Josef Kiening: Genealogie im Gebiet nordwestlich von München

"Mein Lebenslauf" von  Josef Kiening senior *1907

(eigenhändig aufgeschrieben 1986/87 von Josef Kiening senior, unverändert ab getippt 2008 von Josef Kiening junior.
Kommentare und Erläuterungen sind kursiv eingefügt von Josef Kiening junior. Beim Lesen des ersten Manuskripts haben wir einige Fragen gestellt. Die Antworten sind mit dem Zusatz: "Mündlich" eingefügt. )

Geboren bin ich am 18. September 1907 als lediges Kind der (Witwe) Frau Walburga Köppl. Da meine Mutter eine geborene Kiening war, erhielt ich diesen Namen. Mein Vater hieß Matthias Walch. Er war Straßenmeister in Germering und lernte meine Mutter bei einem Baumpflegekurs in Weihenstephan irgendwie kennen. Er war, wie sich später herausstellte, bereits verheiratet. Ich selber habe ihn nie gesehen.

(Das war unser Informationsstand von 1986. Der Straßenwärter Walch war 1907 noch nicht verheiratet und wie er die Walburga Köppl kennen lernte, hat sich später zufällig gefunden. Matthias Walch ist im September 1914 bei ersten Kriegseinsatz in Belgien gefallen. Über sein kurzes Leben ist eine eigene Biografie zu schreiben. )

Meine Mutter

Geboren wurde sie am 12.2.1878 als 3. Kind des Landwirtes Sylvester Kiening in Hetzenhausen, Gemeinde Massenhausen, Bezirksamt Freising. Über die Kindheit und Jugendjahre weiß ich nicht viel. Einmal hatte sie mit ihrem Vater nach München zur Schranne mit Getreide per Pferdegespann fahren dürfen. Die Schranne fand damals auf dem heutigen Marienplatz statt. Auch wie sie ihren späteren Mann Johann Köppl kennen lernte, weiß ich nicht. Sie hat nacheinander 2 Söhne geboren, die aber schon im frühen Kindesalter starben. Auch ihren Mann verlor sie schon 1903 durch Tuberkulose. Bei der Hochzeit kauften sie das Haus Büchl 599. Es war früher ein kleines landwirtschaftliches Anwesen.
(Das stimmt nicht ganz. Aus den Notarurkunden wissen wir inzwischen mehr Details, weshalb für Walburga Köppl ebenfalls eine Biografie zu schreiben ist.)

Sie arbeitete meist als Taglöhnerin, Putzfrau und was sich halt so ergab. Seit ich so denken kann, weiß ich nichts anderes. Und nebenbei holte sie sich das Brennmaterial mit einem Handwagen aus dem Wald. Damit sie mehr Zeit hatte, brachte sie mich täglich in die Anstalt, heute sagt man Kindergarten, die von den Schwestern des Waisenhauses mit betrieben wurde. Als ich dann schon mehrere Jahre in der Schule war, nahm sie eine ganztägige Arbeit an und zwar immer in Gärtnereien. Erst in der Gärtnerei Nusser in Neustift. Nach mehreren Jahren ging sie dann zur Gartenbauschule Weihenstephan, wo sie bis zur Rente blieb. Das Haus verkaufte sie 1917 an einen Viehhändler, der es seiner Tochter als Mitgift gab. Diese heiratete einen Wirt und ebenfalls Händler. Heute besitzt die Tochter dieses Mannes das Eigentum. Zur Ehre von Max Grichtmeier möchte ich noch sagen, dass er meine Mutter bis zu ihrem Tod 1963 für 12 Mark Monatsmiete in ihren 2 Zimmern ließ. Von Weihenstephan kam sie täglich auch mittags heim, um auch mir und später für sich allein das Essen zu wärmen. Zuletzt arbeitete sie auf dem Gelände des heutigen Staudengartens. Weiß Gott eine Leistung.
Warum sie nicht mehr geheiratet hat, weiß ich nicht. Solche Themen waren vor 60 - 70 Jahren zwischen Eltern und Kindern noch tabu. Da sie erst 1916-17 mit regelmäßiger Arbeit begonnen hat und damit versicherungspflichtig war, war ihre Rente sehr sehr bescheiden. Mit dem Frauen- und Mütterverein machte sie nach dem 1. Weltkrieg alle Wallfahrten und Ausflüge mit, so dass sie mich schon verstand, als ich nach der Lehre selber los zog. Als ich von daheim weg war, besuchte ich sie alle Jahre ein paar mal. Da sie ja immer allein war, musste sie eben mit allem selber fertig werden. Ich habe sie nie jammern hören. Nur die letzten Monate ihres Lebens war sie nicht mehr gut beisammen. Ihre jüngste Schwester Leni, die nicht verheiratet war, half ihr dann und pflegte sie. 2 Tage vor Weihnachten kam sie ins Krankenhaus. Sie wehrte sich mit Händen und Füßen. Sie wollte daheim sterben. Und wirklich, am 27. Dezember 1963 starb sie.

Meine Schulzeit

Sie begann Mitte September 1913. In der Klasse 1a hatten wir den Hauptlehrer Biller, der als der strengste Lehrer in Freising verschrieen war. Wenn sich heute ein Lehrer so was leisten würde (die Kinder ständig zu verprügeln), käme er aus dem Zuchthaus nicht mehr heraus. In Erinnerung habe ich noch die Feier zur Ernennung von Bischof Bettinger zum Kardinal. Da Freising ja 1100 Jahre Bischofssitz war, wurde so etwas groß gefeiert. Die ersten Schulferien verbrachte ich zum ersten mal beim Onkel in Hetzenhausen. Hier ein Erlebnis: Eines Tages kam der Postbote mit dem Rad und brachte ein Telegramm. Mein Onkel als Ortsvorsteher läutete ein paar Männer zusammen und die sperrten die Straßen mit Balken, um ein französisches Auto, das Geld nach Russland bringen sollte, aufzuhalten. Noch heute würde mich interessieren, wer diesen Plan ausgeheckt hat, in allen Orten Deutschlands Wegelagerer zu spielen.

Im 2. Schuljahr war dann schon Krieg. Das Knabenschulhaus war als Reservelazarett beschlagnahmt. Wir besuchten das Mädchenschulhaus. 3 Tage vor mittags von 8 - 12, 3 Tage nachmittags von 1 - 5. Auch hier eine Erinnerung: In Frankreich brach der Stellungskrieg aus und die Rekruten wurden daheim mit dieser Kampfart vertraut gemacht. An einem schönen Oktobertag konnte man in Pettenbrunn, 4 km entfernt, im Exerzierplatz der Freisinger Jäger Schützengräben, Unterstände usw.. anschauen. Alle Frauen mit Kindern zogen los. Kurz vor der Ziegelei Lang begegnete uns der Lehrer. Meine Mutter natürlich drauf los, wie ich in der Schule wäre und so. Der Hauptlehrer lobte mich sehr. Seit der Zeit konnte ich ihn gut leiden, trotz aller Prügel, die ich auch weiter bekam.

Auch diese Ferien verbrachte ich in Hetzenhausen. In der 3. Klasse war der Unterricht interessanter. Heimatkunde und Deutsch waren Fächer, die Hauptlehrer Biller sehr gut vermitteln konnte. Dazu begann ich jetzt zu lesen. In der Bücherei des katholischen Pressvereins gab es Bücher, die Leihgebühr war 1 Pfennig. Zum Personal, alles Freiwillige, gehörte auch unser Lehrer. Da er meine Lieblingsfächer kannte, versorgte er mich immer mit dem nächsten Unterrichtsstoff. bloß hat er mich in der Schule nicht aufgerufen, wenn ich noch so sehr den Finger hob. Höchstens zum Schluss: "Sage es ihnen". Die nächsten Ferien war ich wieder in Hetzenhausen.

In der 4. Klasse waren Naturkunde, Erdkunde und Geschichte die für mich interessantesten Gebiete. Da es auch die Hobbys des Hauptlehrers waren, war gut zum Zuhören. In der Erdkunde Oberbayern, da steckte er die Rückwand mit Ansichtskarten voll von dem jeweiligen Gebiet und in der Pause erklärte er uns die einzelnen Bilder. In der Naturkunde hat er zuhause den Stoff auf 1, manchmal auch 2 Blatt Papier geschrieben und einem Schüler gegeben. Bis zum nächsten Mittwoch musste es die ganze Klasse abgeschrieben haben. Dann gings los. "Wer hat es überhaupt nicht?" 1 - 2 waren immer dabei. Das nächste war, die einzelnen Hefte nach Rechtschreibfehlern durchzusehen. Pro 10 Fehler 1 Tatze. Da war der Schüler, der vom Lehrer ab schrieb, fein heraus. Denn dieses Blatt war garantiert fehlerfrei. Je öfter es abgeschrieben wurde, um so mehr Fehler kamen dabei heraus. Darum war Mittwoch der gefürchtetste Tag der Woche. Ich bekam das Blatt sehr oft. Wir schrieben dann zu 3. oder 4. in unserer Wohnung ab. Da ging es dann schneller durch. ( Ich war ja Einzelkind. Da konnten die Freunde bei mir ungestört abschreiben. Üblich waren damals kinderreiche Haushalte, in denen es turbulent zuging.)


Noch ein Erlebnis: Eines morgens, als wir zur Schule gingen, ritt eine Gruppe prächtig geschmückter Soldaten "Leichte Reiter" durch Freising, um die Kriegsbegeisterung anzuheizen. Bis 1907 waren diese im aufgehobenen Kloster Neustift in Garnison. Da zu diesem Truppenteil nur reiche Bauernsöhne rekrutiert wurden, einerseits weil sie sich zu den Pferden hinein trauten, andererseits weil sie viel über Pferdepflege lernten, war das ein gegenseitiger Gewinn. Da diese Soldaten nicht mit dem Wehrsold von 22 Pfennig auskommen brauchten, sondern von zu hause unterstützt wurden, ließen sie viel Geld in der Stadt sitzen. Wir Buben, angesteckt von den Erwachsenen, liefen bis zur Stadtgrenze mit und kamen so gegen 9 Uhr in die Schule. Auf die Frage, wo wir waren, sagten wir es. Nach kleinem Überlegen sagt er, er würde uns nichts tun, wenn einer das Wort richtig schreiben könne: Schwolesche, Schwolleschä ? Immer falsch. Der Hauptlehrer schrieb dann: "Chevaulegers". Er tat uns trotzdem nichts. Er erklärte uns, wie viele französische Worte es damals in Bayern gab: Perron (Bahnsteig), Trottoir (Gehweg), Charcurtier (Wurstladen) usw...

Eine andere Begebenheit: Wir hatten in der Klasse eine Kasse, in die man ab und zu etwas hinein gab. Von dem Geld wurden Liebespakete für die Väter (im Kriegseinsatz ) gepackt. Eines morgens war das Pult aufgebrochen und das Geld verschwunden. Als Dieb wurde ein Klassenkamerad, der im Waisenhaus lebte, gefunden. Er bekam als Strafe eine Woche lang jede Stunde 6 Tatzen und 6 Arschprügel. Ein Polizist brachte den Buben alle Tage in die Schule. Eineinhalb Jahre später, wir gingen in die 6. Klasse, starb Hauptlehrer Biller am Neujahrstag 1918. Am 3. Januar, als sich die Trauergäste vom Grab verlaufen hatten, hat der Bub in das noch offene Grab einen Haufen drauf gemacht. (Wegen der gefrorenen Erde konnte das Grab nicht sofort zu geschaufelt werden. ) Einer der alten Lehrer wohnte gleich neben dem Friedhof und konnte ihn mit dem Fernglas gut ausmachen. Er kam dann in eine Besserungsanstalt. Bei einem Schülertreffen, das Freund Elfinger organisierte, kam ein Fremder. Es war der ehemalige Schulkamerad. Er hatte in der Memminger Gegend eine gut gehende Gärtnerei. Er ist trotz allem, was ihm passierte, ein anständiger Mensch geblieben.

