Russland in unserem Wassertank gefüllt
hatten, vor der Sprengung eines Tanklagers. Dadurch waren solche
Fahrten noch möglich. Das Paket kam lange nicht an, weil die
Adresse verwischt wurde. Nach Rückfrage bei der Kompanie gab ich
die Adresse nochmal an. Das Kommando in Brixen wurde wieder
aufgelöst und wir kamen zur Kompanie nach Triest zurück.
Von hier gab es auch wieder Urlaub. Am Bahnhof hieß es, der
gestrige Fronturlauberzug ist vor einer Stunde durch. Ich ging zu
den Eisenbahnern und für eine Schachtel Zigaretten erfuhr ich
den nächsten Güterzug zum Brenner. Hier das gleiche nach
Innsbruck. Mit Personenzügen kam ich nach Hattenhofen, wo meine
Familie jetzt war. Vormittags um 10 Uhr war ich da und fand meine
Leute gerade beim Auspacken des Paketes. Das Dreirad wurde gleich
von Sepperl in Beschlag genommen.
Zur Rückfahrt war die Auffangstelle für Italien-Urlauber (heute
versteht
man darunter die entgegen gesetzte Richtung) in der
Schwanthaler Schule. Hier erfuhr ich von Leuten, wie man einige
Urlaubstage heraus schinden konnte. Der Spieß zählte die Leute
abwechselnd von rechts und von links ab, denn er konnte nur so
viele Fahrkarten ausgeben, wie im Zug Platz hatten. Bis ich halt
dem Spieß auffiel. In Triest zeigte mir der Hauptfeldwebel den
soeben ausgestellten Suchbefehl.
Für einige Wochen kam ich dann nach Udine. In einer
italienischen Militärbäckerei hatten wir die Aufsicht. Als das
Kommando verkleinert wurde, kam ich weg. Mit dem Unteroffizier
habe ich mich nie gut verstanden. Da wir Zahlmeistern
unterstanden, der Häuptling war Münchner, schrieb er uns den
Marschbefehl nach Parma, wo die Kompanie jetzt war, über Mestre
- Venedig, Padua - Verona. So konnte ich einige Stunden in
Venedig sein.
In Parma arbeiteten wir schichtweise in einer großen
italienischen Brot- und Nudelfabrik. Zweimal wurde ich vom
Backmeister, der mich ja gut kannte, als Begleiter mit 3 Waggon
Brot nach Livorno eingeteilt. Das erste Mal wurden wir in einem
Bahnhof bombardiert und blieben drei Tage liegen. Das zweite Mal
war ich in einem Tag dort. Ich bat den Zahlmeister, der mir das
Brot abnahm und mich mit Marschbefehl zurück schickte, mir einen
solchen über Florenz nach Parma auszustellen. So weit ging die
Freundschaft doch nicht, aber über Pisa konnte ich fahren.
Im Frühjahr 1944 gab es wieder Urlaub. Ich ahnte nicht, dass
es für Jahre das letzte Wiedersehen zuhause war.
(Anmerkung: Mein Vater ahnte jedoch, dass die Lage gefährlicher
wurde. Er ließ in diesem Urlaub seine Armbanduhr, Fotoapparat
und Ehering zuhause, also alle Wertgegenstände. Deshalb gibt es
ab diesem Urlaub keine Fotos mehr. Alle bisherigen Kriegsfotos
hat mein Vater offensichtlich in diesem Urlaub in ein Album mit
dem Titel "Kriegserinnerungen" geklebt, allerdings ohne
Beschriftung. Das Album existiert noch. Nach der Niederschrift
seiner Lebensgeschichte ließ ich mir erklären, was auf den
Fotos war und notierte die Titel. Sehr aussagefähig ist diese
Liste leider nicht und einige Städtebilder sind eindeutig falsch
zugeordnet.
Erst die Digitalisierung der Bilder im Jahr 2006 mit
Vergrößerung
auf Bildschirmgröße ließ Details erkennen. Für Nachfragen war
es da zu spät.)
Im Sommer 1944 kam der "Heldenklau" und einschließlich
Jahrgang 1907 wurden alle zur Kampftruppe abgestellt. Die neue
Division wurde in Genua aufgestellt. Hier fuhren wir einmal mit
der Zahnradbahn auf einen Berg mit einer Wallfahrtskirche für
die Marine. Wieso die Marine auf die höchsten Berge ging, weiß
ich nicht. ( Die Bergspitze ist das erste, was der Seemann
sieht, wenn er sich dem Land nähert.) In Marsaille war ich
Jahre später in einer solchen und auch in Barcellona soll es
eine solche geben. In der Kirche trat ich für einen Kameraden
den Blasbalg der Orgel. Er war in Zivil Kantor an der
Marienkirche in Lübeck. Er war ehrlich erschüttert, als der
Kompanie-Chef einen "anständigen Walzer" hören wollte.
