Kiening Genealogie im Gebiet nordwestlich von München
(geändert 16.5.2013)
Seit römischer Zeit bis über das Jahr 1800 hinaus erfolgte der Getreideanbau in unserem Gebiet (siehe Landschaft ) in der Dreifelder-Wirtschaft.
Die Ackerflur war in jeder Lage dreigeteilt in Winterfeld, Sommerfeld und Brachfeld. Die Nutzung wechselte jährlich.
Das Winterfeld wurde im Sommer gepflügt und eingesät. Nach der Ernte des Wintergetreides im nächsten Frühsommer diente das Feld als Stoppelweide bis zum nächsten Frühjahr. Im März des dritten Jahres wurde wieder gepflügt und Sommergetreide gesät, das im Herbst zu ernten war. Danach blieb das Feld fast ein Jahr unbearbeitet bis zum nächsten Johannis. In den Zeiten der Brache wuchs Gras und Unkraut, wie Mohnblumen. Die Dorfherde weidete auf dem Brachfeld und düngte es. Um die Herde auf das Brachfeld zu beschränken und um das Wild fernzuhalten, mußten alle drei Felder eingezäunt sein.
Den Zaun um die Felder, bzw. das Tor im Zaun wurde Etter
genannt. In Hofmarken war der Zaun
zugleich die Grenze der gerichtlichen Zuständigkeit. Das
"Feld" ist nicht identisch mit dem "Flurstück" oder Acker,
sondern ein Überbegriff. Im Feld hatte jeder Bauer einen Acker.
Daneben gab es noch Wiesen. Feuchte Talgründe, Waldlichtungen oder Schotterböden waren für den Gertreideanbau nicht geeignet und wurden als "einmahdig", bestenfalls "zweimahdig" ein oder zweimal gemäht. Im Frühjahr und nach der Heuernte weidete die Dorfherde auf den Wiesen ohne Rücksicht auf die einzelnen Parzellen. Um das Weidevieh kümmerten sich die gemeindeangestellten Hüter. Die Frauen bzw. Mägde brauchten nur die Kühe melken. Füttern und Ausmisten entfällt beim Weidebetrieb.
Unser Getreideland ist hügelig. Damit sind wir bei dem Begriff "Lage". Getreide auf dem sonnigen trockenen Südhang wird früher reif als am Ost- oder Nordhang. Um die schwere Erntearbeit auf einen längeren Zeitraum zu verteilen, brauchte jeder Bauer einen Anteil an jeder Lage. Deshalb waren alle Lagen der Ackerflur in die 3 Felder geteilt. Der einzelne Bauer hatte wieder seinen Anteil an jedem Feld. Um Wendemanöver mit dem Pflug - Pferdegespann zu vermeiden, waren die Flurstücke möglichst lange Streifen. Mindestbreite war die Schnittbreite eines Sensenschwunges.
Die Flurkarten um 1800 zeigen die Dorffluren in extremer Zerstückelung in viele lange Streifen.
Die Dreifelder-Wirtschaft lässt dem einzelnen Bauern keine
Entscheidung beim Anbau. Die von alters her übliche Fruchtfolge
musste weiter eingehalten werden, ob der einzelne wollte oder
nicht. Man nennt das "Flurzwang". Der
anspruchsvolle Weizen konnte nur jedes dritte Jahr im Winterfeld
gesät werden, auf weniger guten Böden nur Roggen. Im
Sommerfeld wurde Gerste oder Hafer angebaut.
Die Ernte kann man sich so vorstellen, daß im Dorf Einigkeit herrschte, welche Lage zu ernten war. Hier trafen sich bei Sonnenaufgang alle Schnitter des Dorfes und begannen in einer Reihe zu arbeiten. Hatte der Acker eines Bauern 3 Schnittbreiten, so stellte er drei Schnitter. Die Reihe der Schnitter mähte im Gleichtakt das Getreidefeld und erreichte bis zum Abend das Ende des Ackers. Hinter jedem Schnitter band eine Frau das Getreide zu Garben und stellte diese zum Trocknen zusammen. Nach einigen Tagen wurden die trockenen Garben auf Wägen geladen und in den Hof gefahren.