(Mündliche Ergänzung: Wir Kinder hatten wenig Spielzeug. Einmal brachte das Christkind einen Druckkasten. Die einzelnen Buchstaben konnte ich auf einer Leiste zu Wörtern setzen und so Sätze drucken. Auch einen Laubsägekasten hatte ich. Das Holz zum Ausschneiden bettelte ich in Zigarrengeschäften. Die Zigarrenkistchen waren nur aus dünn geschnittenen Fichten und brachen an den Jahresringen. Sperrholz kannte man noch nicht. In den Sommermonaten spielte sich das Leben auf der Straße ab. Schussern, Reifen treiben und Verstecken waren unsere liebsten Spiele.)

Im Frühjahr 1917 begann ich in der Kirche Sankt Georg zu ministrieren. Aber bereits im Winter hörte ich auf Geheiß meiner Mutter wieder auf, weil ich (durch die Kniebeugen) bei allen Schuhen die Sohlen abbrach. ( Im Krieg war kaum Ersatz zu bekommen.)

In diesen Ferien war ich nicht in Hetzenhausen. Dafür lernte ich das Schwimmen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge erlebte das meine Mutter. Denn einerseits wusste sie mich gut aufgehoben, andererseits konnte sie mich kaum füttern, weil ich vor lauter rum rennen immer Hunger hatte. 1917 war bei der Verpflegung das schlechteste Jahr des ganzen 1. Weltkrieges.

In der 5. Klasse hatten wir Erstkommunion und erfreulicherweise auch Firmung. Diese fand alle 2 Jahre statt, die 5. und 6. Klasse zusammen. Das war sehr günstig, weil man nur einmal einen Anzug brauchte, den es im Krieg nicht so ohne weiteres gab. Bei der Kommunion musste ich vom Religionslehrer aus etwas aus dem Gottesdienst vorlesen. Ich sagte das daheim und ich hätte von der Mutter aus alles auswendig lernen müssen. Da ich nicht wollte, ging meine Mutter am nächsten Tag zum Lehrer. Als dieser von der Tür zum Pult ging, sagte er gleich: "Kiening raus! Ich hau dich nicht, weil du das nicht lernst, sondern weil ihr alle ohne Vater seid und mit der Mutter tut, was ihr gerne tut."

In den Ferien war ich wieder in Hetzenhausen. In der 6. Klasse wurden die 2 Parallelklassen zusammen geworfen, weil durch den Übertritt in die Mittelschule die Schülerzahl kleiner wurde. Trotzdem waren wir in der 6. und 7. Klasse 72 Schüler. Für den Hauptlehrer Zimmermann schon eine Aufgabe. Hier eine Begebenheit: Wir Büchl-Buben, 12 an der Zahl ( der Lehrer meinte einmal, die vom Büchl und die vom Goldberg ( kleine Nebenstraßen in der Freisinger Altstadt) kosten ihn 10 Jahre seines Lebens.), also wir saßen auf den Planken, an denen an Viehmarkttagen die Kühe angebunden wurden, und rauchten Judenstrick. Das war so eine Nesselart. (? Trockene Zweige der "Gemeinen Waldrebe", eine Clematis-Art, die langsam verglimmten, wenn man daran saugte oder blies.) Auf einmal stand der Lehrer vor uns, der seinen gelben Dackel spazieren führte. "Morgen in der Früh reden wir weiter!" Am anderen Tag nach dem Beten winkte er bloß mit dem Finger und wir marschierten geschlossen raus. Nachdem er uns über die Schädlichkeit des Rauchens besonders für Kinder aufgeklärte hatte, ging es mit dem Fragen los. Einer gab 6 zu. Die meisten waren brav und sagten "nur eine". Nun kam die Überraschung für uns. Der mit 6 ging straf frei aus und die 1 bekamen 6 Tatzen. Weil sie am meisten gelogen hatten.

Ein anderes Erlebnis 1918: Anfang November kam der Kittl Karl, der in der Heilig-Geist-Kirche ministrierte und fragte mich, ob ich nach Oberberghausen mitgehen wollte. Dort steht eine Kapelle, dem Hl. Klemens geweiht. Ein alter Gymnasiallehrer hieß ebenfalls mit Vornamen Klemens und er nahm sich nun um diese Kirche an. An seinem Namenstag ließ er immer eine Messe lesen. Dazu kamen auch die früheren Bewohner der beiden Bauernanwesen, die einmal da existierten und von der Staatsforstverwaltung aufgekauft wurden, um Pappeln anzupflanzen. Wir gingen in der Frühe zeitig weg. Es waren von uns aus etwa 8 km. Nach der Kirche ging es wieder heimwärts. Wir redeten gescheit, bis wir wieder nach Freising kamen. Hier fanden wir alles aufgeregt. In den Wirtschaften saß und lärmte das Militär. Die Geschäfte hatten die Rollläden herunter gezogen. Wir wussten nicht, was los war. Meine Mutter sagt mir auf meine Frage : "Revolution ist." "Was ist das?" "Das weiß ich selber nicht." bloß die Aufforderung, nach der Schule gleich heim zu gehen. Der Lehrer erklärte es uns. Der König wurde verjagt und die Macht wird jetzt vom Volke ausgeübt. Er sagte das mit bitterer Stimme.
(Anmerkung:  Die Staatspropaganda in der Monarchiezeit war wirkungsvoller, als man sich das heute vorstellen kann. Josef Kiening war  fest monarchistisch geprägt. Das wurde er sein ganzes Leben nicht mehr los, obwohl er durchaus kritisch war und bei jedem System die Schwächen erkannte.  Im Vergleich dazu war seine spätere Frau  völlig ohne jede Ideologie. Sie dachte nur praktisch, an Familie, Essen, Kleidung, Geld usw. Der katholische Religionsunterricht in der Monarchiezeit,  Nazipropaganda oder  die  nachfolgende  Amerikanisierung, das war alles bei ihr durchgefallen und  ist nicht einmal in  Spuren hängen geblieben. Doch zurück zu 1919:)

Die erste Folge war, der Krieg war aus. Vom Waffenstillstand verstanden wir Kinder natürlich nichts. Aber die Soldaten kamen heim. Am Viehmarkt wurden jede Woche zweimal Pferde versteigert. Für 20 bis 50 Mark gingen sie an neue Besitzer über. Ab Neujahr 1919 bekamen wir Hilfslehrer. Es waren Leute, die von der Schule gleich zum Barras eingezogen wurden und jetzt ihr Praktikum nachholen mussten. Da waren mitunter Typen darunter !

An einen kann ich mich erinnern. Wir lasen das Gedicht: "Als Kaiser Rotbart lobesam ins heilige Land gezogen kam". Der Hauptlehrer korrigiert am Pult Hefte. Von uns Buben musste jeder eine Zeile lesen. Einer betonte ein Wort so komisch. Wir lachten. Der junge Lehrer ging auf wie eine Dampfnudel. Der Hauptlehrer beruhigte ihn und meinte, er solle es mal vorlesen. Das tat er. Während er las, ging er immer 2 Schritte vor und zurück. Wir Buben rissen Augen und Maul auf. So etwas hatten wir noch nie gesehen. Auch der Hauptlehrer schob die Brille auf die Stirn und starrte ihn an. Als er zu der bewussten Stelle kam, unterlief ihn der gleiche Fehler. Wir brüllten und der Hauptlehrer machte den Herrn Kollegen darauf aufmerksam. Am nächsten Tag hatten wir schon wieder einen neuen. Auch die Sommerferien 1919 war ich in Hetzenhausen.

Ab Sommer 1919 konnten die Knaben wieder ihr angestammtes Schulhaus beziehen und wir hatten statt 4 nunmehr 6 Stunden Unterricht. Auch Sport kam zu seinem Recht. Während der Sommerferien begannen in Freising die Turn- und Sportvereine wieder ihre Tätigkeit. Hier waren es natürlich die Fußballer, die uns interessierten. Da bekam ich Schwierigkeiten mit meiner Mutter wegen der kaputten Schuhe, die es ja immer noch nicht gab. (mündlich: Wir spielten mit selbst genähten Bällen aus Stoffresten.)

Lehrzeit

Die Berufswahl kam jetzt zur Sprache. In den meisten Berufen musste man damals noch Lehrgeld bezahlen, damit man überhaupt als Lehrling angenommen wurde. Ich entschloss mich, Bäcker zu werden. (Die Bäcker verlangten kein Lehrgeld.) In der Bäckerei Ludwig Zischka am Goldberg bekam ich schließlich eine Lehrstelle. Als ich mich vorstellte, meinte der Meister: "Arg schwach ist er halt ." Ich wog damals knapp 60 Pfund. Ich konnte die Stelle erst am 1. Januar 1921 antreten. Das halbe Jahr blieb ich deswegen in Hetzenhausen bei meinem Onkel und ging da auch ein paar Wochen in die Sonntagsschule.

Am 1.1. 1921 trat ich also in das Berufsleben ein. Das Aufstehen in der Frühe hat mir zeitlebens keine Mühe bereitet. (Mündlich:  Die Lehrlinge schliefen in der Bäckerei in einem Bretter-Verschlag auf dem Dachboden. Da es hier im Sommer sehr heiß war, brachten sie ihre Betten auf einen Wäschetrockenplatz, einer Art Dachterrasse, vor ihrem Dachkammerl. Solche Wäschetrockenplätze auf den Dächern von Nebengebäuden gab es in Freising fast bei jedem Haus. Im Winter, wenn es im Dachboden zu kalt war, schliefen sie auf dem Backofen. Die Freizeit verbrachten die Lehrlinge in der warmen Backstube. )

Am Vormittag Brot austragen mit der Kirm. (Wie ein Rucksack zu tragender großer Korb.) Wichtig war, dass man alle Brotmarken nach Hause brachte. Gebacken wurde noch auf einem alten Holzbackofen. Wir zwei Lehrlinge hatten zu tun, das nötige Holz klein zu hacken. Die Scheite wurden der Länge nach gespalten und zwar so dünn, wie man sie auch im Küchenherd verfeuert. Deswegen wurde von der Bäckerei nur 1. Klasse Holz gekauft. Wöchentlich wurden so 2 bis 3 Ster verbraucht. Das war die Nachmittagsbeschäftigung. Mitte Juli 1921 wurde der alte Ofen abgerissen und ein Dampfbackofen gebaut. Das Holz machen fiel weg, aber dafür waren alle 2 bis 3 Monate 100 bis 150 Zentner Brikett von der Straße weg in die Hütte zu schleppen, weil der Hof so klein war, dass man nicht rein fahren konnte. Als der neue Ofen fertig war, wurde die Markenwirtschaft aufgehoben und da begann eine Freßwelle.

Inflation

Was die Arbeiter am Samstag ausbezahlt erhielten, musste gleich ausgegeben werden, da das Geld  ja am Montag schon wertlos war. Am schlimmsten war es 1923, als der Meister im Laden das Geld in den größten Semmelkorb warf. Nach Geschäftsschluss und Abendessen wurden alle, auch die Lehrlinge zum Geld zählen und bündeln eingespannt. Zum Schluss bekamen wir unseren Lohn, für den wir am Montag vielleicht eine halbe Semmel kaufen konnten.