In nächtelangen Märschen ging es über La Spezia, Carrara,
Forli nach Rimini. ( Bei Nacht wurde marschiert. Bei Tag
versteckte sich die Truppe in den Weinbergen und schlief. Wegen
der feindlichen Flieger waren keine Märsche bei Tag möglich.
Einen Zugverkehr gab es scheinbar nicht mehr oder was sollte das
Marschieren für einen Sinn haben ? Als die Soldaten dann vor
Übermüdung
in einem Dämmerzustand waren, wurden sie zum Kampf eingesetzt. )
Etwa 6 Wochen war ich im Einsatz, (stets marschierend ?.
Anmerkung: Von Genua bis Rimini sind Luftlinie etwa 300
km. Da
sind die Soldaten wirklich 6 Wochen lang jede Nacht mit schwerem
Gepäck
durch die Finsternis gestolpert, ohne Orientierung. Wenn das der
übliche
Einsatz der Kampftruppen war, kommen mir schon Zweifel an der
Kompetenz
unserer Militärführung. Die "Heldenklau-Division" hat sich
genauso
schnell wieder aufgelöst, wie sie aufgestellt wurde. )
Ausgerechnet
am 18. September 1944 (also am 37. Geburtstag) standen
nach
schwerem Artilleriebeschuss plötzlich die Tommies (Englische
Soldaten und Panzer) vor unseren Löchern. Alles war
zwecklos und wir (hoben
die
Hände und ) gingen mit.
(Anmerkung: Mein Vater war also von September 1940 bis
18.9.1944
4 Jahre lang aktiv beim Militär. Als er nach 4 Jahren erstmals
wirklich einem Feind gegenüber stand, machte er "Hände
hoch", anstatt zu kämpfen. Das wurde mir erst nach seinem
Tod bewusst. Ich konnte ihn nicht mehr zu diesem Thema fragen.
Bestimmt war es nicht seine persönliche Entscheidung, denn er
war ja nicht allein. Hätte einer aus der Gruppe geschossen,
hätte
es den anderen nichts genützt, die Hände hoch zu heben. Sie
wären
alle tot gewesen. Das musste der Anführer der Gruppe
entscheiden, ein Unteroffizier. Ich kann diese Entscheidung nur
als sehr vernünftig bezeichnen, denn dadurch blieb mir mein
Vater erhalten. Ohne ihn wäre mein Leben und das
meiner Mutter sicher ganz anders verlaufen.
In meiner Jugend las ich viele der damals aus der Nazizeit übrig
gebliebenen Kriegsbücher, in denen stets von der Tapferkeit der
Soldaten die Rede war. Heute sehe ich das realistischer, nämlich
dass die Tapferkeit stets die Materialüberlegenheit ist, den
Gegner durch eigenes Feuer an der Gegenwehr zu hindern. Besteht
keine Überlegenheit, so nützt die Tapferkeit gar nichts. Der
Unterlegene entgeht dem Tod nur, wenn der Feind ruhig genug ist,
die Unterwerfung noch rechtzeitig zu erkennen.
Die Militärführung unterschied wohl zwischen "wertvollen,
kampfstarken", gut ausgerüsteten Einheiten und "schlechten,
schwachen" schlecht ausgerüsteten. Die "guten"
Truppen wurden stets rechtzeitig abgezogen, bevor sie in
feindliches Feuer gerieten und zeigten ihre Kampfkraft dann,
wenn
sie mit Übermacht drauf hauen konnten, ohne selbst Schläge zu
bekommen. .
Die "schlechten" Truppen, zu denen die 6-Wochen-Infanterie
mit meinem Vater gehörte, erhielten dagegen den Befehl, die
aussichtslose Stellung zu halten. Als Strafe für ihr "Versagen"
wurde die Gruppe beim Abmarsch in die Gefangenschaft noch von
der
eigenen Artillerie beschossen, wie im folgenden berichtet: )
Originaltext Fortsetzung:
Als wir einen Berghang entlang gingen, schoss die deutsche
Artillerie auf uns. Schnell sprangen wir in den Graben. Nur der
englische Bewacher schaute sparsam und bekam einige Splitter ab.