Als "Zehent" für den Grundherren blieb jede zehnte Garte auf dem Feld liegen. Der Beauftragte des Grundherren (der Zehentmair) fuhr hinter den Bauern her und lud diese Garben auf, um sie in den Zehentstadel zu bringen. Da die gesamte Lage üblicherweise den gleichen Grundherren hatte, hob er auf damit den Zehent aller Bauern auf rationelle Weise ein.
Die Dreifelder-Wirtschaft zwang die Bauern zum gemeinsamen
Arbeiten, ohne daß eine wirtschaftliche Gemeinsamkeit entstand,
wie es etwa bei einer Genossenschaft gewesen wäre. Auch das
Arbeitstempo war damit vorgegeben. Böse formuliert hieß es, dass
der Langsamste oder Faulste das Arbeitstempo des ganzen Dorfes
bestimmte. Ich sehe das eher umgekehrt: In der im Gleichtakt
arbeitenden Dorfgemeinschaft war auch der Faule gezwungen,
mitzuhalten. Das Schneiden der harten Getreidehalme mit einer
Sense ist eine schwere Arbeit, die nur von jungen kräftigen
Männern zu bewältigen ist. Die gemeinsame Arbeit war
unterhaltsamer und wurde länger durchgehalten, als wenn jeder
irgendwo einsam auf einem Feld vor sich hin gearbeitet hätte.
Modern ausgedrückt, war die Dreifelderwirtschaft eine
arbeitssparende und nachhaltige Form der
Getreide-Erzeugung. Sie kam mit den natürlich
vorhandenen Mitteln aus, ohne die Böden zu erschöpfen, ohne
gekauften Dünger, ohne fremdes Saatgut, ohne Treibstoff. Angebaut
wurden nur gute mineralhaltige Böden. Für die Ernte wurden
zusätzliche betriebsfremde Arbeitskräfte eingesetzt. Die meiste
Zeit des Jahres, wenn nicht gerade gepflügt und geerntet wurde,
waren die Bauern und ihr Personal nur gering beschäftigt mit
Dreschen und Holzmachen.
Die Vögel passten sich dem Dreijahres-Zyklus an: Die Lerchen
brüteten im Winterfeld und die Kiebitze bevorzugten das Brachfeld.
Den Überschuß an Getreide, etwa 30 % der Ernte, fuhren die Bauern nach dem Dreschen nach München auf die "Schranne" und verkauften dort zum Marktpreis. Ein Drittel wurde als Saatgut und ein weiteres Drittel für den Eigenverbrauch benötigt. Dabei darf der Hafer als Pferdefutter nicht vergessen werden. 10 % war die Steuer, der Zehent an den Grundherren.
In einem mittelgroßen Dorf mit 20 Häusern gab es vor dem Jahr 1800 maximal 5 Bauern. Die übrigen Familien hatten kein Ackerland, sondern gingen einem Handwerk nach oder arbeiteten im Tagelohn. Bei der Erntearbeit, sowohl beim Getreide als bei der Heuernte, arbeiteten diese Personen, falls sie jung und kräftig genug waren, bei den Bauern mit. Als üblichen Lohn erhielten sie für die Erntearbeit ihren Jahresbedarf an Getreide.
Der Getreidepreis war, bevor Maschinen eingesetzt wurden, im Vergleich zu heute, unheimlich hoch. Schließlich wurde das Getreide fast körnchenweise in mühsamer Handarbeit gewonnen.
Ein Doppelzentner Getreide kostete um das Jahr 1800 ca. 10 Gulden, eben so viel wie ein Jahreslohn eines Bauernknechtes, der 10 Gulden als Geldlohn neben Kost, Wohnung und Arbeitskleidung erhielt. Ein Mensch isst bei überwiegender Getreideernährung, wie sie damals üblich war, im Laufe eines Jahres ca. 2 Doppelzentner Getreide. Der Wert des Naturallohnes für einen Bauernknecht war folglich 3 mal höher anzusetzen, als sein Barlohn.
Für einen Doppelzentner Getreide bekommt heute im Jahr 2003 der Erzeuger ca. 10 Euro. Der Leser möge bitte selbst ausrechnen, wie viele Doppelzentner Weizen er für seinen Jahreslohn kaufen könnte.
Die Viehhaltung war in unserem Ackerbau-Gebiet
gering. Rinder als Milch- und Schlachtvieh wurde nur für den
Eigenbedarf gehalten. Die Tiere des ganzen Ortes waren als Herde
möglichst ganzjährig im Freien. Auch die nichtbäuerlichen
Handwerker- und Taglöhner-Familien hielten eine Milchkuh, die in
der Gemeindeherde mit lief und somit auf dem Brachfeld der Bauern
fraß und, was am wichtigsten war, düngte. Die Haltung von Ziegen
war im Dachauer Ackerland verpönt und teilweise sogar verboten.