Ein Wort zu dieser Zeit, von der man sich keine Vorstellung machen kann, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Es gab praktisch nichts zu kaufen und in der Privatwirtschaft auch keine Verdienstmöglichkeit. Was in der Industrie erzeugt wurde, ging als Kriegsentschädigung ins Ausland. Deshalb gab es viele Arbeitslose. Der bayerische Staat nahm einen Vorkriegsplan in Angriff, den Bau der mittleren Isar als Kanal für den Betrieb von Elektrizitätswerken. Da alles im Handbetrieb geschafft wurde, kamen Tausende unter. Von den Freisinger Männern waren es viele Hundert. Wegen der Geldentwertung wurde das Lohngeld in Lastwagen zu den Baustellen gefahren. Da die Reichsbank mit dem Drucken nicht nach kam, waren alle großen Firmen und Städte berechtigt, Notgeld auszugeben, mit der Auflage, die Scheine 6 Wochen später wieder einzulösen. Da bis dahin ja völlig wertlos, wurde das Notgeld für die Herausgeber ein glänzendes Geschäft. Als im Dezember 1923, die Mark war eine Billion, die Währungsreform kam, war die mittlere Isar so ziemlich fertig. Als 1924 das Wasser der Isar in den Kanal geleitet wurde, ist der Grundwasserspiegel zurück gegangen. Das Bayernwerk musste alle Brunnen der Dörfer und Bauern tiefer graben lassen, weil sie ja alle auf dem Trockenen saßen. Das musste alles mit gutem Geld bezahlt werden, was fast so teuer kam, wie der ganze Kanal selber. (Anmerkung: Dieser Absatz ist ein erst später erworbenes Wissen, keine zeitgleiche Beobachtung. Für einen Jugendlichen waren die Zusammenhänge sicher unverständlich. )

Meine erste Eisenbahnfahrt, an die ich mich auch erinnern kann, war 1922 mit dem Jugendverein zum Katholikentag nach München, wo ich aber statt zu den Veranstaltungen die große Verkehrsausstellung besuchte. Vom Münchner Kindl-Keller am Gasteig aus fuhr ich mit der Straßenbahn zur Theresienhöhe. Ich bestieg die Linien-Nummer, die man mir gesagt hatte. Als der Schaffner zum Kassieren kam, die Fahrkarte kostete 20 Mark, meinte er: "Mei, Bua, du fährst ja entgegengesetzt. Aber bleib nur hocken, wir kommen trotzdem hin. " Er hat mir angesehen, dass ich vom Land kam und zum ersten Mal Straßenbahn fuhr.

Die zweite Fahrt war ein Schulausflug 1923 nach München ins Deutsche Museum. Es war ein Sonntag, denn an einem Arbeitstag hätten wir Lehrlinge ja nie frei bekommen. Wir vom Lebensmittel-Handwerk hatten grundsätzlich in unserer Freizeit nachmittags Schule, während die anderen Berufe einen ganzen Tag Schule hatten, da sie ja doch irgendwie Arbeit versäumten.

Es war meines Wissens der erste solche Schulausflug, den ein Freisinger Lehrer organisierte. Unser Lehrer, Herr Dietrich, schaffte das 1923, als die Inflation dem Höhepunkt zustrebte und der Dollar eine Milliarde Mark kostete. Der Lehrer kaufte die Fahrkarten schon 3 Tage vor der Fahrt und Verpflegung hatten wir Schüler selbst dabei. Das Deutsche Museum war noch provisorisch in der Maximiliansstraße untergebracht. Mit einem Röntgenapparat konnte man selbst beliebige Sachen durchleuchten. Der Lehrer hielt seine Brieftasche hin und sie war leer. Wir lachten alle. Doch als er sie vor uns aufschlug, war sie voll mit Millionenscheinen. Die Strahlen waren durch das wertlose Papier durch gegangen. Heute ist dieser Apparat nicht mehr im Museum, weil man inzwischen die Gefährlichkeit der Strahlen erkannte.

Bäckergeselle

Ich hatte meine Lehrzeit fast beendet. Die letzten 4 Wochen (Dezember 1923) erhielt ich einen viertel Dollar Wochenlohn. Die ersten 4 Wochen als Geselle bekam ich 5 Mark Wochenlohn, wurde aber ständig aufgebessert. 1928 erhielt ich 25 Mark. Im April 1924 hatte ich 130 Mark erspart und ich kaufte mir dafür ein Fahrrad. Erding, Scheyern, Dachau waren so die ersten Touren. Auf Pfingsten Kelheim, Regensburg, Walhalla, Landshut, Freising. Im August hatte ich erstmals Urlaubstage. Mit Freund Elfinger wanderten wir von Schliersee über Gmund, Tölz, auf die Benediktenwand. In einer Holzknechthütte konnten wir umsonst übernachten. Auf der Tutzinger Hütte hätte es 3,50 Mark gekostet. So viel Geld hatten wir nicht mehr. Wir brauchten außer der Fahrt vielleicht 6 Mark.

1925 ging die Urlaubsfahrt allein auf die Zugspitze. In Freising fuhr damals Sonntags schon um halb 3 Uhr ein Zug nach München, damit man dort die ersten Züge in die Berge erreichte. So war ich um halb 8 Uhr bereits in Garmisch. Über das Höllental auf die Zugspitze. Am anderen morgen Abstieg zur Reinthalhütte, Aufstieg über den Schachen auf die Meilerhütte. Nach einem Gipfelbesuch der Dreitorspitze Abstieg über Ferchen- und Lautersee nach Mittenwald. Hier blieb ich privat über Nacht. Nachmittag Rückfahrt nach Freising.

1925 oder 1926 ist es meiner Mutter eingefallen, dass sie sterben könnte und ich besaß keinen schwarzen Anzug. Im Nachbarhaus hatte sich ein sehr guter Schneider nieder gelassen. Er hat ein Mädel aus unserem Haus geheiratet und sich deshalb mit seinem Vater verkracht, der als Uniformschneider bei den Offizieren einen guten Ruf hatte. Der Schneider im Nachbarhaus fertigte mir, als ich noch nicht zwanzig Jahre alt war, auf Mutters Kosten einen schwarzen Anzug für den Fall ihrer Beerdigung, als teuerstes und bestes Stück im Kleiderschrank. Als meine Mutter fast 40 Jahre später starb, war ich aus diesem Anzug natürlich längst heraus gewachsen.

1926 Eine Woche Urlaub. Der Großglockner war das Ziel. (Die Großglocknerstraße war noch nicht gebaut.) Von der Früh um halb 3 Uhr bis 5 Uhr nachmittags fuhren wir mit Personenzügen nach Bruck Fusch. Schnellzüge wären uns zu teuer gewesen. Übernachten in einem Heustadel. Am Montag Aufstieg zum Franz Josef Haus. Es war so starker Nebel, dass wir, als wir einen Mann sahen, fragten wie weit noch bis zum Haus sei. Er stand auf den Stufen zum Eingang. Das Wetter war zweifelhaft, so dass wir nur bis zur Erzherzog Johann-Hütte wanderten. Wir hätten so am anderen Tag eine Stunde erspart. In der Nacht schneite es 40 cm und damit war es aussichtslos. Alle Bergsteiger stiegen ab. ( Anmerkung: Mein Vater und sein Kamerad Elfinger hatten, von der Zugspitz-Tour einmal abgesehen, keinerlei Berg-Erfahrung. Wahrscheinlich hatten die Beiden sogar ein Seil dabei, aber keine Ahnung, wie damit umzugehen war. Mein Vater hat sich für diese Tour einen Eispickel und Steigeisen gekauft. Er hat sie nie benützt, jedoch viele Jahre aufgehoben. Als ich, der Sohn, 30 Jahre später zur Jugendgruppe des Alpenvereins ging und diese Ausrüstungsstücke mit brachte, löste ich mit den Altertümern große Heiterkeit aus. Den Eispickel benützte mein Vater bis zu seinem Tod als Gartenwerkzeug. )
Wir stiegen mit 2 netten Wiener Herren, so Mitte 40, nach Heiligenblut ab. Wieder war ein Heustadel Nachtquartier. Am anderen Tag wanderten wir durch das Mölltal hinaus nach Lienz an der Drau. Mit dem Zug fuhren wir über Spital und Bad Gastein nach Salzburg. Die Wiener Herren fuhren von hier aus heim. Wir blieben am Bahnhof über Nacht, besichtigten Salzburg und die Festung. Am letzten Tag fuhren wir über Mühldorf - Landshut wieder heim.

1927 (mündlich: Im Spätwinter 1927 hatte ich einen Platten-Fotoapparat Marke Voigtländer für 128 Mark gekauft. Leider blieben von den frühen Bildern wenig erhalten.)

Neben den üblichen kleinen Radtouren war der große Kolpingstag das große Ereignis. Er fand über die Pfingstfeiertage in Wien statt. Da wir schon am Freitag Nacht mit einem Sonderzug nach Passau fuhren, musste ich für Samstag und Dienstag einen Ersatzmann in der Bäckerei herbringen. Zum Glück fand ich einen ehemaligen Schulkameraden. Im Passauer Dom war früh 3 Uhr eine Messe mit anschließendem Orgelkonzert auf der eben fertig gestellten größten Orgel der Welt. Auf der Donau stand ein Sonderschiff bereit. Erst hieß es, es würden 2 fahren, aber schließlich wurden alle auf eines gepfercht. Wir 20 Freisinger fanden ein schönes Plätzchen hinter dem Speisesaal, wo die Bierfässer gelagert waren und der deshalb abgesperrt war. Man wollte uns einige male vertreiben, aber das Schiff war so überladen, dass man keinen Platz fand. Das Schiff lief hinten spitz aus und wir konnten, auf unseren Fässern sitzend, links und rechts alles sehenswerte anschauen, was denen, die in Schiffsmitte standen, 10 Stunden lang, eben nicht möglich war. In Wien fuhren wir mit der Straßenbahn umsonst, weil jeder 100 Schilling vorzeigte, die der Schaffner nicht wechseln konnte. Wir bekamen in der Neustiftgasse Zimmer in einem Stundenhotel, was wir natürlich nicht wussten. In der Votivkirche fand der Festgottesdienst statt. Auf dem Heldengedenkplatz die große Feier. Im Festzug dort hin erregten die Mainburger Gesellen Aufmerksamkeit, weil sie ihren Holledauer Schimmel voraus trugen. In allen Wiener Zeitungen wurde das vermerkt. Am Pfingstmontag Schönbrunn und Fest. Am Dienstag Besichtigung von Stefansdom, Prater. Wir fuhren auch mit dem Riesenrad. Abends ging es zum Heurigen. Nachts um 11 Uhr fuhr der Sonderzug wieder ab Richtung München.

Ich hatte noch ein paar Tage Urlaub gut. Bei einer Radtour nach Berchtesgaden ging es über Erding, Wasserburg, Traunstein, Reichenhall. Die letzten Kilometer fuhr ich mit der Bahn, da es ziemlich bergauf ging. Königsee, Salzbergwerk, Stift. die Heimfahrt ging über Ramsau, Schwarzbachwacht, Inzell, Traunstein. Von hier mit der Bahn nach Freising.

1928 gab es keinen Urlaub mehr, weil der nächste Lehrling aus gelernt hatte und mir die Stellung gekündigt wurde. Nach 2 Wochen stempeln fasste ich den Entschluss, auf die Walz zu gehen und zwar per Rad.

(Anmerkung: 
Es war 1928 durchaus noch üblich, als Handwerksgeselle auf Wanderschaft zu gehen.  Fragte ein wandernder Bäckergeselle in einer Bäckerei nach Arbeit und wurde negativ beschieden, so war es üblich, dass er als Wegzehrung eine Semmel bekam.  Die Verpflegung bei der Wanderschaft war also sicher gestellt. Für die Übernachtung gab es in größeren Orten Gesellenhäuser oder Kolpinghäuser.
(Der spätere Schwager Johann Heiß  war Schreiner und kam bei seiner Wanderung etwa zur gleichen Zeit durch ganz Deutschland bis nach Hamburg, wobei er  an einigen Orten kurzzeitig Arbeit bekam und auch etwas lernte, so zum Beispiel in Immenstadt die Schi-Herstellung.)

Diese "Wanderschaft" war  jedoch nach einem  Tag schon  wieder  zuende: Die Radtour führte lediglich amperaufwärts.)

Ich kam bis Moorenweis, Landkreis Fürstenfeldbruck, wo ich eingestellt wurde. Die Bezahlung war miserabel, 5 Mark die Woche. Aber nachträglich muss ich sagen, dass es nicht das schlechteste war. Im November kam der Kiening Hans (kein Verwandter. Am Büchl in Freising hießen alle Kiening.), der auch bei Zischka gelernt hatte, per Rad aus Bruck, wo er in Stellung war. Er gab diese auf. Von meiner Mutter erfuhr er, wo ich war. Ich stellte mich bei der Bäckerei Jocher (in Fürstenfeldbruck) vor und wurde auch gleich genommen. Bis Ende Januar 1937 hatte ich einen sicheren Arbeitsplatz. 1929 begann die Weltwirtschaftskrise und Deutschland hatte 1932 6 Millionen Arbeitslose.

