Kiening: Genealogie im Gebiet nordwestlich von München
Die Landbevölkerung (im Raum Dachau, Zeit von 1600 bis 1850) bestand aus Herren, Hausbesitzern und "Unbehausten".
Die Adeligen sind nicht das Thema dieser Arbeit. Weitere Erläuterungen dazu : Adelsfamilien
Hier werden Geistliche nur zusammen mit ihren Eltern genannt, wenn zufällig bekannt wurde, daß ein Kind Priester oder Ordensmitglied wurde. Wer sich mit diesem Berufsstand befaßt, hat bessere Quellen zur Verfügung.
Der Priesterberuf war für einen einfachen Bauernsohn die einzige
Möglichkeit, in den Herrenstand aufzusteigen. Damit wurde er
gleichrangig mit einem Adeligen. Dies ist wohl der ursprüngliche
Grund, warum katholische Priester keine ehelichen Kinder haben
dürfen, denn solche hätten den Herrenstand vermehrt und die
Existenzgrundlage der Adeligen geschmälert.
Sie sind das Thema dieser Datensammlung. Der Bauernstand war ohne Privilegien, politisch einflusslos, fast rechtlos im Vergleich zu den Herren.
Der Begriff Bauern ist hier nicht korrekt. Die Landbevölkerung
bestand nicht nur aus Bauern, sondern war exakt in viele Schichten
gegliedert. Sprechen wir besser von Familien mit und ohne
Immobilienbesitz. Mehr über die wirtschaftlichen
Verhältnisse und die Grundherrschaft.
Um eine Familie gründen zu können, war bis etwa 1850 der Nachweis eines Immobilienvermögens erforderlich. Das Hauseigentum wurde als Existenzgrundlage angesehen. Ohne Hausbesitz erteilte die Gemeinde keine Heiratserlaubnis.
Hauseigentum verpflichtet auch zur Steuerzahlung. Die Besitze waren sehr unterschiedlich groß und die Besteuerung richtete sich nach der Besitzgröße. Das Ansehen innerhalb der Dorfgemeinschaft auch.
Seit dem Ende des Mittelalters bis 1812 wurden in Altbayern die Anwesen und auch die Steuern nach dem "Hoffuß" gemessen. Dieser heißt so, weil er durch eine Bruchzahl dargestellt wird:
1/1 ein ganzer Hof, Meier,
Vollerwerbslandwirt mit 100 Tagwerk, kaum mehr als 200 Tagwerk.
4 Pferde.
1/2 ein halber Hof, Hube, Huber
Vollerwerbslandwirt 30 bis 100 Tagwerk, 2 Pferde.
1/4 ein Viertler, Lehen Nebenerwerbsbetrieb
bis
zu
25 Tagwerk Grund. 1 Pferd.
1/8 eine Sölde , Nebenerwerb
durch Handwerk oder ähnlich, unter 10 Tagwerk Grund, kein
Zugvieh.
1/16 eine Leersölde, Leerhäusler , Tagelöhner ohne Landwirtschaft, aber mit einer Kuh in der Dorfherde.
1/32 kleinste Steuereinheit ,
auch für Inwohner, Familien ohne Hausbesitz
Der Hoffuß ist ein früher Versuch, Immobilien zum
Zweck der Besteuerung gerecht zu bewerten. Dieses Problem konnte
die Bürokratie bis heute nicht lösen. Moderne Begriffe dafür
sind "Einheitswert" und ähnliches. Vergleicht man im Einzelfall
die Hoffuß-Angabe ( meine Angaben sind Zitate aus dem
"Hofanlagsbuch von 1760" ) mit der Tagwerks-Größe (
zitiert nach dem "Dominikal- und Rustikalsteuer-Kataster von
1812 "), so findet man erhebliche Diskrepanzen. Ursachen dafür
sind individuelle Veränderungen zwischen 1760 und 1812. Der
Hoffuß ist ein Ertragswert und berücksichtigt eine schlechte
Bodenqualität, über die verhandelt werden konnte.
Die Tagwerke sind eine Flächengröße ohne Beschreibung der
Bodenqualität.
Trotzdem erkennt man in alten Dörfern bis heute diese
Strukturen, vor allem an der Größe der alten Gebäude.