In Orten mit großen Weideflächen, wie die Moore auf der Schotterebene nördlich von München, wurde während des Sommers auch Pensionsvieh gehalten. Das war Schlachtvieh, das bis aus Ungarn heran getrieben wurde, abgemagert ankam und während des Sommers hier fraß und düngte, bis es im Herbst an die Metzger in München und Augsburg verkauft wurde. Siehe dazu das Weidekartell von Ampermoching.
Für die Zeit mit Schnee und Eis brauchten nur geringe Mengen Heu
als Winterfutter geerntet und gelagert werden. Es gab keine
Viehställe im heutigen Sinne. War die Weide winterbedingt nicht
möglich, drängte sich das Vieh in den Scheunen zusammen. Bei den
Häuslern, deren Gebäude nur einen Raum hatte, stand die Kuh in der
Stube und wärmte diese.
Da es keinen Stall gab, wurde auch kein
Stroh als Einstreu benötigt. Die aus gedroschenen Strohhalme
fanden vielfältige Verwendung. Als Matratzen gab es jedes Jahr
neue Strohsäcke. Es wurden Bänder, Hüte und Körbe geflochten. Der
größte Teil des Strohes wird auf den Hausdächern verbraucht worden
sein. Ein Strohdach ist nicht sehr haltbar und musste regelmäßig
erneuert werden.
Eine allmähliche Klimaverschlechterung von 1500 bis 1850,
erkennbar am Wachstum der Alpengletscher und als "kleine Eiszeit"
bezeichnet, mit längeren und schneereicheren Wintern, war das Ende
der Dreifelder-Wirtschaft. Regenreiche kühle Sommer als Folge von
Vulkanausbrüchen um 1771-72 und 1816-17 brachten Mißernten und
Hungersnot. Eine Änderung der Landwirtschaft war deshalb dringend
nötig. Um 1800 wurde als neue Getreideart bei uns Dinkel angebaut.
Dinkel wird als "Grünkern" oder "Kern" unreif geerntet. Die Körner
werden in der Darre oder im Backofen geröstet und damit haltbar
und genießbar gemacht.
Die Umstellung auf Stallviehhaltung und Aufgabe der Dreifelder-Wirtschaft ab dem Jahr 1800 gehören zusammen. Die Bauern bauten Ställe und vermehrten ihren Viehbestand. Stallmist wurde gezielt als Dünger auf den Acker gebracht. Fruchtwechsel mit neuen Ackerfrüchten, wie Klee, Kartoffeln oder Zuckerrüben, folgte der starren Dreifelder-Wirtschaft.
Die Gemeinde, das war um 1800 nicht wie heute eine anonyme
Behörde, die ihre eigenen Ziele verfolgt, sondern die Gemeinschaft
aller Eigentümer. Dabei gaben sicher die großen Bauern den Ton an,
aber die Häusler waren stets in der Mehrzahl, so dass nichts
gegen ihre Interessen beschlossen werden konnte. Wie oben
beschrieben, war es wirtschaftlich, große Teile der Gemeindefläche
gemeinsam zu beweiden oder das Brennholz und Bauholz nach Bedarf
dem Gemeindewald zu entnehmen.
Ab 1800 verteilten die Gemeinden die bis dahin gemeindeeigenen
Weideflächen, die wegen Aufgabe oder Einschränkung des
Weidebetriebes nicht mehr gebraucht wurden. Das war Land, das
nicht als Acker und kaum als Mäh-Wiese geeignet war.
Verteilt wurde gleichmäßig und in gleich großen Flächen an
alle Hauseigentümer der Gemeinde. Sämtliche Hausbesitzer, das war
die Gemeinde und die Gemeindegründe waren ja schon vorher
ihr Eigentum, jedoch nicht einzeln ausgemessen. Die Umstellung von
Weide- auf Stallviehhaltung erfolgte also für die gesamte Gemeinde
gleichzeitig. Zugleich wurde der Dreifelderwirtschaft die
Grundlage entzogen, nämlich die Düngung durch die Gemeindeherde.