Der Gesellenverein

Schon in Freising war ich Mitglied des Lehrlingsvereins und trat dann zum Gesellenverein über. Dieser Verein spielte viel Theater, aber das sonstige Leben war nichts besonderes. Außer der Wienfahrt natürlich. In Fürstenfeldbruck war es ganz anders. Natürlich gab es eine sehr gute Theatergruppe. Das Vereinsleben war viel geselliger, obwohl es fast nur Bürgersöhne waren. Wir waren vielleicht 5 bis 8 Flüchtlinge (Ortsfremde), wie man heute so schön sagen würde. (Die Gesellenkammer in der Bäckerei war nur ein ungeheizter Schlafraum. Da konnte man sich in der Freizeit kaum aufhalten. ) Jeder wurde von der ersten Stunde voll angenommen. In erster Linie lag das am Präses Kooperator Schmidhuber. Er war jeden Dienstag pünktlich da. Der Verein hatte kurz vorher einen kleinen Saal in einem kleinen Café gefunden und eingerichtet, so dass wir hier ein eigenes Lokal hatten. Kooperator Schmidhuber war schon nahe an die Fünfzig. Er wartete auf eine bestimmte Pfarrei mit einer schönen Kirche: Rottenbuch bei der Eschelsbacher Brücke. Er war alles andere als bigott. Er sah die Welt wie sie war und nicht wie sie in den Augen katholischer Pfarrer sein sollte. In den 4 Jahren, die ich ihn hier erlebte, hat er keinen einzigen kirchlichen Vortrag gehalten. Er reiste gerne und sprach darüber. Da ich selbst viel auf Achse war, gab er mir oft Ratschläge über Kirchen, an denen ich sonst vorbei gefahren wäre.

Die Fürstenfeldbrucker Jahre

Zunächst beruflich: Es wurde hier noch früher aufgestanden, nämlich um 2 Uhr, da das gesamte Weißgebäck um 6 bis halb 7 Uhr fertig sein musste. Die Bäckerei hatte einen elektrisch gespeisten Ofen, der mit Nachtstrom beheizt wurde und um 6 Uhr abgeschaltet wurde. So lange er eingeschaltet war, blieb die Hitze gleichmäßig. Dann ging die Wärme schnell zurück. In Bruck war im ehemaligen Klostertrakt die bayerische Polizeischule untergebracht, schwankend zwischen 400 bis 600 Mann. Jeder erhielt alle 4 Tage 2 Pfund Brot, das monatlich wechselnd von den 5 Bäckereien geliefert wurde. Da begann die Arbeit schon um halb 10 Uhr und es wurden 200 Wecken vor der täglichen Arbeit gebacken. Denn bei Tag wäre der Ofen zu kalt geworden. Von wegen 48 Stunden-Woche.

1930 und 1931 nahm ich im Münchner Gesellenhaus je an einem Konditoren-Kurs teil. Zweimal wöchentlich 3 Stunden. 1930 hatten wir einen älteren Konditormeister als Lehrer, der aus der Praxis kam, weil er selber als Stunden-Konditor in einigen Bäckereien arbeitete. Der Lehrer vom Winter 1931, ein jüngerer Herr, ging von Voraussetzungen aus, die wir als Bäckergesellen nicht bringen konnten. Deshalb brachte dieser Kurs nicht viel.

(Mündlich: 1934 war ich in einem Meisterkurs in München. Am 9.4.1934 absolvierte ich die Prüfung als Bäckermeister in München. )

Da wir in Bruck schon um 2 Uhr nachts mit der Arbeit angefangen haben, hatte wir nachmittags frei. Da habe ich dann wieder zu lesen begonnen. Es gab eine Pfarrbibliothek. Der Benifiziat, der sie betreute, war sehr tolerant. Neben kirchlichen Schriftstellern waren auch solche vertreten, die von den Eiferern nicht gerne gesehen wurden, wie Heer und Thoma.

Im Sommer 1932 erhielt Kooperator Schmidhuber die gewünschte Pfarrei. Der neue Präses war genau das Gegenteil, bigott, unpünktlich. So war es kein Wunder, dass der Verein schnell auseinander fiel. Als im Winter 1933 die Nazis zur Macht kamen, gingen sehr viele Bürgersöhne zur SA, schon aus geschäftlichen Gründen. Außer einigen Älteren, die regelmäßig zum Kartenspielen kamen, waren nur noch ein paar Jüngere im Gesellenverein.

Zur Ehre der Nazis sei gesagt, dass es in Bruck ruhig weiter ging. Das mag daher rühren, dass alle Bonzen Brucker Bürger waren, die alle kannten und auch bekannt waren. Mir sind nur ein oder zwei Fälle bekannt geworden, die nach Dachau (ins KZ) kamen. (Anmerkung: Für meinen Vater wären die Artikel im "Amperland" sehr interessant gewesen: "Die SA in Fürstenfeldbruck" (Amperland 2002 Heft 2 und 3) und "Zur Entnazifizierung im Landkreis Fürstenfeldbruck" (Amperland 2007 Heft 1 und 3). Leider hat er diese Veröffentlichungen nicht mehr erlebt. Es bleibt wohl den Enkeln überlassen, die Nazizeit auf zu arbeiten.)

Im Gegensatz zu Freising, wo allein aus meiner Schulklasse 6 (ins KZ kamen). 2 blieben dort (sind also umgekommen), 4 wurden nach einem Jahr entlassen und wurden im Krieg zum Batallion 999 eingezogen, wo sie nicht mehr heim kamen. (Anmerkung: Über die Nazizeit in Freising habe ich selbst in der jüngsten Zeit (2008) noch nichts gelesen. Dieses Eisen ist wohl immer noch zu heiß, um von Zeitschriften wie "Amperland" angefasst zu werden. )

Brucker Erlebnisse

Bei der Hochzeit eines Gesellenvereins-Mitglieds wurde dessen Braut gestohlen. Er suchte sie in allen Wirtschaften. Nachts um 10 Uhr begegnete ihm Kooperator Schmidhuber, der einen Versehgang (Besuch bei einem Sterbenden) hatte. Er fragte ihn, warum er rumläuft. Er sagte dann: "lass dich gern haben, gehe heim. Wenn es eine gescheite ist, kommt sie von alleine und um ein Luder ist es nicht schade, wenn sie ausbleibt." Die junge Frau lag daheim im Bett und weinte Rotz und Wasser, weil der Mann schon am Hochzeitstag nicht heim kam.

Bei einer anderen Hochzeit hatten wir die Haustüre mit Ziegelsteinen verbarrikadiert. Da man im Hochzeitsanzug kein Werkzeug in der Tasche hat, wusste sich das Brautpaar trotzdem zu helfen. Das Haus war so niedrig, dass man den Schlüssel in die Dachrinne legen konnte. Der Hochzeiter half seiner Frau auf das Dach, im weißen Brautkleid. Sie drückte ein Speicherfenster auf und stieg ein. Mit einem Waschseil ließ sie einen Hocker herunter, damit er auch aufs Dach und so in das Haus kam.

Eine weitere Hochzeit gab in Bruck Gesprächsstoff ab: Der Schnetzer Girgl betrieb mit seiner Mutter eine Gärtnerei. Er verkaufte seine Ware jeden Vormittag auf dem Marktplatz. Da seine Mutter sehr bösartig war, konnte der Sohn nicht heiraten. Er ging mit einer Köchin vom Marthabräu 17 Jahre lang. Als er das Aufgebot bestellte, bat der den Beamten, er solle es im Schaukasten etwas verstecken. Dieser zog den Schein jedoch auf einen schwarzen Karton auf und befestigte ihn in der Mitte vom Kasten. Der Redakteur der Zeitung, auch ein Junggeselle über 40 ( bei der Machtübernahme (der Nazis) floh er rechtzeitig nach Südamerika), schrieb, dass einer der letzten vom Fähnlein der 7 Aufrechten zur Ehe ging. Auf Wunsch des Hochzeiters fand die Trauung schon in der Frühmesse statt. Der Pfarrer selber las die Messe. Bei der entscheidenden Frage "Willst du den gegenwärtigen Mann zur Ehe nehmen?" zögerte die Braut einen Moment. Der Pfarrer zischte: "No, nimmst ihn jetzt oder nicht. Laufen tut ihr ja schon lang genug mit einander." Überflüssig zu sagen, dass es an diesem Tag nur ein Thema in Bruck gab.

Kooperator Schmidhuber hatte auch einen gemischten Chor gegründet. In seinen jungen Jahren soll er eine sehr gute Tenorstimme gehabt haben und im Freisinger Domchor Solo gesungen haben. Es waren so 20 Damen und so 10 Männer. Wir wurden eine Klicke und wanderten auch sonntags zusammen.

Im Herbst 1931 fuhren wir nach Thiersee zu einem Theater. Der Pfarrhof war damals zugleich eine Gastwirtschaft und schenkte guten Wein aus. Mit einem Kameraden zusammen schlief ich bei einem Bauern. Wir waren kaum im Bett, wurde dem Freund schlecht. Er rannte zum Fenster, brachte den Kopf glatt durch die Eisenstangen vor dem Fenster, aber leider nicht mehr herein. Nach vergeblichen Versuchen weckte ich den Bauern und wir bogen mit einer Wagendeichsel die Stangen aus einander.

Radtour (mündlich, die am liebsten erzählte Geschichte)

Im Herbst gab es viele Zwetschgen und deshalb in der Konditorei wenig zu tun, denn alles aß selbst gebackenen Datschi. So war ich schon um 12 Uhr mittags fertig. Mit dem Rad fuhr ich über München in Richtung Holzkirchen. Hier überholte ich mehrmals einen etwa 40-jährigen Münchner. Er fragte mich: "Wo fährst du hin?" "Ich weiß es noch nicht, vielleicht nach Tegernsee." " Was möchtest du in den teueren Nest, fahre lieber mit mir nach Hausham."

In Darching kehrten wir zur Brotzeit ein. Er bestellte 2 Maß. Wer anschafft, der zahlt. Auch zweimal 2 Paar Wollwürste. Doch sie schmeckten ihm nicht: "Magst es !". Nach dem Mangfalltal hatten wir den Weyerner Berg zu schieben. Damals gab es die Autobahn mit der Weyerner Brücke noch nicht und selbst die Landstraßen waren nicht asphaltiert, die Autos allerdings selten.

Am Weyerner Berg überholte uns ein Hanomag, der Kleinwagen der Zwanzigerjahre: 2 Pfund Blech und 1 Pfund Lack und fertig ist der Hanomag. Eine Frau fuhr. Links saß ihr Begleiter. Der Wagen staubte uns völlig ein und blieb dann vor uns stehen. Als wir vorbei schoben, lachten uns die Autofahrer aus. Sie fuhren dann wieder in einer Staubwolke vorbei, um nochmal anzuhalten. "Wenn sie kommen, hältst du mein Rad !" sagte mein Begleiter. Als das Auto überholte, sprang er auf das Trittbrett und gab der Frau links und rechts eine Ohrfeige. Darauf schaffte das Auto den Berg auf einmal.

Im Naturfreundehaus in Hausham wurde abends getanzt. Da ich nicht tanzen konnte, zog ich jedes mal das Grammophon auf.

Faltbootfahrten (Ergänzung)

Dieses Thema fehlt in der Aufschreibung meines Vaters. Es gibt jedoch Fotos .

