Kiening: Genealogie im Gebiet nordwestlich von München

Tips für Ortsgeschichtsforscher

Im BLF-Informationsblatt 2001 Seite 189 und nochmal Seite 211 hat Herr Dr. Reitmaier zur Erstellung von Ortsfamilienbüchern aufgerufen und damit erfreuliche Zustimmung gefunden, die hoffentlich auch zu fertigen Ergebnissen führt. Im folgenden will ich eigene praktische Erfahrungen schildern.

Daß es möglich ist, nicht nur einen Ort, eine Pfarrei, sondern ein ganzes Gebiet (nennen wir es einen "Heiratskreis" ) genealogisch zu erschließen und zu veröffentlichen, habe ich mit meiner Datensammlung für das Gebiet Dachau gezeigt. Es kamen mir dabei günstige Umstände zu Hilfe: Die Nachlässe von Dr. Welsch und Dr. Hanke, beide Dachau. Viele engagierte Mitarbeiter helfen mit und treiben mich an.

Pfarrbuch-"Verkartung"

Darunter verstehe ich eine Zusammenstellung, jeweils eine Heirat, mit Kindstaufen und Sterbefällen dazu. Jede Familie steht auf einem Blatt A4 und alles ist zwangsläufig alfabetisch nach Namen, Vornamen, (Heirats-)Datum sortiert. Bei der Namenssortierung benützt man zweckmäßig ein "phonetisches Alfabet" (P wird B, T wird D usw.) und einheitlich nach Duden geschriebene Vornamen (nicht Hans, Joann etc.) Wichtig ist, daß nicht nur passende Pfarrbucheinträge "herausgepickt" werden, sondern alle Einträge enthalten sind. Paßt eine Taufe oder ein Sterbefall zu keiner Familie, muß eben ein weiteres Blatt angelegt werden.

Pfarrbucheinträge enthalten oft Hofnamen ("vulgo ...") und ab 1812 die Hausnummern. Diese sind ebenfalls sorgfältig zu notieren.

Tippt man das ganze fortlaufend ab und veröffentlicht es, so hat man ein Ortsfamilienbuch. Es hat große Ähnlichkeit mit dem Telefonbuch und ist genauso spannend zu lesen. Eine Fundgrube für den Familienforscher ist es auf jeden Fall. Wenn er die Namenssortierung begreift, findet er zuverlässig, was er sucht oder weiß, daß er am falschen Ort sucht. Das gilt zumindest für die Männer, denn die Ortsfamilienbücher sind nach den Namen der Männer sortiert. Sucht man nach Geburtsnamen von einheiratenden Frauen, so muss man  das gesamte Buch  durch lesen.

Bei den unehelichen Kindern gibt es Darstellungsprobleme, siehe Seite uneheliche Kinder

Ortschroniken

Es gibt eine ganze Reihe wunderschöner und lobenswerter Ortschroniken. Das Thema reicht vom Einödhof bis zur heutigen "Großgemeinde". Gemeinsames Merkmal dieser Bücher ist die Gliederung nach Häusern. Die Familienforscher benützen diese Bücher gerne, suchen aber nach Personennamen. Ist ein Namensregister vorhanden, dann blättern sie heftig zwischen Register und Text. Ist kein Register da, dann bleibt nur, das Buch von vorn bis hinten ganz genau nach dem gewünschten Namen durchzusuchen. Die vorhin geschilderten Probleme mit der phonetischen Namensschreibung gibt es natürlich auch hier.

Wege zur Häuser-Sortierung

Die Verfasser der Ortschroniken verraten  nicht, wie sie es gemacht haben. Schlimmstenfalls haben sie für jedes Haus das ganze Pfarrbuch durchgesucht.

Nehmen wir an, wie in meinem Fall steht eine alfabetische Familienzusammenstellung des Pfarrbuchinhaltes zur Verfügung, auf Einzelblättern und damit in sortierfähiger Form. Der erste Schritt der Pfarrbuch-Verkartung ist also getan. Dann brauchen Sie weitere Quellen. Das folgende gilt nur für Oberbayern..