Die Hoffuß-Einteilung und die dazu gehörenden
Ackerflächen sind nicht willkürlich entstanden. Es handelt sich
um betriebswirtschaftlich optimale Sprunggrößen für
Getreidebauern, die sich aus der Dreifelderwirtschaft
ergeben. Zu jeder Hofgröße gehörte ein bestimmter Personal-
Vieh- Gebäude- und Ausrüstungsbestand. Siehe dazu Inventare.
Alle Steuerbeträge wurden nach dem Hoffuß berechnet. Ein
Ganzbauer zahlte den vollen Steuerbetrag. Die anderen leisteten
ihren Bruchteil davon. Nur durch Hofteilungen und Zusammenlegungen
kamen andere Bruchzahlen zustande. Ganz krasse Abweichungen findet
man in (München-) Aubing.
Der Hoffuß war im Ort allgemein bekannt und kann auch als Maß der dörflichen Sozialstruktur angesehen werden. Da eine Einheirat in ein Haus mit dem Erwerb des halben Miteigentumsanteiles verbunden war, wurde als Heiratsgut der halbe Anwesens-Wert erwartet. Daraus ergibt sich, dass überzählige Kinder die soziale Stufenleiter abwärts, aber niemals aufwärts heiraten konnten. Sozialer Abstieg ist also der Normalfall. Sozialer Aufstieg war ganz selten, etwa durch eine Erbschaft, möglich.
Die Familienforscher rollen die Ahnentafel zeitlich nach rückwärts auf. Der soziale Abstieg zeigt sich in den Ahnentafeln als sozial höhere Einstufung von weiter zurückliegenden Generationen. Auch wer mit seinen Vorfahren in der Hoffuß-Stufenleiter unten anfängt, wird bei jeder früheren Generation eine Stufe höher rücken. Größere Vermögen erforderten schriftliche Beurkundungen. Die vielen Urkunden erleichtern die Familienforschung.
Daraus folgert, daß immer weniger kleine Leute in den Ahnentafeln
auftauchen, je weiter man zurück forscht. Die Kinder niedrigerer
Sozialränge hatten weniger Heiratschancen und damit weniger
Nachkommen. Diese Familien sind im Laufe der Generationen
erloschen, während die höher rangigen Familien sich verbreiteten,
mit dem zwangsläufig damit verbundenen sozialen Abstieg.
(nur einmal, 1650, gab es für jeden eine Chance beim Wiederaufbau nach den Zerstörungen im
30-jährigen Krieg )
Von 1618 bis 1850 war die "Söldenbildung" verboten, das heißt, es wurde kein neues Baurecht ausgewiesen. Deshalb konnten keine zusätzlichen Häuser gebaut werden. Die Bevölkerung musste mit dem vorhandenen Baubestand auskommen. Die Zahl der Familien (damit auch die Gesamtzahl der Land-Bevölkerung) war gleichbleibend. Wer kein Haus erwerben konnte, durch Erbe, Einheirat oder Kauf, musste zwangsläufig ledig bleiben (siehe unten: Ledige).
Nach der totalen Zerstörung unseres Gebietes im Krieg 1632 und nochmal 1648 dauerte es bis 1720, bis alle Häuser des Vorkriegs-Bestandes wieder aufgebaut waren. Es gab also durchaus Gelegenheit zum Hauserwerb. Nur die Kinder der unteren sozialen Schicht konnten diese Gelegenheit mangels elterlicher Kapitalausstattung nicht nutzen, blieben ledig und kinderlos.
Eine Heiratsgenehmigung ohne Hausbesitz wurde selten erteilt und war an Formalitäten gebunden: Eine Hüteraufnahme (der Hüter oder Hirte betreute die Viehherde des ganzes Dorfes, war also Angestellter der Dorfgemeinde) verpflichtete die Dorfgemeinde, die Familie im Bedarfsfalle zu unterstützen. Andere Unbehauste, im heutigen Sinne Mieter, wurden nur geduldet, wenn sie Kapital oder eine anderweitige Existenzsicherung hatten, zum Beispiel als Beamte, Amtsleute (Polizei), Lehrer, Zolleinnehmer, Verwalter ("Baumeister") von Adels- oder Kirchengütern. Diese Personengruppe erscheint nur in größeren Dörfern. Sie erreicht in Haimhausen fast ein Drittel der Bevölkerung.
Von der Obrigkeit wurden die Unbehausten nicht gerne gesehen, denn sie entzogen sich einer Besteuerung.