Faltboote waren um 1930 die aktuellen Sportartikel und deshalb hat mein Vater auch eines gekauft. Die Amper in Fürstenfeldbruck war ein geeigneter Fluss direkt vor der Haustüre. Flussaufwärts bis Schöngeising oder flussabwärts in die delta ähnlichen Verzweigungen bei Emmering kann man überall schön paddeln. Auf der Donau von Ulm bis Wien zu paddeln, war der Traum der Faltbootfahrer. Ein "Wasserwanderführer für die Donau von Ulm bis Passau" existierte in unserem Haushalt bis in die 1960-er Jahre und ich habe ihn als Kind gerne gelesen. Meine Eltern kamen mit dem Faltboot über die Amper und die Isar bzw. Loisach bei Wolfratshausen nicht hinaus. Einmal fuhren sie mit dem Boot auf dem Chiemsee. Nach dem Krieg hat meine Mutter das Boot, dessen Gummihaut sicher schon brüchig war, noch in der Reichsmarkzeit vertauscht.
Erst nach dem Tod meines Vaters erzählte sie mir eine etwas peinliche Begebenheit: Die Faltbootfahrer brachten ihre Kleidung und sonstigen Habseligkeiten in einem wasserdichten Gummisack im Boot unter. Einmal hat mein Vater mit seinem Boot umgeworfen. Es ist ihm selbst zwar nichts passiert, denn er konnte gut schwimmen und sein Boot hat er auch eingefangen. Aber der Kleidersack mit seiner einzigen Lederhose, Geldbörse und sonstigen Kleidung ist ihm davon geschwommen und er hat somit seine sämtlichen Habseligkeiten und Geld bis auf die Badehose, die er an hatte, verloren. Meine Mutter, die beiden kannten sich wohl noch nicht lange, hat ihm dann Geld geliehen, damit er sich wieder Kleidung kaufen konnte. So hat sich also meine Mutter ihren Mann "gefischt".

Heirat

Wenn ich heute mein Leben so überblicke, kann ich wohl sagen, dass die Brucker Jahre zu meinen schönsten zählten und mich entscheidend prägten. In Bruck lernte ich auch meine Frau Margarethe kennen. Sie war in der gleichen Bäckerei (von 15.10.1930 bis 15.6.1933) beschäftigt. 1933 ging sie für einen Sommer nach hause ( zur Ernte in der elterlichen Landwirtschaft) und trat im Herbst eine Stelle in München (als Köchin bei der Familie Späth, die weiter unten nochmal genannt wird)  in der Zenettistraße an. Meistens trafen wir uns dann alle 14 Tage, so in der Gegend Gräfelfing. ( Am freien Mittwoch nachmittags fuhren wir mit dem Rad los und trafen uns auf halbem Weg zwischen Bruck und München im Kreuzlinger Forst. Wir hatten ja noch kein Telefon zur Verfügung. Für alle Mitteilungen wurden Postkarten geschrieben. )

Mit dem Urlaub haperte es bei Gretls Stelle in München. Zweimal erhielt sie je eine Woche. 1934 fuhren wir nach Südtirol und 1935 an Rhein und Mosel. (Am Rhein war die Radler-Gruppe allein schon durch ihre Lederhosen als Bayern erkennbar und aufgefallen.)   Sonntags- und Wochenendfahrten unternahmen wir mehrere.

1936 Ich ging schon an die 30 und ich machte mir Gedanken für meine Zukunft. Ich wollte nicht immer in abhängiger Stelle sein, sondern für mich selbst arbeiten. Inzwischen war ich erster Geselle geworden. Die Bäckergesellen, die eingestellt wurden, wechselten rasch, da 12- und 14-stündige Arbeitszeit nicht mehr gefragt war. Die Arbeitslosigkeit war abgebaut.

1937 Im Januar 1937 gab ich die Stelle in Bruck auf. Gretl besorgte mir ein Zimmer bei Schweizer in der Zenettistraße (Josef Schweizer, Polier bei der Firma Späth,  wurde bald darauf der Schwager, da er Gretls Schwester Kathi (siehe deren Lebensgeschichte) geheiratet hat.) und ich ging auf Geschäftssuche. Ich fand eines in der Parkstraße. Es war ein Eckgeschäft, kostete 5000 Mark (Ablösung für die Einrichtung) und 300 Mark Monatsmiete. Am 25. Februar 1937 haben wir geheiratet und am gleichen Tag das Geschäft gekauft. (Für den Kaufpreis reichten unsere Ersparnisse nicht aus, deshalb gab meine Mutter in Freising noch ihr Spargeld dazu.)

Sicher, die Arbeitszeit war nicht kürzer, aber wir arbeiteten doch für uns.

(Anmerkung: Das muss ich, der Sohn, nun doch etwas erläutern: Mein Vater ging spätestens um 4 Uhr in die Backstube, damit um 6 Uhr, wenn meine Mutter den Laden öffnete, Brot und Semmeln fertig waren. Gleich am frühen Morgen kamen die Berufstätigen einkaufen, um ihre Brotzeit mit in die Arbeit zu nehmen. Am späten Vormittag war mein Vater in der Backstube mit der Arbeit fertig und konnte meine Mutter im Laden vertreten. Dann hatte meine Mutter etwas Zeit für die Hausarbeit. Um 6 Uhr abends wurde normalerweise der Laden geschlossen, geputzt und das Geld gezählt. Um 8 Uhr abends fielen beide müde ins Bett. Auch ich als Kind und Jugendlicher musste zwangsläufig um 8 Uhr ins Bett, was meine Freunde sehr verwunderte: "Eine seltsame Familie ! " Frei waren nur Samstag nachmittags und Sonntag. Urlaub und Krankheit war in diesem Lebensplan nicht vorgesehen.)

Krieg

(Kommentar, eingefügt 2018:


Die Militärdienstzeit nimmt einen großen Teil seiner Lebensgeschichte ein. Er schreibt aber nichts über das Militär, sondern immer nur darüber, wie er sich privat der Befehlsmaschinerie zu entziehen versuchte, ohne damit an zu ecken.Es geht immer nur darum, wie er das autoritäre System ausgetrickst hat.  In den Jahren der Gefangenschaft gab es  diese Möglichkeiten nicht mehr.

Es  sollte nicht vergessen werden, dass während der Lebenszeit meines Vaters zweimal das Geld seinen Wert völlig verloren hat (1923 und 1948) , alle Ersparnisse einer falschen Politik geopfert wurden. Es wäre ungerecht, ihm vor zu werfen, dass er am Ende seines Lebens fast vor dem Nichts stand, nichts Bleibendes geschaffen hat, weder materiell noch ideell, mit Ausnahme seiner vorstehenden Lebensgeschichte.

Die beiden Kriege, die er erleben musste, waren keine Naturkatastrophen, sondern mutwillig von einer wahnsinnigen deutschen Staatsführung verursacht.  )
Fortsetzung des Originaltextes:

Politisch ging es nun rasant. Im Frühjahr 37 (der Anschluss von) Österreich, im Herbst Sudetengau, 1938 Saargebiet und die Tschechoslowakei. 1939 begann dann der Krieg. Schon ein paar Wochen vorher wurde alles rationiert.

1940 im September erhielt ich die Einberufung (zum Militär). Das Geschäft wurde geschlossen. ( Die Vorräte der Bäckerei (Mehl, Zucker) mussten an eine Sammelstelle zurück gegeben werden.) Die Miete wurde vom Staat bezahlt. (Sie war ja das Mehrfache eines normalen Monatseinkommens.).

Zur Rekrutenausbildung musste ich nach Neuburg an der Donau. 8 Wochen später wurden wir zu den Landesschützen nach München versetzt. Hier konnte ich an wachfreien Abenden nach Hause gehen.

(Anmerkung: Diese Einberufung gehörte schon zu den Vorbereitungen des Rußlandfeldzuges im folgenden Jahr, denn militärisch war zu diesem Zeitpunkt wenig los. Polen, Frankreich und Norwegen war besetzt. Das Militär hatte sich verausgabt und  musste sich neu aufstellen. Am Anfang des Krieges wurden zuerst die jungen Wehrpflichtigen, die Jahrgänge um 1920 eingesetzt. Wer überlebt hatte, wurde befördert und kommandierte nun die 1940 eingezogenen schon älteren Jahrgänge von 1906 bis 1914. Die Geburtsjahrgänge von 1914 bis 1919 fehlten fast völlig, denn während des ersten Weltkrieges wurden wenig Kinder geboren. So ergab sich die paradoxe Situation, dass die Dienstgrade um 20 Jahre alt, die Mannschaft aber um 35 Jahre alt war.

Bis zum Beginn des Rußland-Krieges wußte das  Militär mit den neuen Rekruten wenig anzufangen, deshalb durfte  mein Vater  oft nach hause.

Mein Vater rechnete nicht mit einem schnellen Ende des Krieges und einer Wieder-Öffnung seiner Bäckerei. Da meine Mutter durch den Krieg praktisch ohne Beschäftigung war, haben meine Eltern nun offensichtlich geplant und konsequent ein Kind erzeugt, eben mich, der diesen Text eintippt. In den 6 Jahren ihrer ledigen und bis dahin 3 Jahren ehelichen Partnerschaft war ein Kind praktisch nicht möglich, da meine Mutter ja stets als Arbeitskraft einsatzfähig sein musste. Die Entscheidung für ein Kind erfordert einen gewissen Optimismus für die Zukunft. Ob sich meine Eltern anders entschieden hätten, wenn sie geahnt hätten, wie schlimm der Krieg enden wird, habe ich leider versäumt zu fragen.

Die Entscheidung für ein Kind hatte auch eine praktische Seite. Kinderlose Frauen wurden zur Arbeit in den Rüstungsfabriken dienstverpflichtet. Mit einem kleinen Kind ersparte sich meine Mutter diese Belastung.)

Russland August 1941 bis 1943

Im Mai 1941 wurden alle Bäcker und Metzger aussortiert und in die Blumen- und Martinsschule versetzt. Schon einige Wochen später wurden Bäcker- und Schlächtereikompanien zusammen gestellt. Wir kamen nach Arnsberg in Westfalen. Hier stießen dann noch Kraftfahrer zu uns. Die Lastwagen mussten wir in Paris abholen. (Die französischen Autofabriken produzierten also schon für das deutsche Militär.) Ich war als Beifahrer eingeteilt, so dass ich bei dieser Gelegenheit die Stadt Paris kennen lernte. 4 Tage waren wir dort. Über Brüssel - Aachen ging es wieder nach Arnsberg. Hier wanderte ich zum Möhnesee und einmal zur Sorpetalsperre. Hier in Westfalen wurden fast alle Flüsse zu Seen aufgestaut und als Trinkwasser-Reservate verwendet.

Im August 1941 ( begann der Rußland-Feldzug und ) es ging per Lastauto auf der Autobahn über Braunschweig, Magdeburg, Frankfurt an der Oder nach Warschau. (Das Fotoalbum enthält Bilder, die vermutlich das Warschauer Getto zeigen.) Wir waren Armee-Bäckerei der Panzerarmee Nord. Im Gegensatz zu Divisions-Bäckereien, die beim Vormarsch oft nur 1 bis 2 Tage an einem Orte lagen, blieben wir oft 14 Tage an einem Ort liegen und versorgten zum Schluss den Nachschub. Aber wenn verlegt, kamen wir bis zur Front. Der östlichste Ort der Nordfront war Orel. Hier besetzten wir eine russische Brotfabrik. Sonst wurde in 3 Schichten in der Bäckerei gearbeitet. Dazu Arbeitsdienst, Brotausgabe und Holz machen. Wir verheizten täglich 4 Ster Holz, kurz geschnitten und gehackt wie für einen Küchenherd. Das gab allerhand Arbeit so nebenher. Wenn das Aggregat ausfiel, jeden Monat so 1 bis 2 Tage, es lief ja jeden Tag 18 Stunden, mussten wir den Teig von Hand mischen und kneten. Alle 2 Stunden 500 Kommissbrote. Dazu den nötigen Sauerteig. Das Wasser dazu, ca. 1500 Liter musste so nebenbei an irgend einem Brunnen besorgt werden. Wir hatten 5 Wasserfässer zu 200 Liter. Erst später nahmen die Kraftfahrer einen liegen gebliebenen Tankwagen mit, der 3000 Liter fasste. Das waren die Probleme für das Vorauskommando, wo backen, wo Holz und wo Wasser. Abbruchreife Holzhäuser gab es ja oft, aber Wasser war rar. So eine Zisterne war rasch leer. Unsere Backmeister und Schichtführer waren fast alles jüngere Leute, die als Zivilisten zu Bäckereikompanien eingezogen wurden und erst in München beim Ersatzbatallion zu Soldaten ausgebildet wurden.