(Anmerkung: Die Beschießung war sicher kein Zufall. Immerhin
hatten die Infanteristen soviel
Kriegs-Erfahrung, dass sie Entfernung und Richtung
der
Abschüsse
beurteilen konnten und rechtzeitig in Deckung
gingen.)
Wir zogen unseren Bewacher in den Graben und verbanden ihn.
Den verletzten Engländer stützend zog die Gruppe weiter.
Dafür
erlaubte uns ein englischer Oberst, aus einem umgestürzten
deutschen Infanteriekarren heraus zu suchen, was wir brauchen
konnten. Ich entschied mich für drei lange Unterhosen. Diese
haben mir in der Folge sehr gut getan, weil wir ja ständig im
Freien oder in Zelten lagen. Der Oberst fragte uns, weshalb unser
Kompanie-Chef abgelöst wurde. Wir hatten davon keine Ahnung. So
gut waren die über uns informiert.
Chiaravalle hieß das Auffanglager. Nach einer Woche ging es mit
der Bahn nach Süden. Wir sahen nichts von Rom. In Monte Cassino
standen wir einen ganzen Tag. Hier nahm der Posten vor unserem
Waggon einem Italiener einen Korb voll Orangen vom Kopf und
schüttete
ihn zu uns herein. Der Italiener hat vielleicht geschrien.
In
Palermo waren wir für eine Woche im Fußballstadion
untergebracht. Per Schiff ging es dann nach Algier.
Ziemlich weit von der Stadt waren die Camps auf einem Hang
angelegt. Das oberhalb gelegene war schon einige Zeit belegt und
die Leute in Arbeit. Gegen Abend schrie einer plötzlich: "Mensch,
da drüben geht der Kiening Sepp." Es waren drei Leute von
der Bäckerei-Kompanie. "Hast du Hunger ?" "Ja!"
"Hast du ein Bett?" "Nein." Ein Topf voll
Essen flog über den Stacheldrahtzaun. Am anderen Abend, wir
mussten wieder antreten, schoben sie Balken durch den
Stacheldraht. Der englische Posten im Gang zwischen den zwei
Lagern half mit. Dazu eine große Rolle starkes
Gummikabel.
Ich löste die Drähte aus dem Mantel. Drähte und Gummischlauch
spannte ich zwischen die Balken, so dass ich wie auf einer
Federmatratze lag.
Algier war der Anlaufhafen für die Geleitzüge der Alliierten.
Von hier aus kam alles mit kleineren Schiffen an die italienische
Front. Wir wurden gleich zur Arbeit eingeteilt. Ich kam zu einem
Kommando mit 6 Mann und wir wurden auf einem weiträumigen
Farbenplatz eingeteilt. Zu unserem Team gehörte ein Ingenieur
und ein Spediteur, der alle Tricks kannte, um die Transportarbeit
zu erleichtern. Einmal mussten wir zum Beispiel schwere Fässer
verladen. Diese lagen auf einer Wiese 2 m unter Straßenniveau.
Der Spediteur legt Balken (als schräge Rampe) von der
Wiese zum Wagen, band das Seil am Wagen fest, führte das andere
Ende unter dem Fass durch. Zwei Mann dirigierten das Fass, damit
es nicht von Balken rutschte, zwei zogen am Seil und rollten es
auf den Wagen. Da kam ein englischer Oberst vorbei und schaute
uns zu. Dann half er das Fass dirigieren und beim nächsten zog
er mit am Seil. Jedem gab er eine Schachtel Zigaretten und
kopfschüttelnd stieg er wieder in das Auto ein.
Unsere "Tommys" waren sehr anständig. selbst
Frontsoldaten. Wenn keine Arbeit da war, konnten wir nebenan
Fußballspielen
anschauen. Einmal kam ein General und sah uns sitzen. Er ging zum
Sergeanten Dieser sagte, dass wir sehr gut seinen. Da setzte
er
sich auch auf die Bank und verteilte Zigaretten. Ich musste
da
an deutsche Generäle denken.
Ein paar Tage vor Ostern 1945 wurden wir nach Ägypten verlegt.
Einer unserer Kameraden war abgehauen. Die Engländer vermissten
ihn erst, als wir einzeln durch eine schmale Türe gingen und
dabei gezählt wurden. In Port Said wurden wir ausgeladen und mit
Güterwagen auf einem Gleis neben dem Suezkanal in die Höhe der
Bitterseen gefahren. Ich hatte mir den Suezkanal breiter
vorgestellt.