Die Verteilung erfolgte mit staatlicher Billigung ausdrücklich an
die Häusler und nicht an die Bauern. Nur die Häusler plagten sich
mit dem schlechten Grund ab. Die Bauern hätten ihn nicht
bewirtschaftet, denn sie wussten, dass darauf nichts wuchs.
Jetzt wurden Parzellen gebildet, nicht mehr in langen Streifen wie in der Dreifelder-Wirtschaft, sondern möglichst quadratische Flächen. Die gleichwertigen Parzellen wurden verlost.
Damit erhielten die Häusler plötzlich eine landwirtschaftliche Basis. In Aubing beispielsweise gab es vorher 15 Ganzbauern und 9 Halbbauern, sowie 70 Häusler ohne landwirtschaftlichen Grund. Jetzt waren die Häusler plötzlich auch Bauern mit (in Aubing) etwa 14 Tagwerk ( ca. 5 Hektar, 42000 qm) Grund. Sie gaben das von industrieller Konkurrenz bedrängte Handwerk auf (zuerst die Weber), errichteten die für eine Landwirtschaft erforderlichen Nebengebäude und waren bis 1950 Kleinlandwirte.
Der verteilte Gemeindegrund war in den ersten 25 Jahren steuerfrei, denn es war schlechter Boden, der durch Entwässerung und Düngung erst für den Ackerbau brauchbar zu richten war.
Da es bei neuen Kleinbauern für eine Pferdehaltung nicht reichte,
wurden Ochsen und Kühe als Zugtiere benützt. Die wenigen
Grundstücke wurden mit dem jetzt vorhandenen Stallmist gedüngt und
intensiv bearbeitet. Von den neuen Feldfrüchten sei nur die
Kartoffel und die Zuckerrübe genannt.
Von 1800 bis 1950 wurde die Landwirtschaft von den Häuslern so betrieben. In den beiden Weltkriegen hat sich das bewährt und das Volk vor dem Verhungern bewahrt. Als die Männer in den Krieg mussten, haben die Häusler-Frauen alleine gearbeitet und weiter Lebensmittel produziert, während die Bauern den Betrieb einstellen mussten, nachdem ihnen das Militär die jungen männlichen Arbeitskräfte und die Pferde weg genommen hat.
Bald nach 1950 haben fast alle diese erst seit nach 1800 Landwirtschaft betreibenden Kleinbetriebe die Landwirtschaft wieder aufgegeben und sich anderen Berufen zugewandt.
Die für die Dreifelder-Wirtschaft notwendige Stückelung der Flur in viele schmale Streifen war für die neue Form der Bewirtschaftung nicht mehr sinnvoll. Güterhändler erkannten das zuerst. Um 1860 kauften in unserem Gebiet (Landkreis Dachau und Fürstenfeldbruck ) die Güterhändler Fromm und Weißenbeck stets ganze Orte auf und verkauften am nächsten Tag mit anderer Flurverteilung an die früheren Besitzer zurück. Das ist im Prinzip das gleiche wie die moderne Flurbereinigung. Allerdings wurde nicht neu vermessen, so dass bestenfalls benachbarte Parzellen zusammen gelegt werden konnten. Spätere Generationen lasen solche Verträge und wussten nicht, um was es bei dem Geschäft ging. So kamen darüber böse Gerüchte auf, etwa in der Art: "Jüdische Güterhändler haben den schönen Hof zertrümmert" . Die beteiligten Zeitgenossen haben die Vorteile dieser Umverteilung wohl verstanden, sonst hätte sich nicht stets das ganze Dorf daran beteiligt. Die wenigen großen Bauern waren bis dahin Alleinbesitzer der guten Ackerböden. Die "Zertrümmerung" ist nicht Abbruch von Gebäuden, sondern eine Kleinverteilung von guten Acker-Grundstücken an die neuen Kleinbauern. Einzelne Großbetriebe hatten das für die intensivere Bewirtschaftung notwendige Personal nicht und gaben auf oder wurden mit kleinerer Ackerfläche weiter betrieben.. Die Flurstücke solcher Betriebe war die Umverteilungsmasse der Güterhändler.
Heute wird die Kleinverteilung des landwirtschaftlichen Grundes mühsam wieder rückgängig gemacht. Maschinelle Bearbeitung braucht größere zusammenhängende Flächen. .
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(C) Josef Kiening, zum Anfang www.genealogie-kiening.de