Wir hatten vor allem im strengen Winter 1941 - 42 Schwierigkeiten, denn das Rezept, das man uns mitgegeben hat, welche Menge Wasser, Mehl, Sauerteig und Holzstreumehl (?) funktionierte nicht mehr. Wir haben da ein Zeug gebacken, das nach 8 Tagen noch am Messer klebte. Ich sagte dem Backmeister, er solle den Sauerteig verdoppeln und da ging es wieder. Er hat mich immer gut leiden können. Ich bekam noch vor den Schichtführern das Kriegsverdienstkreuz. Das gab Neid.

Die Post war immer bei der Armeeführung und einmal brachte der Feldwebel nur ein Telegramm für mich, dass mein Sohn geboren wurde (30.8.1941). Dadurch wussten es gleich alle und es wurde natürlich gefeiert. Ich hatte schon etliche Flaschen Sprit und Zucker gehortet. Einmal war eine Zuckerfabrik in der Nähe. Der Spieß spendierte noch 2 Flaschen Sekt.

Im Frühjahr 1942 musste unsere Kompanie jeden Samstag einen Verpflegungszug ausladen. Dafür fuhren wir als Begleitung für das Leergut. Unsere Kompanie erhielt 2 bis 3 Karten im Monat für den Fronturlauber-Zug. Es hätte Jahre gedauert, bis wir alle an die Reihe gekommen wären. Wir waren 3 Münchner und da die Einheit ja von München kam, waren wir bis Mai 1941 daheim. Deshalb waren wir die letzten.

Mitte August mussten wir zum Chef (Hauptmann der Kompanie). Er sagte uns, dass im September anfangs, Mitte und ende, je eine Platzkarte für uns da sei. Aber er hatte im Armeeverpflegungslager gehört, dass 3 Waggon leere Bierfässer nach München vorbereitet wurden. Wir entschieden uns natürlich für diesen Weg. Bei den Platzkarten begann der Urlaub in Brest-Litowsk. Beim Fässertransport aber am Zielort in München. Am 10. September nachts ging es los mit dem Zug nach Bryansk. Im Bahnhof Ost luden wir die Waggons mit Bierfässern voll, wobei wir im 3. Waggon die Fässer nur außen herum als Kugelfang auftürmten und in der Mitte Platz für uns ließen. Der Zahlmeister meinte, 3 Wochen seien wir wohl unterwegs und wir erhielten für diese Zeit Marschverpflegung. In Bryansk-West standen wir wieder 1 Tag und da sahen wir, wie ein Flak-Kommando (die Züge waren gegen Luftangriffe und Partisanenangriffe bewaffnet.), das die gleiche Marschverpflegung bekommen hatte, wieder mit vollen Säcken daher kam. Die haben nochmal Verpflegung geholt auf Urlaubsschein. Das konnten wir auch. Unterwegs haben wir nur gegessen, was nicht so lange gehalten hat. An jedem Haltepunkt holten wir beim Roten Kreuz warme Erbsensuppe. In Brest sprach eine Schwester so bayerisch. Ich fragte, wo sie daheim sei. In Mühldorf. Jahre später, bei der Entlassung in Hammelburg sah ich diese Schwester wieder und sie hat sich gefreut, als ich sie anredete. Über Tschenstochau - Hindenburg - durch Oberschlesien, nach Prag, über Eger kamen wir nach Regensburg. Hier erhielten wir 4 Würste als Verpflegung nach München. In Laim sagten uns die Eisenbahner die Wagen zur Hackerbrücke (Hacker- und Pschorrbrauerei). Mit der Straßenbahn fuhr ich heim und sah zum ersten mal meinen (inzwischen 1 Jahr alten) Sohn. Am nächsten Morgen holte ich mein Gepäck. Dem Lademeister sagten wir, abends holen wir die Papiere. Mit diesen meldeten wir uns am anderen Morgen beim Kommando im Hauptbahnhof. Ein junger Leutnant mit Ritterkreuz, der nur mehr einen Fuß hatte, bestellte uns für abends um 10 Uhr wieder und da begann der Urlaub am anderen Tag mittags um 12 Uhr. Wir hatten also 3 Tage heraus geschunden.

Die Rückfahrt trat ich mit dem Fronturlauberzug "Paris - Wien - Brest" an. Mit einem Anschluss in Minsk und Bryansk wollte ich zur Kompanie. In Brest traf ich einen Kameraden, der schon vom 2. Urlaub zurück kam. Der sagte mir, dass die Kompanie wahrscheinlich in Deutschland sei. So war es auch. Mit einem neuen Marschbefehl ging es wieder die Strecken zurück, über Frankfurt an der Oder, Berlin nach Osnabrück. Als ich mich beim Spieß meldete, ich war der letzte von uns dreien, meinte er, ob ich etwas dagegen hätte, wenn ich gleich wieder in Urlaub müsste. Es ging also wieder für 14 Tage heim. Als ich Ende November zur Kompanie zurück kam, war ich ein Vierteljahr weg. Ende Dezember fuhr ich schon wieder wegen Familienangelegenheiten.
(Anmerkung:  Bei den "Familienangelegenheiten"  konnte es sich nur um die "Evakuierung", also den Umzug  von Frau und Kind  nach Hattenhofen ins Haus der Großeltern  handeln. Als die Bombenangriffe schlimmer wurden, verließ alles die Städte und suchte auf dem Land Unterschlupf. In die unbenutzte  Bäckerei und die dazu gehörende noch möblierte 1-Zimmer-Wohnung wurden in der Folgezeit bis Kriegsende immer wieder "Ausgebombte" untergebracht, also Restfamilien, die durch die Bombardierung obdachlos geworden waren. )

Der Kompanie-Chef, in Zivil ein evangelischer Pastor, war prima in dieser Beziehung. Diesmal wurde ich telegrafisch zurück geholt.

1943 Am 10. Januar wurden wir in die Bahn verladen und in 3 Tagen ging es über Magdeburg, Breslau nach Kiew. Bei jedem Lokwechsel stand schon eine neue Lok bereit. Die müssen uns notwendig brauchen. Ein Vierteljahr haben wir nur das Brot gebacken, das wir selber gegessen haben. Wir kamen nach Charkow. Hier ging es rund. Die O.T. (Organisation Todt, heute "Technisches Hilfswerk", benannt nach dem Leiter der Organisation, der hieß nämlich Todt) baute die Straße zu unserem Betrieb aus. Eine Wasserleitung wurde vom See herauf gelegt. Russen machten das Holz. Wir bekamen von einer aufgelösten Bäckerei-Kompanie noch 3 Back-Anhänger (Backöfen). Mitten in diesem Trubel kam der 2B der Armee, ebenfalls ein General, und sagte, so ein Glück wie wir möchte er auch haben. Wir kamen wieder zurück nach Deutschland, denn wir wurden von einer Kompanie abgelöst, die beim Rückzug ihr gesamtes Gerät verloren hat.

Mit unseren Lastautos wurden wir wieder in die Bahn verladen. Diesmal ging es über Brest, Königsberg, Berlin nach Soest. Der Chef schickte alles in Urlaub. Wir erhielten ein neues Gerät. Alles wurde auf Khaki-Braun um gespritzt. Von Soest wanderte ich wieder zum Möhnesee. Die Staumauer war durch einen englischen Torpedo haargenau in der Mitte getroffen worden und das auslaufende Wasser hatte Hunderten in den Städten an der Ruhr den Tod gebracht, da das Hochwasser ja nachts kam. Darauf ließ man alle Stauseen in Deutschland auslaufen.

Frankreich Juli bis August 1943

Mitte Juli 1943 fuhren wir wieder mit der Bahn über Fulda, Frankfurt, Karlsruhe, Mühlhausen, Lyon, Marsaille, am Mittelmeer entlang nach Narbonne an der spanischen Grenze. Etwas landeinwärts nach Carcassonne. Hier wurden wir ausgeladen. Kein Mensch wusste weiter. Mit einem Kameraden wanderte ich hinauf zur Burg, die ja als die größte erhaltene Burganlage der Welt gilt. Zwischen kleinen alten, aber bewohnten Häuschen sahen wir eine baufällige Kirche. Alles war wie vor 500 Jahren.

Bram, etwa 20 km landeinwärts, wurde unser neues Domizil. Wir Bäcker wurde alle in einem Café einquartiert. Im Ort war ein Lager für gefangene Rotspanier, diese wurden zur Arbeit herangezogen. Wir hatten dafür Vormittags exerzieren. Nachmittags war Schwimmen Dienst. Bei Bram führte der Rhone-Loire-Kanal vorbei ( Canal du Midi) . Es wurde erzählt, dass Frankreich diesen Kanal nach dem 1. Weltkrieg als Kriegsentschädigung zur Großschiffahrtsstraße ausbauen wollte, um das Mittelmeer mit der Biskaya zu verbinden. England habe diesen Plan hintertrieben, damit Gibraltar seinen strategischen Wert nicht verlor.

Mit einem Kameraden bin ich viel herum gelaufen. Einmal sind wir zu einem hoch gelegenen Dorf gewandert. Hier sah man in die Pyrenäen. Ein älterer Franzose sagte uns, dass hinter diesen Bergen Lourdes sei. "Da müssen wir den Backmeister hin hetzen." Am anderen Tag beim Baden erklärten wir es ihm. Er redete mit dem Kompanie-Chef. Am Freitag sagte er, wir fahren hin. Als wir am Samstag dann den Marschbefehl holen wollten, meinte er, das ginge leider nicht, weil es mit der Bahn über 350 km seien. Ja wenn wir einen Grund hätten. Im Krieg waren viele Hotels als Lazarette beschlagnahmt. Ich sagte saukalt, mein Bruder sei dort im Krankenhaus. (Ich war ein Einzelkind und hatte gar keinen Bruder.)  Nach kurzem Überlegen: "Das geht." Mit Marschverpflegung versorgt, saßen wir mittags um 12 im Zug nach Toulouse. Von da ging es Richtung Pau und abends erreichten wir Lourdes. Schnell waren wir durch den Ort. Einen Soldaten fragten wir wegen Übernachtung. In der Kommandantur erhielten wir ein Freiquartier zugewiesen. Der Wirt bot uns markenfreien Hasenbraten zu 5 Mark an. Er war prima. Am anderen Morgen in der alten Pfarrkirche war alles leer. Ein alter Herr zeigte uns den Wallfahrtsbezirk. Ein Mesner führte uns in eine kleine Kirche im 2. Stock. Hier stand Beichtstuhl neben Beichtstuhl. Bei einem deutsch sprechenden Pfarrer, offenbar ein Elsässer, konnten wir gleich beichten. Der Pfarrer schimpfte nicht schlecht auf Hitler. Vor der Kirche gab es Verkaufsstände mit allem möglichen Kitsch. (Ein kleines Fläschchen mit Wasser aus Lourdes existierte in unserem Haushalt noch bis in die 50-er Jahre.)

Nach der Mittagspause marschierten wir wieder los. Am Abend vorher hatten wir am Ortsende eine Seilbahn entdeckt, die auf einen 2000 m hohen Berg fuhr. 5 km war bis zur Talstation. In der größten Mittagshitze latschten wir durch das enge Tal. Der Backmeister jammerte. Bei km 5 setzte er sich auf den Stein. "I gang koin Schritt mehr!" Ich schaute um die Kurve der Straße. Da war die Talstation. Gleich wurde eine Großkabine abgefertigt. Auf dem Gipfel hat es ihm dann schon gefallen. Beim Rückmarsch war es dann schon kühler. Mit dem Zug kamen wir wieder nach Toulouse und haben im Soldatenheim übernachtet. Am nächsten Morgen in Richtung Bram blieb der Zug 5 km vor Bram stehen. Das Gleis war gesprengt worden. 8 Stunden saßen wir Mitte August im Zug. Meinen Vorschlag, die 5 km zu laufen, lehnte der Backmeister ab. "I gang koin Schritt!". Abends bei der Befehlsausgabe meinte der Spieß zu mir, er hätte nicht geglaubt, dass ich so verrückt auf Berge sei. Er wäre nicht mit gelaufen. Aber gefallen muss es dem Backmeister doch haben, denn am nächsten Wochenende wollte der Spieß mit 2 Kraftfahrern los ziehen. Aber wir wurden nach Italien verlegt.

Italien 1943

In Italien hatte es einen Umsturz gegeben. Mussolini war verhaftet worden. Die neue Regierung schloss einen Waffenstillstand mit den Engländern, die schon Süditalien erobert hatten.