Die Familienforscher haben auch ihre Not, wenn sie auf einen unbehausten Vorfahren stoßen (Zeit vor 1850). Infolge der hohen Fluktuation verliert sich leicht die Spur einer unbehausten Familie. Glücklicherweise kommen diese Problemfälle in den Ahnentafel selten vor, denn Kinder von Unbehausten kamen selten zu einer Heirat und Familiengründung. Ausführlicher zu diesem Thema: Inwohner .
Die Ledigen zählen in diesem Zusammenhang nicht. Der Ledigenstand wurde nur als vorübergehender Zustand angesehen. Die Ledigen lebten bis zu ihrer Verheiratung im Haushalt der Eltern oder der Arbeitgeber und zählen auch beim Arbeitgeber als "Ehhalten" zur Familie. Der Jahreslohn eines Knechtes betrug (vor 1800) um 10 Gulden, zusätzlich zu Essen, Wohnen und Arbeitskleidung. Ein einfaches Haus konnte ab 100 Gulden gekauft werden. Nach 10 Jahren eisernem Sparen war also ein Hauserwerb möglich. Die 10 Gulden Jahreslohn reichten andererseits nur für wenige Wirtshaus-Besuche.
Diese Gruppe der erwerbs- oder arbeitsunfähigen Personen muss es
wohl gegeben haben, da oft darüber geklagt wird. Eigenartigerweise
tauchen solche Personen in den Sterbebüchern der
ländlichen Pfarrbüchern sehr selten auf. Häufiger sind sie
wohl in Orten mit Sozialeinrichtungen (Spital oder Leprosenhaus,
siehe Krankenhäuser in der Liste der
Grundherren ) zu finden.
In den notariellen Quellen ist natürlich nur von Besitzenden die
Rede. Ein Besitzloser brauchte nichts verbriefen, auch keine
Erbschaft. Ein Armer konnte keine Urkunde bezahlen und bekam
im Straffall keine Geldstrafe, sondern Prügel und diese wurden vom
Gerichtsschreiber nicht verbucht, es sei denn, der
Amtsknecht bekam extra Honorar dafür.
Für die Versorgung von ledigen Invaliden war stets das Elternhaus zuständig. Deshalb werden die Kinder bei Besitzwechsel genannt und es wird ihr "Heimatrecht"-Anspruch beurkundet. Das Heimatrecht erlosch nie, selbst wenn ein Haus einen anderen Besitzer bekam, etwa durch Witwen-Heirat oder Verkauf.
Verheiratete Personen hatten, wie oben erläutert, stets Hauseigentum als soziale Sicherung. Sie konnten dieses im Invaliditätsfall, wenn keine Kinder vorhanden waren, gegen eine Altersversorgung ("Austrag") verkaufen.
In der intakten Dorfgemeinschaft gab es also keine Armen ! Selbst wenn ein Haus abgebrannt ist, wurde es notfalls durch die Dorfgemeinschaft wieder aufgebaut. Damit war die soziale Sicherung der Bewohner und Heimat-Berechtigten wieder hergestellt.
Es gab jedoch mehrere Fälle, in denen Hauseigentümer wegen Überschuldung verkaufen mussten und ihr Lebensende als Hüter im Gemeindehaus fristeten.
Bis 1900 kannte man statt des Begriffes "arbeitslos" nur das Wort "Müßiggang". Wer von einem Bauern etwas zum Essen wollte, musste dafür erst Arbeit leisten. Holz zu sägen oder hacken war immer vorhanden.
Die "Wanderschaft" der Handwerksgesellen war ein regulärer Lebensabschnitt nach der Lehrzeit. Noch nach dem 1. Weltkrieg war es durchaus üblich, auf die Walz zu gehen. Fragte ein wandernder Bäckergeselle bei einem Bäcker nach Arbeit, bekam er als Wegzehrung eine Semmel.
Thema der Datensammlung www.genealogie-kiening.de ist die hausbesitzende Landbevölkerung. Diese wird hier in der dörflichen Sozialstruktur eingestuft. Fluktuation kann aus technischen Gründen nur bis zu 2 Häusern dargestellt werden. Der besitzlose Teil der Bevölkerung ist derzeit (2007) noch ein ungelöstes Problem und nur in geringem Umfang erfasst.