Josef Kiening: Häuser im Gebiet nordwestlich von München

Der Bauernhof zur Zeit der Grundherrschaft

Bewertung nach betriebswirtschaftlichen Kriterien.

Erfolgreiches Wirtschaften erfolgt immer nach betriebswirtschaftlichen Regeln. Die früheren Bauern hatten zwar nie etwas von Betriebswirtschaft gehört. Trotzdem können betriebswirtschaftliche Kriterien zum Verständnis der damaligen Verhältnisse beitragen.

Zum Bauernhof gehören vier  Komponenten:  Die Grundstücke, die Gebäude, die Betriebsmittel und selbstverständlich auch die Arbeitskraft, die bäuerliche Familie.
 

Der Grund

Unter Grundherrschaft: Das Untereigentum

Der landwirtschaftliche Boden gehörte vor 1848 fast immer einem Grundherrn.(Entstehung der Grundherrschaft)  Der Wert des Bodens zählt also nicht zum landwirtschaftlchen Vermögen des Bauern, sondern zu dem des Grundherrn. Der Grundherr erhält für die Bereitstellung des Bodens den Zehent. Das war ursprünglich jede zehnte Getreidegarbe bei der Ernte. Da dies schlecht zu kontrollieren war und auch sehr zufallsabhängig, vereinbarten die meisten Grundherren im Stiftsbrief eine bestimmte ausgedroschene Getreidemenge oder einen festen Geldbetrag.  Mit dem Stroh konnte der Grundherr kaum etwas anfangen. Die reinen Getreidekörner waren leicht zu messen und zu transportieren.

Das Obereigentum

Das Obereigentum wurde selten gehandelt.  In einem von mir untersuchten Verkauf  von einigen Höfen in Rudelzhofen erwarb die Hofmark Schönbrunn vom Domkapitel Freising das Obereigentum. Der Hofmarksherr bezahlte dabei das 16,6-fache des Wertes  der jährlichen Getreideabgabe. Man kann ruhig verallgemeinern, dass der Wert des Obereigentums nach 6 % Rendite gerechnet wurde. 

Freieigener Grund

Bei einem Verkauf war ein freieigenes Anwesen deutlich mehr wert als ein gleiches Anwesen unter einem Grundherrn. Bei den wenigen freieigenen Anwesen ist der Wert des Bodens dem bäuerlichen Vermögen zuzurechnen und gehört deshalb sowohl zum steuerpflichtigen Vermögen als auch zur Erbmasse.

Das ist der wichtigste Grund, warum sich die Bauern unter die Grundherrschaft begeben haben: Die Steuer auf den Wert des Bodens traf dann nicht mehr den Bauern, sondern den Grundherrn. Das Kapital für den Boden ist vom Grundherrn und nicht vom Bauern zu aufzubringen.  Bei einer Erbverteilung an mehrere Geschwister bleibt der Wert des Bodens ohne Ansatz und auch ohne Erbschaftssteuer.  Die meisten Grundherren waren nicht natürliche, sondern "juristische Personen". Hier trat beim Grundherrn kein Erbfall mit Besteuerung ein.  Das traf bei allen kirchlichen Instanzen oder beim "Fidei-Kommiss" von Adeligen zu.

Betriebswirtschaftlich: Der grunduntertänige Bauer setzte für den Acker kein Kapital ein, sondern nur Betriebsmittel und Arbeit. Der Kapitaleigentumer (Grundherr) erhält von der Ernte den Zehent, dieser entspricht 6 % des Wertes.

Gemeindegrund

Die Gmain verstand sich als Gemeinschaft der im Dorf ansässigen Hausbesitzer. Sie hielt sich für den Eigentümer der Allmende, der gemeinschaftlich genutzten Weide- und Waldflächen. 
Bis 1800 gilt: Die Kleinanwesen hatten keinen landwirtschaftlichen Grund, hielten aber eine Kuh, die in der Gemeindeherde mit lief.
Auf der Gemeindeweide fraßen alle Tiere der Gemeindemitglieder. Aus dem Gemeindewald holte jeder seinen Brennholzbedarf, ohne dabei die Substanz des Waldes anzutasten.  In landgerichtischen Orten, also in Dörfern, die dem kurfürstlichen Landgericht direkt unterstanden, war das problemlos. In Hofmarksorten aber hielt sich der Hofmarksherr, das war häufig ein Kloster,  für den Eigentümer von Allmende  und Ackerboden.  Das war Ursache für viel Streit. Manche Adelshofmarken haben Waldbesitz und Holzentnahme gleich vertraglich mit ihren Untertanen geregelt, sodass es sich hier um reinen Herrschaftsbesitz handelt, nicht um Allmende.