Die Fahrt nach Italien war schön. Sie ging von Narbonne durch Südfrankreich immer der Küste entlang über Nizza, Genua, Mailand, Verona. Wir fuhren nur bei Tag und hatten Platz im Zug, da die Kraftfahrer bei den Autos blieben. In Verona wurden wir in ein Kloster einquartiert. Arbeit hatten wir hier nur eine Schicht und dadurch viel Freizeit.

Später wurden wir auf Kommandos aufgeteilt. Ich kam mit 4 Kameraden nach Brixen in eine italienische Privatbäckerei. Abwechseln backten wir 3 Tage und der Boss 3 Tage. Zur Brotausgabe und Wache wurde nur 1 Mann benötigt. Der Unteroffizier war prima und ließ mich in der Freizeit Ausflüge unternehmen. Einmal unternahm ich eine Tagestour auf die Plose. Für die Hüttenwirtin nahm ich 2 Brote mit, im Tausch gegen Essen. Sie warnte mich vor Partisanen. (Wahrscheinlich waren die Partisanen besser informiert und wussten, dass hier nur ein harmloser Bäcker herum lief.) Aus einem verlassenen italienischen Camp, die Italiener waren beim Umsturz heim gelaufen, nahm ich Bergstiefel, Zeltbahnen und so weiter mit. Ein Auto von unserer Kompanie brachte die Sachen als Paket nach Kiefersfelden (zur Post.) Wir besaßen noch 3000 Liter Benzin, das wir in Russland in unserem Wassertank gefüllt hatten, vor der Sprengung eines Tanklagers. Dadurch waren solche Fahrten noch möglich. Das Paket kam lange nicht an, weil die Adresse verwischt wurde. Nach Rückfrage bei der Kompanie gab ich die Adresse nochmal an. Das Kommando in Brixen wurde wieder aufgelöst und wir kamen zur Kompanie nach Triest zurück.

Von hier gab es auch wieder Urlaub. Am Bahnhof hieß es, der gestrige Fronturlauberzug ist vor einer Stunde durch. Ich ging zu den Eisenbahnern und für eine Schachtel Zigaretten erfuhr ich den nächsten Güterzug zum Brenner. Hier das gleiche nach Innsbruck. Mit Personenzügen kam ich nach Hattenhofen, wo meine Familie jetzt war. Vormittags um 10 Uhr war ich da und fand meine Leute gerade beim Auspacken des Paketes. Das Dreirad wurde gleich von Sepperl in Beschlag genommen.

Zur Rückfahrt war die Auffangstelle für Italien-Urlauber (heute versteht man darunter die entgegen gesetzte Richtung) in der Schwanthaler Schule. Hier erfuhr ich von Leuten, wie man einige Urlaubstage heraus schinden konnte. Der Spieß zählte die Leute abwechselnd von rechts und von links ab, denn er konnte nur so viele Fahrkarten ausgeben, wie im Zug Platz hatten. Bis ich halt dem Spieß auffiel. In Triest zeigte mir der Hauptfeldwebel den soeben ausgestellten Suchbefehl.

Für einige Wochen kam ich dann nach Udine. In einer italienischen Militärbäckerei hatten wir die Aufsicht. Als das Kommando verkleinert wurde, kam ich weg. Mit dem Unteroffizier habe ich mich nie gut verstanden. Da wir Zahlmeistern unterstanden, der Häuptling war Münchner, schrieb er uns den Marschbefehl nach Parma, wo die Kompanie jetzt war, über Mestre - Venedig, Padua - Verona. So konnte ich einige Stunden in Venedig sein.

In Parma arbeiteten wir schichtweise in einer großen italienischen Brot- und Nudelfabrik. Zweimal wurde ich vom Backmeister, der mich ja gut kannte, als Begleiter mit 3 Waggon Brot nach Livorno eingeteilt. Das erste Mal wurden wir in einem Bahnhof bombardiert und blieben drei Tage liegen. Das zweite Mal war ich in einem Tag dort. Ich bat den Zahlmeister, der mir das Brot abnahm und mich mit Marschbefehl zurück schickte, mir einen solchen über Florenz nach Parma auszustellen. So weit ging die Freundschaft doch nicht, aber über Pisa konnte ich fahren.

1944 zur Infanterie

Im Frühjahr 1944 gab es wieder Urlaub. Ich ahnte nicht, dass es für Jahre das letzte Wiedersehen zuhause war.

(Anmerkung: Mein Vater ahnte jedoch, dass die Lage gefährlicher wurde. Er ließ in diesem Urlaub seine Armbanduhr, Fotoapparat und Ehering zuhause, also alle Wertgegenstände. Deshalb gibt es ab diesem Urlaub keine Fotos mehr. Alle bisherigen Kriegsfotos hat mein Vater offensichtlich in diesem Urlaub in ein Album mit dem Titel "Kriegserinnerungen" geklebt, allerdings ohne Beschriftung. Das Album existiert noch. Nach der Niederschrift seiner Lebensgeschichte ließ ich mir erklären, was auf den Fotos war und notierte die Titel. Sehr aussagefähig ist diese Liste leider nicht und einige Städtebilder sind eindeutig falsch zugeordnet.
Erst die Digitalisierung der Bilder im Jahr 2006 mit Vergrößerung auf Bildschirmgröße ließ Details erkennen. Für Nachfragen war es da zu spät.)

Im Sommer 1944 kam der "Heldenklau" und einschließlich Jahrgang 1907 wurden alle zur Kampftruppe abgestellt. Die neue Division wurde in Genua aufgestellt. Hier fuhren wir einmal mit der Zahnradbahn auf einen Berg mit einer Wallfahrtskirche für die Marine. Wieso die Marine auf die höchsten Berge ging, weiß ich nicht. ( Die Bergspitze ist das erste, was der Seemann sieht, wenn er sich dem Land nähert.) In Marsaille war ich Jahre später in einer solchen und auch in Barcellona soll es eine solche geben. In der Kirche trat ich für einen Kameraden den Blasbalg der Orgel. Er war in Zivil Kantor an der Marienkirche in Lübeck. Er war ehrlich erschüttert, als der Kompanie-Chef einen "anständigen Walzer" hören wollte.

In nächtelangen Märschen ging es über La Spezia, Carrara, Forli nach Rimini. ( Bei Nacht wurde marschiert. Bei Tag versteckte sich die Truppe in den Weinbergen und schlief. Wegen der feindlichen Flieger waren keine Märsche bei Tag möglich. Einen Zugverkehr gab es scheinbar nicht mehr oder was sollte das Marschieren für einen Sinn haben ? Als die Soldaten dann vor Übermüdung in einem Dämmerzustand waren, wurden sie zum Kampf eingesetzt. )

Etwa 6 Wochen war ich im Einsatz, (stets marschierend ?. Anmerkung:  Von Genua bis Rimini sind Luftlinie etwa 300 km. Da sind die Soldaten wirklich 6 Wochen lang jede Nacht mit schwerem Gepäck durch die Finsternis gestolpert, ohne Orientierung. Wenn das der übliche Einsatz der Kampftruppen war, kommen mir schon Zweifel an der Kompetenz unserer Militärführung. Die "Heldenklau-Division" hat sich genauso schnell wieder aufgelöst, wie sie aufgestellt wurde. )

Ausgerechnet am 18. September 1944 (also am 37. Geburtstag) standen nach schwerem Artilleriebeschuss plötzlich die Tommies (Englische Soldaten und Panzer) vor unseren Löchern. Alles war zwecklos und wir (hoben die Hände und ) gingen mit.

(Anmerkung: Mein Vater war also von September 1940 bis 18.9.1944 4 Jahre lang aktiv beim Militär. Als er nach 4 Jahren erstmals wirklich einem Feind gegenüber stand, machte er "Hände hoch", anstatt zu kämpfen. Das wurde mir erst nach seinem Tod bewusst. Ich konnte ihn nicht mehr zu diesem Thema fragen. Bestimmt war es nicht seine persönliche Entscheidung, denn er war ja nicht allein. Hätte einer aus der Gruppe geschossen, hätte es den anderen nichts genützt, die Hände hoch zu heben. Sie wären alle tot gewesen. Das musste der Anführer der Gruppe entscheiden, ein Unteroffizier. Ich kann diese Entscheidung nur als sehr vernünftig bezeichnen, denn dadurch blieb mir mein Vater erhalten. Ohne ihn wäre mein  Leben  und das meiner Mutter sicher ganz anders verlaufen.

In meiner Jugend las ich viele der damals aus der Nazizeit übrig gebliebenen Kriegsbücher, in denen stets von der Tapferkeit der Soldaten die Rede war. Heute sehe ich das realistischer, nämlich dass die Tapferkeit stets die Materialüberlegenheit ist, den Gegner durch eigenes Feuer an der Gegenwehr zu hindern. Besteht keine Überlegenheit, so nützt die Tapferkeit gar nichts. Der Unterlegene entgeht dem Tod nur, wenn der Feind ruhig genug ist, die Unterwerfung noch rechtzeitig zu erkennen.


Die Militärführung unterschied wohl zwischen "wertvollen, kampfstarken", gut ausgerüsteten Einheiten und "schlechten, schwachen" schlecht ausgerüsteten. Die "guten" Truppen wurden stets rechtzeitig abgezogen, bevor sie in feindliches Feuer gerieten und zeigten ihre Kampfkraft dann, wenn sie mit Übermacht drauf hauen konnten, ohne selbst Schläge zu bekommen. .
Die "schlechten" Truppen, zu denen die 6-Wochen-Infanterie mit meinem Vater gehörte, erhielten dagegen den Befehl, die aussichtslose Stellung zu halten. Als Strafe für ihr "Versagen" wurde die Gruppe beim Abmarsch in die Gefangenschaft noch von der eigenen Artillerie beschossen, wie im folgenden berichtet: )
Originaltext Fortsetzung:

Gefangenschaft

Als wir einen Berghang entlang gingen, schoss die deutsche Artillerie auf uns. Schnell sprangen wir in den Graben. Nur der englische Bewacher schaute sparsam und bekam einige Splitter ab.

(Anmerkung: Die Beschießung war sicher kein Zufall. Immerhin hatten die  Infanteristen soviel Kriegs-Erfahrung, dass sie  Entfernung und Richtung  der  Abschüsse  beurteilen konnten  und  rechtzeitig in Deckung gingen.)

Wir zogen unseren Bewacher in den Graben und verbanden ihn. Den verletzten Engländer stützend zog die Gruppe weiter.  Dafür erlaubte uns ein englischer Oberst, aus einem umgestürzten deutschen Infanteriekarren heraus zu suchen, was wir brauchen konnten. Ich entschied mich für drei lange Unterhosen. Diese haben mir in der Folge sehr gut getan, weil wir ja ständig im Freien oder in Zelten lagen. Der Oberst fragte uns, weshalb unser Kompanie-Chef abgelöst wurde. Wir hatten davon keine Ahnung. So gut waren die über uns informiert. 

Chiaravalle hieß das Auffanglager. Nach einer Woche ging es mit der Bahn nach Süden. Wir sahen nichts von Rom. In Monte Cassino standen wir einen ganzen Tag. Hier nahm der Posten vor unserem Waggon einem Italiener einen Korb voll Orangen vom Kopf und schüttete ihn zu uns herein. Der Italiener hat vielleicht geschrien.  In Palermo waren wir für eine Woche im Fußballstadion untergebracht.  Per Schiff ging es dann nach Algier.

Ziemlich weit von der Stadt waren die Camps auf einem Hang angelegt. Das oberhalb gelegene war schon einige Zeit belegt und die Leute in Arbeit. Gegen Abend schrie einer plötzlich: "Mensch, da drüben geht der Kiening Sepp." Es waren drei Leute von der Bäckerei-Kompanie. "Hast du Hunger ?" "Ja!"
"Hast du ein Bett?" "Nein."  Ein Topf voll Essen flog über den Stacheldrahtzaun. Am anderen Abend, wir mussten wieder antreten, schoben sie Balken durch den Stacheldraht. Der englische Posten im Gang zwischen den zwei Lagern half  mit. Dazu eine große Rolle starkes Gummikabel.  Ich löste die Drähte aus dem Mantel. Drähte und Gummischlauch spannte ich zwischen die Balken, so dass ich wie auf einer Federmatratze lag.