Hier herrschte ein anderer Ton als in Algier. Es gab keine
Arbeit, daher auch für Raucher keine Zigaretten. Ein Jahr
dauerte dieser Zustand. Täglich erhielten wir, so lange noch
Krieg war, den deutschen und den englischen
Wehrmachtsbericht.
Nach Kriegsende kamen Nachrichten über die Zustände in
Deutschland, KZ und so weiter. Diese wurden mit ungläubigem
Staunen aufgenommen.
Ich kam zu Lager 2750, wie sich nachher heraus stellte, des beste
in Ägypten. Es waren 3 Camps zu je 1000 Mann. Wir arbeiteten in
einem riesigen Versorgungslager für die Alliierten. Unsere
Arbeitsgruppe, etwa 20 Mann, war nur mit kurzen Hosen und
Arbeitsanzügen beschäftigt. Zu einer riesigen Lagerhalle
gehörten
noch 5 - 6 Plätze im Freien. Einmal stellten wir eine Sendung
mit über 100.000 Overalls in allen Größen zusammen.
1947 war es so weit, dass alles in den Hallen Platz hatte,
wo dann riesige Stapel jeder einzelnen Größe lagerten. Was
da
alles geklaut wurde. Die Engländer, die hier beschäftigt waren,
durften keine Pakete heim schicken. Also mussten sie für andere
noch mitnehmen, die Pakete senden durften. Engländer, die
entlassen wurden, konnten sich hier von Kopf bis Fuß in
Zivil
einkleiden. Unsere "Tommys", alles Frontsoldaten,
waren feine Kerle. Erst als junger Nachschub aus England kam,
änderte
sich das. Sie waren genauso aufgehetzt worden, wie bei uns die
Hitlerjugend. Aber mit der Zeit gab sich das. Der britische
Lagerkommandant hauste genauso wie wir im Zelt. Wenn er zur
Division musste, fuhr er mit dem Verpflegungswagen hinten auf der
Pritsche. Er hatte 3000 Mann unter sich und keinen eigenen
Dienstwagen. Mit deutschen Augen gesehen, unverständlich. Er
sprach sehr gut deutsch. Als 1947 die Entlassungen los gingen,
rief er das Lager zusammen und sagte, dass Leute mit sehr
schlechter Kleidung und Wäsche heim geschickt wurden und gab uns
den Rat, rechtzeitig vorzusorgen. Er konnte doch nicht sagen:
Holt euch draußen, was ihr braucht. Am Heiligen Abend
1947
färbten
wir zu dritt neuseeländische Mäntel um. Das waren die besten,
die es gab. Von der Küche erhielten wir einen Kessel. Während
dieser Arbeit kam der Major dazu und fragte: "wirds was?"
(Anmerkung: Ich glaube mich zu erinnern, dass mein Vater
nach seiner Heimkehr aus der Gefangenschaft einen dunkelroten
Mantel hatte. Das war so ein vorher olivgrüner oder brauner
Militärmantel.)
Im Herbst 1947 begannen dann langsam die Entlassungen. Es
ging nach einem Punktsystem, das sich aus Alter und Dauer der
Gefangenschaft zusammen setzte. Die Leute vom Afrikacorps waren
die ersten. Ich hatte 9 Punkte. Davon waren wir im Lager
über
900. Als etwa die Hälfte der Neuner weg waren, brach in Ägypten
die Cholera aus und der Abtransport wurde gestoppt. Erst im
Januar 1948 wurde wieder begonnen.
Im Februar kam ich in das Entlassungslager, da wurden wir
nochmals gefilzt. Endlich wurden wir mit der Bahn nach Port Said
verladen. Unser Gepäck kam in den Schiffsrumpf. Wir schliefen in
Hängematten in den Lagerräumen. Auf dem Schiff konnten wir uns
frei bewegen. Auch zahlreiche entlassene Engländer fuhren mit.
An Malta vorbei, Sizilien, entlang der spanischen Küste.
Gibraltar passierten wir in nächster Nähe. In der
Biskaya
schaukelte das Schiff bedenklich, aber bei mir ging es noch gut
ab. Den Kanal passierten wir tagsüber. 14 Tage dauerte die
Schiffsreise. Bei Feuerschiff Elbe 1 wurde ein
Lotse
übernommen,
bei Cuxhaven ein Flußlotse. Die Fassade Hamburgs der Elbe
entlang war fast unbeschädigt. In der Stadt sah es allerdings
schlimm aus. Mit der Bahn ging es in die Heide zum Münsterlager.