In der Dreifelder-Wirtschaft  düngte die Gemeindeherde das Brachfeld. Das Ackerland der Bauern wurde auch von den Tieren der Nichtbauern beweidet und gedüngt, da es im dreijährigen Turnus mehr als ein Jahr brach lag.

Um 1800 entfiel mit der Umstellung von Weideviehhaltung auf Stallviehhaltung die Nutzung der Allmende und sie wurde in den landgerichtischen Orten kostenlos an die Gemeindemitglieder verteilt und war üblicherweise danach noch 25 Jahre steuerfrei. In dieser Zeit sollten die neuen Besitzer den zuvor minderwertigen Grund durch Bearbeitung, Düngung und Entwässerung zu brauchbarem  landwirtschaftlichen Boden verbessern. Nach Ablauf der 25 Jahre zählte der Wert dieser Grundstücke zum Vermögen des Bauern, mit der Konsequenz, dass dieser Wert zu versteuern und zu vererben war.

Die Gebäude

Bauweise

Die Häuser und Nebengebäude in der Zeit der Grundherrschaft waren alle aus Holz und  wegen der fehlenden Fundierung  schon nach 50 Jahren vom Boden her verrottet. In alten Quellen heißt es so schön: "Das Haus  ist zum Einfallen geneigt."  Spätestens jede zweite Generation mussten die Gebäude erneuert werden, wobei  die oberen brauchbaren Balken wieder verwendet werden konnten. Ein Fortschritt waren die gemauerten Wohnräume im Erdgeschoß.  Diese Bauform entstand zuerst am Gebirgsrand, wenn Felsen für das Mauerwerk zur Verfügung standen. Die trocken liegenden Balken der Obergeschoße hielten dann jahrhundertelang  Nordwestlich von München  setzte sich die Ziegelbauweise erst durch, als es keine Grundherrschaft mehr gab, ab 1830.

Der Aufwand für die Holzgebäude war gering: Geeignete Bäume wurden im Wald der Gemeinde oder Grundherrschaft gefällt und vom Zimmermann "gerichtet", das heißt sie wurden wie ein Baukasten auf dem Richtplatz in rechteckiger Form zugehauen, in die richtige Länge geschnitten und mit den Verzapfungen versehen. Waren alle Balken fertig, kam die Dorfgemeinschaft zusammen und hat die Balken mit vielen Händen "aufgehoben". Das fertige Gerüst ließ der Bauherr mit dem Richtfest feiern. Die Materialkosten eines Hauses waren gering, wenn das Holz aus dem Gemeindewald kam und folglich nur  Lohnkosten anfielen.

Wer war der Bauherr ? 


Bis 1620 wurden die Häuser oft  nur für einige Jahre "verstiftet". Da mußte das Gebäude schon vorhanden sein. Es wurde also vom Grundherrn errichtet und bezahlt. Der Bewohner  zahlte je nach der Nutzungsdauer  einen Betrag, der der Gebäudeabschreibung  entspricht. Ein neues Gebäude wird teurer gewesen sein als ein verbrauchtes, eine Art degressive Abschreibung ist anzunehmen.

Leibrecht

Besser war schon das "Leibrecht", ein Besitz wie ein Mietverhältnis auf Lebenszeit.  Der Preis für das Leibrecht waren logischerweise die anteiligen Baukosten, berechnet aus geschätzter Lebenserwartung des Besitzers und  Restnutzungsdauer des Gebäudes. Der Betrag war zu Beginn des Leibrechtes zur Zahlung fällig. Bei einem Neubau wird der Preis des Leibrechtes den Baukosten entsprochen haben. Das Problem war, einen Pächter zu finden, der so viel Bargeld auf den Tisch legen konnte. Im Beispiel unten traf das wohl nicht zu und eine höhere jährliche Geldzahlung glich die Differenz aus. Für das Leibrecht war jährlich 30 fl zu zahlen, während die vergleichbare  Freistift  nur 18 Gulden jährlich kostete.   18  Gulden sind als  Verzinsung des Grundstückswertes  für den Obereigentümer  zu sehen.

Konnte ein Leibrechtler altersbedingt nicht mehr selbst wirtschaften, so konnte er den Restwert seines Leibrechtes an einen Dritten verkaufen. Dieser erwarb also den Besitz nur bis zum Lebensende des Recht-Inhabers.