Algier war der Anlaufhafen für die Geleitzüge der Alliierten. Von hier aus kam alles mit kleineren Schiffen an die italienische Front. Wir wurden gleich zur Arbeit eingeteilt. Ich kam zu einem Kommando mit 6 Mann und wir wurden auf einem weiträumigen Farbenplatz eingeteilt. Zu unserem Team gehörte ein Ingenieur und ein Spediteur, der alle Tricks kannte, um die Transportarbeit zu erleichtern. Einmal mussten wir zum Beispiel schwere Fässer verladen. Diese lagen auf einer Wiese 2 m unter Straßenniveau. Der Spediteur legt Balken (als schräge Rampe) von der Wiese zum Wagen, band das Seil am Wagen fest, führte das andere Ende unter dem Fass durch. Zwei Mann dirigierten das Fass, damit es nicht von Balken rutschte, zwei zogen am Seil und rollten es auf den Wagen. Da kam ein englischer Oberst vorbei und schaute uns zu. Dann half er das Fass dirigieren und beim nächsten zog er mit am Seil. Jedem gab er eine Schachtel Zigaretten und kopfschüttelnd stieg er wieder in das Auto ein.

Unsere "Tommys" waren sehr anständig. selbst Frontsoldaten. Wenn keine Arbeit da war, konnten wir nebenan Fußballspielen anschauen. Einmal kam ein General und sah uns sitzen. Er ging zum Sergeanten  Dieser sagte, dass wir sehr gut seinen. Da setzte er sich auch auf die Bank und verteilte Zigaretten.  Ich musste da an deutsche Generäle denken.

In Ägypten 1945 bis1947

Ein paar Tage vor Ostern 1945 wurden wir nach Ägypten verlegt. Einer unserer Kameraden war abgehauen. Die Engländer vermissten ihn erst, als wir einzeln durch eine schmale Türe gingen und dabei gezählt wurden. In Port Said wurden wir ausgeladen und mit Güterwagen auf einem Gleis neben dem Suezkanal in die Höhe der Bitterseen gefahren. Ich hatte mir den Suezkanal breiter vorgestellt. 

Hier herrschte ein anderer Ton als in Algier. Es gab keine Arbeit, daher auch für Raucher keine Zigaretten. Ein Jahr dauerte dieser Zustand. Täglich erhielten wir, so lange noch Krieg war, den deutschen und den englischen Wehrmachtsbericht.  Nach Kriegsende kamen Nachrichten über die Zustände in Deutschland, KZ und so weiter.  Diese wurden mit ungläubigem Staunen aufgenommen.

Ich kam zu Lager 2750, wie sich nachher heraus stellte, des beste in Ägypten. Es waren 3 Camps zu je 1000 Mann. Wir arbeiteten in einem riesigen Versorgungslager für die Alliierten. Unsere Arbeitsgruppe, etwa 20 Mann, war nur mit kurzen Hosen und Arbeitsanzügen beschäftigt.  Zu einer riesigen Lagerhalle gehörten noch 5 - 6 Plätze im Freien. Einmal stellten wir eine Sendung mit über 100.000 Overalls in allen Größen zusammen.

1947 war es so weit, dass alles in den Hallen Platz hatte, wo dann riesige Stapel jeder einzelnen Größe lagerten.  Was da alles geklaut wurde. Die Engländer, die hier beschäftigt waren, durften keine Pakete heim schicken. Also mussten sie für andere noch mitnehmen, die Pakete senden durften.  Engländer, die entlassen wurden, konnten sich hier von Kopf bis Fuß  in Zivil einkleiden.  Unsere "Tommys", alles Frontsoldaten, waren feine Kerle. Erst als junger Nachschub aus England kam, änderte sich das. Sie waren genauso aufgehetzt worden, wie bei uns die Hitlerjugend.  Aber mit der Zeit gab sich das. Der britische Lagerkommandant hauste genauso wie wir im Zelt. Wenn er zur Division musste, fuhr er mit dem Verpflegungswagen hinten auf der Pritsche. Er hatte 3000 Mann unter sich und keinen eigenen Dienstwagen. Mit deutschen Augen gesehen, unverständlich.  Er sprach sehr gut deutsch. Als 1947 die Entlassungen los gingen, rief er das Lager zusammen und sagte, dass Leute mit sehr schlechter Kleidung und Wäsche heim geschickt wurden und gab uns den Rat, rechtzeitig vorzusorgen. Er konnte doch nicht sagen: Holt euch draußen, was ihr braucht.   Am Heiligen Abend 1947 färbten wir zu dritt neuseeländische Mäntel um. Das waren die besten, die es gab. Von der Küche erhielten wir einen Kessel. Während dieser Arbeit kam der Major dazu und fragte: "wirds was?"

(Anmerkung: Ich glaube mich zu erinnern,  dass mein Vater nach seiner Heimkehr aus der Gefangenschaft einen dunkelroten Mantel hatte. Das war so ein vorher olivgrüner oder brauner Militärmantel.)

Im Herbst 1947 begannen dann langsam die Entlassungen. Es ging nach einem Punktsystem, das sich aus Alter und Dauer der Gefangenschaft zusammen setzte. Die Leute vom Afrikacorps waren die ersten. Ich hatte 9 Punkte.  Davon waren wir im Lager über 900. Als etwa die Hälfte der Neuner weg waren, brach in Ägypten die Cholera aus und der Abtransport wurde gestoppt. Erst im Januar 1948 wurde wieder begonnen.

Heimreise 1948

Im Februar kam ich in das Entlassungslager, da wurden wir nochmals gefilzt. Endlich wurden wir mit der Bahn nach Port Said verladen. Unser Gepäck kam in den Schiffsrumpf. Wir schliefen in Hängematten in den Lagerräumen. Auf dem Schiff konnten wir uns frei bewegen. Auch zahlreiche entlassene Engländer fuhren mit. An Malta vorbei, Sizilien, entlang der spanischen Küste. Gibraltar passierten wir in nächster Nähe.  In der Biskaya  schaukelte das Schiff bedenklich, aber bei mir ging es noch gut ab. Den Kanal passierten wir  tagsüber. 14 Tage dauerte die Schiffsreise.  Bei Feuerschiff  Elbe  1 wurde ein Lotse übernommen, bei Cuxhaven ein  Flußlotse. Die Fassade Hamburgs der Elbe entlang war fast unbeschädigt. In der Stadt sah es allerdings schlimm aus. Mit der Bahn ging es in die Heide zum Münsterlager. In 24 Stunden war hier der (Entlassungs-) Kram erledigt. Wieder mit einem Güterzug fuhren wir nach Hammelburg. Hier wurden die Bayern endgültig entlassen (und mussten die restliche Heimreise selbst organisieren.). Im Bahnhof saßen wir 12 Stunden. Ein Leutnant entdeckte einen leeren DZug-Wagen und verhandelte mit dem Fahrdienstleiter. Jeder gab eine Schachtel Zigaretten. Dafür wurde der Wagen für uns an den DZug nach München angehängt.  Am 21.3.1948 war ich frei (und zuhause in München).

( Die acht besten  Jahre, vom 33. bis zum 41. Lebensjahr waren somit für eine sinnlose Politik geopfert. Was wäre in diesen Jahren alles zu schaffen gewesen !  )

Zuhause 1948 bis 1949

(Die Miete für die Bäckerei wurde bis Kriegsende vom deutschen Militär bezahlt.  Ab Kriegsende gab es dieses nicht mehr, der Hausbesitzer wollte jedoch seine Miete bekommen, immerhin 300 Mark monatlich.  Deshalb wurde 1947 die Bäckerei vorübergehend verpachtet, damit die Miete bezahlt war. Der Pachtvertrag lief bis Februar 1949. Die Entlassung aus der Gefangenschaft war ja nicht voraus zu planen.)

Einige Monate trödelte ich rum, fuhr in den Wald um Holz, (gewöhnte mich an Zuhause und Familie. Am 21.6.1948 war ja dann schon die Währungsreform. )   Nach der Währungsreform arbeitete ich bei der Dachdeckerfirma Ruberoid, die in Freising bei der Traktorenfabrik Schlüter die Fabrikhallen mit Dachpappe beklebte.  (In dieser Zeit wohnte ich bei meiner Mutter in Freising.)  Am 1.3.1949 übernahm ich dann wieder meine Bäckerei.  Da Arbeitskräfte sehr rar und teuer waren, blieb uns nichts anderes übrig, als selber viele Stunden zu arbeiten.

Berufswechsel 1957

Die Gewerbe-Erlaubnis für die Kellerbäckerei lief 1958 aus. (Lebensmittelbetriebe waren nur mehr in Räumen mit Tageslicht zugelassen.)  1957 wurde der elektrische Strom im Westend von Gleich- auf Wechselstrom umgestellt. Da ich 5 neue Motoren gebraucht hätte, gab ich die Bäckerei am 1. September 1957 auf.

Vom Arbeitsamt wurde mir eine Stelle im Alkorwerk in Solln vermittelt und ich wurde auch eingestellt in der Warenprüfung, eine der gesündesten (richtiger wohl, am wenigsten gesundheitsschädlichen und stinkenden) Abteilungen in dieser Chemiefabrik. Fast 15 Jahre blieb ich hier.
Im Alkorwerk hatte ich regelmäßig Urlaub. (Das Alkorwerk stellt Plastikfolien her. Meine Arbeit war, die großen dicken Fabrikrollen in handliche Verkaufsrollen umzuwickeln und die Ware dabei auf Fehler zu prüfen.)

1958 zogen wir von der Parkstraße in die Zenettistraße, wo uns Frau Späth eine Dienstwohnung zur Verfügung stellte. Gretl musste dafür Büro putzen, im Haushalt (der Familie Späth als Urlaubsvertretung) einspringen und  manchmal auch Bau putzen.  Die Miete von 90 Mark war für uns hoch und wir haben ein Zimmer unter vermietet.

Im September 1971 zogen wir in die Eigentumswohnung des Sohnes im Westkreuz . Die Fahrt zum Arbeitsplatz war nun sehr umständlich mit viermal umsteigen. Aber es war nur noch ein Jahr bis zur Rente am 1.Oktober 1972.

Rentner

(Der Lebensinhalt wurde ab 1971 der große Garten am Westkreuz. Mit 65 Jahren war nochmal ein neuer Beruf , nämlich Gärtner, zu erlernen. Diese Arbeit hat ihn bis zum letzten Lebenstag  ausgefüllt,   noch über  21 Jahre. 

 Am 20.3.1994 ist Josef Kiening gestorben, ganz plötzlich an Herzinfarkt, im Alter von 86 Jahren. )
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Kommentar 2008:

Auftrag oder Bitte an meinen Vater war, er solle sein Leben beschreiben. War der Text nun sein Leben ? Eigentlich nicht, denn der Alltag fehlt. Die Arbeit als Bäcker, beim Militär oder in der Plastikfabrik war für meinen Vater eine monotone Tretmühle. Das wurde nicht im Langzeitgedächtnis gespeichert,  war also unbeschreiblich.  Aus der Erinnerung holen konnte er nur die Momente, in denen er aus dem Alltag ausgebrochen ist. In der mächtigen Militärmaschine fühlte er sich als winziges Männlein, dem nur selten individuelle Handlungen möglich waren, die im Gedächtnis aufbewahrt wurden.

Der Schreiber setzt in seinem Bericht beim Leser die Kenntnis seines Alltages voraus, was für mich als Sohn meist zutrifft, für den Enkel aber höchstens noch für den letzen Abschnitt seines Lebens.

Seinen Alltag zu beschreiben, so wie ich ihn als Kind erlebt habe, bleibt meine Aufgabe. Wäre mir das 20 Jahre früher eingefallen, hätte mein Vater noch erklären und korrigieren können.  So beschreibe ich es, wie es in meiner Erinnerung erhalten ist:   Lebenslauf zweiter Teil
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(C) 2008 Josef Kiening, München ,  zum Anfang www.genealogie-kiening.de