In 24 Stunden war hier der (Entlassungs-) Kram erledigt.
Wieder mit einem Güterzug fuhren wir nach Hammelburg. Hier
wurden die Bayern endgültig entlassen (und mussten die
restliche Heimreise selbst organisieren.). Im Bahnhof saßen
wir 12 Stunden. Ein Leutnant entdeckte einen leeren DZug-Wagen
und verhandelte mit dem Fahrdienstleiter. Jeder gab eine
Schachtel Zigaretten. Dafür wurde der Wagen für uns an den DZug
nach München angehängt. Am 21.3.1948 war ich frei (und
zuhause in München).
( Die acht besten Jahre, vom 33. bis zum 41. Lebensjahr
waren somit für eine sinnlose Politik geopfert. Was wäre in
diesen
Jahren alles zu schaffen gewesen ! )
(Die Miete für die Bäckerei wurde bis Kriegsende vom
deutschen Militär bezahlt. Ab Kriegsende gab es dieses
nicht
mehr, der Hausbesitzer wollte jedoch seine Miete bekommen,
immerhin 300 Mark monatlich. Deshalb wurde 1947 die
Bäckerei
vorübergehend verpachtet, damit die Miete bezahlt war. Der
Pachtvertrag lief bis Februar 1949. Die Entlassung aus der
Gefangenschaft war ja nicht voraus zu planen.)
Einige Monate trödelte ich rum, fuhr in den Wald um Holz, (gewöhnte
mich
an
Zuhause und Familie. Am 21.6.1948 war ja dann schon die
Währungsreform.
) Nach der Währungsreform arbeitete ich bei der
Dachdeckerfirma Ruberoid, die in Freising bei der Traktorenfabrik
Schlüter die Fabrikhallen mit Dachpappe beklebte. (In
dieser Zeit wohnte ich bei meiner Mutter in Freising.) Am
1.3.1949
übernahm
ich dann wieder meine Bäckerei. Da Arbeitskräfte
sehr rar und teuer waren, blieb uns nichts anderes übrig, als
selber viele Stunden zu arbeiten.
Die Gewerbe-Erlaubnis für die Kellerbäckerei lief 1958 aus.
(Lebensmittelbetriebe waren nur mehr in Räumen mit Tageslicht
zugelassen.) 1957
wurde der elektrische Strom im Westend von Gleich- auf
Wechselstrom umgestellt. Da ich 5 neue Motoren gebraucht hätte,
gab ich die Bäckerei am 1. September 1957 auf.
Vom Arbeitsamt wurde mir eine Stelle im Alkorwerk in Solln
vermittelt und ich wurde auch eingestellt in der Warenprüfung,
eine der gesündesten (richtiger wohl, am wenigsten
gesundheitsschädlichen und stinkenden) Abteilungen in
dieser
Chemiefabrik. Fast 15 Jahre blieb ich hier.
Im Alkorwerk hatte ich regelmäßig Urlaub. (Das Alkorwerk
stellt
Plastikfolien her. Meine Arbeit war, die großen dicken
Fabrikrollen in
handliche Verkaufsrollen umzuwickeln und die Ware dabei auf
Fehler zu
prüfen.)
1958 zogen wir von der Parkstraße in die Zenettistraße, wo uns
Frau Späth eine Dienstwohnung zur Verfügung stellte. Gretl
musste dafür Büro putzen, im Haushalt (der Familie Späth als
Urlaubsvertretung) einspringen und manchmal auch
Bau putzen. Die Miete von 90 Mark war für uns hoch und wir
haben ein Zimmer unter vermietet.
Im September 1971 zogen wir in die Eigentumswohnung des Sohnes im
Westkreuz . Die Fahrt zum Arbeitsplatz war nun sehr umständlich
mit
viermal umsteigen. Aber es war nur noch ein Jahr bis zur Rente am
1.Oktober 1972.
(Der Lebensinhalt wurde ab 1971 der große Garten am
Westkreuz. Mit 65 Jahren war nochmal ein neuer Beruf , nämlich
Gärtner,
zu erlernen. Diese Arbeit hat ihn bis zum letzten
Lebenstag
ausgefüllt, noch über 21 Jahre.
Am 20.3.1994 ist Josef Kiening gestorben, ganz plötzlich
an
Herzinfarkt, im Alter von 86 Jahren. )
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(C) 2008 Josef Kiening, München , zum Anfang www.genealogie-kiening.de