Freistift

Nach den Zerstörungen im 30-jährigen Krieg waren die Grundherren nicht in der Lage, alle Häuser wieder aufzubauen oder den Aufbau zu finanzieren. Die "Brandstätten" der Anwesen wurden für einen geringen Betrag verkauft und die Käufer finanzierten den Aufbau der Gebäude selbst. Das Besitzrecht war nun "Freistift" oder "veranlaite Freistift". Der Besitzer hat ein freies, leeres Grundstück gestiftet und darauf ein Haus gebaut.  Die Gebäude gehörten selbstverständlich dem Erbauer und konnten vererbt oder zum Verkehrswert verkauft werden. Der Grundherr kassierte bei jedem Besitzwechsel eine Art Grunderwerbsteuer von 7,5 % vom Schätzwert, Laudemium genannt. Die Laudemien wurden zur wichtigsten, allerdings unregelmäßigen Einnahmequelle der Grundherren.

Die folgenden Beispiele mögen als Beweis für diese Thesen gelten.
Quelle Steuerbücher des Pfleggerichtes Aichach von 1671. Beschrieben sind zwei etwa gleichwertige Wirts-Anwesen, von denen eines im Leibrecht, das andere zur Freistift vergeben ist.

Besitzer
Michel Hefele
Hans Rigl
Ort
Wirt in Affing
Wirt Obergriesbach
Grundherr
Hofmark Affing
Hofmark Griesbach
Gerichtsherr
Hofmark Affing
Hofmark Griesbach
Besitzrecht
Leibrecht
Freistift
Erwerb
von der Herrschaft gekauft
Einheirat bei Witwe
Zahlung
an Herrschaft gezahlt als Leibgeld
an Witwe gezahlt, erwirbt damit Miteigentum
Betrag
nicht genannt
errechnet 1200 fl
Anfall Laudemium
entfällt *
90 fl  = 7,5 % vom Wert
Wert
Nutzung auf Lebenszeit
1300 fl
Instandhaltungskosten
nicht Aufgabe des Leibrechtlers
jährlich 10 fl, sehr baufällig
Viehbestand
4 Roß 4 Kühe 2 Jungrinder "sind sein eigen"
4 Roß 6 Kühe
Landessteuer
3 fl 9 X 6 h
4 fl 3 ß
Stift an Grundherrn jährlich
30 fl
18 fl 8 x
Stift Naturalien Roggen
2 Scheffel
1 Scheffel und 4 Halbmetzen
Stift Hafer
2 Scheffel
genausoviel wie Roggen




* Beim Leibrecht fällt kein Laudemium an, da der Grundherr selbst den vollen  Kaufbetrag kassiert.

 Im freistiftigen Wirtshaus hat der neue Besitzer den Erben des Vorgängers den Wert des Anwesens ausbezahlt und von diesem Schätzwert den Anfall (Laudemium, modern Grunderwerbsteuer) bezahlt.  Die Gebäude gehören ihm damit gemeinsam mit seiner Frau. Der Schätzwert hat sich durch Instandhaltungsaufwand und die Fahrnis geringfügung erhöht. Der Wert bleibt den Nachkommen oder Besitznachfolgern erhalten. Eine gleichmäßige Erbteilung bei mehreren Geschwistern bereitet Schwierigkeiten, da außer dem Viehbestand nichts teilbar ist.
Der Freistifter besitzt im Unterschied zum Leibrechter Eigenkapital. Mit dem eigenen Haus als Pfand ist er kreditfähig und kann Darlehen aufnehmen. Investiert der Freistifter in die Gebäude, so steigt der Wert. Er hat also die Möglichkeit, größer, besser oder schöner zu bauen.  Der Grundherr profitiert davon beim nächsten "Anfall", ohne selbst Kapital aufwenden zu müssen.

Der Leibrechtler kann kein Pfand stellen und bekommt keinen Kredit. Er hält die Gebäude nicht instand, denn nach seinem Tod sind sie für die Erben wertlos.  Beim "Heimfall" des Leibrechtes sind die Gebäude so herunter gekommen, dass sie neu gebaut werden müssen. Die Erben des Leibrechtlers gehen leer aus. Würde ein Nachkomme bereits zu Lebzeiten des Vaters einen neuen "Leib kaufen", so wäre der Restwert des alten hergeschenkt.  Der Nachkomme kann mit einer Heirat kaum so lange warten, bis er Besitzer ist. Der Kauf des Leibrechtes erfordert wohl etwas weniger Eigenkapital als der Kauf eines freistiftigen Anwesens, doch wie soll ein junges Paar zu diesem Kapital kommen ?

Die Betriebsmittel

Im früheren Sprachgebrauch war von der Fahrnis die Rede. Es war genau definiert: Was mit dem Gebäude fest verbunden war und " von Band und Nagel gehalten " wurde, gehörte zum Gebäude. Alles was lose beweglich war, zählte zur Fahrnis. Die in der Stube fest montierte umlaufende Bank mit dem Hühnerkäfig  war Gebäudebestandteil, die darin untergebrachten Hühner  sind "Fahrnis", also Betriebsnittel und Eigentum der Bewohner.
Die Steuer darauf stand meist dem Pfarrer zu. Er erhielt den "Blutzehent". Von 10 Hennen war folglich jährlich eine an den Pfarrer abzuliefern, ebenso die anteiligen Eier etc.

Ablieferungen vom Großvieh an den Grundherrn  waren im "Stiftsbrief" geregelt.  Die Getreidebauern im Gebiet nordwestlich von München hielten  Großvieh nur zur Eigenversorgung, also die zur  Ackerarbeit erforderlichen Pferde und  die zur Milchversorgung  notwendigen Kühe.  Davon  waren keine  Abgaben zu entrichten, denn dafür wurde Getreide bzw. dessen Gegenwert in Geld abgegeben.  Reine Grünlandbetriebe im Alpenvorland hatten kein Getreide und werden stattdessen Kälber und Fohlen bzw. deren Verkaufserlös  gesteuert haben.

Über die Ausstattung der Bauern und der kleineren Anwesen haben wir eine genaue Vorstellung, denn bei jedem Erbfall wurde ein genaues Inventar erstellt.  Einige dieser Inventare sind erhalten.

Siehe auch Stallviehhaltung

Die Arbeitskräfte

Arbeitslohn unterlag keiner Steuer.  Nur der Erlös für die landwirtschaftlichen oder handwerklichen Produkte war zu versteuern.  Hier spielt das Besitzrecht (Leibrecht oder Freistift) keine Rolle.

Ein Unterschied  war zwischen den großen und kleinen Anwesen, zwischen Bauern und Gütlern bzw. Häuslern.
Siehe dazu Hoffuß.
Die Hoffuß-Einteilung und die dazu gehörenden Ackerflächen sind nicht willkürlich entstanden. Es handelt sich um betriebswirtschaftlich optimale Sprunggrößen für Getreidebauern, die sich aus der Dreifelderwirtschaft ergeben. Zu jeder Hofgröße gehörte ein bestimmter Personal- Vieh-  Gebäude- und Ausrüstungsbestand.

Der Ganz-Bauer setzt seine 10 bis 20 meist jugendlichen Arbeitskräfte rationell zur Arbeit ein und erzielt dadurch einen Geldüberschuß nach Begleichung der Betriebs- und Lebenshaltungskosten. Die Knechte und Mägde arbeiten  für ihr Essen und einen geringen Barlohn. Eine moderne  Lohnsteuer war noch unbekannt, denn das tägliche Essen kann nicht besteuert werden.

Familienangehörige oder eigene Kinder arbeiten umsonst und erhalten später das ersparte Geld als Heiratsgut zur Gründung einer eigenen Familie.

In kleinen Anwesen  schafft die Kleinfamilie gerade die Eigenversorgung. Geld zur Ausstattung der Kinder mit Heiratsgut bleibt keines, denn wenn Geld ins Haus kommt, wird es im Wirtshaus gleich wieder ausgegeben.

Arbeitseinteilung

Ebenso wie mit Sach-Ausstattung der Betriebsgröße angepasst war, war auch die Personal-Ausstattung wie genormt.
Ein Ganzbauer beschäftigte ca. 20 Personen. Vom Kindermädchen bis zum Bauern hatte jede Person eine bestimmte Aufgabe, eine Rolle.
Das Personal konnte am Lichtmeßtag 2. Februar die Stelle wechseln und alle Beteiligten wussten, welche Leistung erwartet wurde.
Heute wundern wir uns, dass eine Witwe oder ein Witwer schon einige Wochen nach dem Tod des Partners wieder heiraten konnte. Die einheiratende Person wusste genau, welche Aufgabe und Rolle  sie erwartete, auch wenn sie den neuen Partner vorher nicht gekannt hat. Die Arbeit im Betrieb musste weiter laufen und alle Stellen mussten besetzt sein.

Für kleinere Betriebe und Handwerker gilt sinngemäß das Gleiche.

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(C) Josef Kiening, 2008, Zurück zur Startseite www.genealogie-kiening.de