Kataster von 1812

Das Dominikal- und Rustikalsteuer-Kataster von 1812 bis 1814 finden Sie im zuständigen Staatsarchiv. Es enthält zum Zeitpunkt der Erstellung : Ort und Hausnummer, Hofname, Vor- und Zuname des Hauseigentümers (nur der Mann), zuständiges Gericht und Grundherr (manchmal auch der geistliche Grundherr vor der Säkularisation), meist auch Datum des letzten Laudemiums (= Besitzerwerbsdatum). Die Angaben zu den Grundstücken, Steuern etc. werden meist ignoriert.

Dieses Kataster ist eine absolut zuverlässige Quelle. Darauf kann das gesamte Häuserbuch aufbauen. Es haben nämlich fast alle Häuser unverändert vom Ende des Mittelalters, mindestens seit Ende des 30-jährigen Krieges bis etwa 1860 bestanden. War die Bausubstanz verbraucht, so wurde das Haus an gleicher Stelle wieder neu gebaut. 1618 hat der Kurfürst die "Söldenbildung", heute sagt man Bauland-Ausweisung, verboten und das hat fast bis 1900 gegolten. Es kamen also weder Häuser dazu, noch sind welche verschwunden. Ganz wenige Ausnahmen bestätigen die Regel.

Zeit von 1812 bis heute

Um die Familien auf die Häuser zuzuordnen, genügen meist die Hausnummern in den Pfarrbuch-Einträgen. Sortiert man die Familienblätter dieses Zeitraumes nach Hausnummern, sollte sich eine logische und lückenlose Besitzerfolge ergeben. Ab 1860 kam es allerdings zu Hofteilungen, Flurbereinigungen, Zusammenlegungen. Läßt sich das nach dem Pfarrbuch nicht sinnvoll ordnen, steht mit den folgenden Katasterbüchern eine Quelle zur Verfügung, die alles ganz genau verzeichnet, jedes Einzelgrundstück. So genau will es der Orts- oder Familienforscher normalerweise garnicht wissen.

Zeit vor 1812

Dazu müssen Sie erst die Verwaltungsstruktur für Ihren Ort wissen. Am einfachsten steht das im "Historischen Atlas von Bayern". Ob es den Band für Ihr Gebiet gibt oder noch nicht: Sie sollten im Bayer. Hauptstaatsarchiv die Quelle anschauen, von der der Historischen Atlas abgeschrieben ist, nämlich die Steuerbeschreibung von 1760. Das folgende gilt nur für Gebiete, die vor 1800 oberbayerisch waren.

Steuerbuch 1760 bzw. Güterbeschreibung 1752

Sie enthält nicht nur, was im Hist. Atlas steht, ( Hofnamen, Hofgrößen (Bruchzahl des Hoffußes), Grundherren, zuständiges Gericht), sondern auch Vor- und Zunamen der Eigentümer. Diese brauchen Sie unbedingt. Vergleichen Sie Hofnamen, Hofgröße, Grundherrn etc. mit den Angaben im Kataster 1812 und sie können hier die Hausnummern zuordnen. Die Zahl der Häuser sollte gleich und alle Häuser sollten eindeutig zuzuordnen sein. Arbeiten Sie weiter mit den Hausnummern, nicht mit den Hofnamen !

Steuerbuch von 1671

Über dieses interessanteste aller Steuerbücher finden Sie eine ausführliche Anleitung. Es ist nur mit Anleitung verständlich, denn es enthält die Antworten auf 12 Fragen, jedoch ohne die Fragen. Hier stehen zwar keine Hofnamen, aber Hofgröße, Grundherren, Vor- und Zuname des Besitzers sowie Datum und Art des Besitzerwerbes.

Wieder können Sie mit den genannten Kriterien die Hausnummern zuordnen. Auch der Beruf ist nützlich, bei Müller, Wirt, Schmied und Mesner sogar eindeutig. Wenn Sie Glück haben, geht der Vergleich restlos auf. Orte mit bis zu 20 Häusern und mehreren Grundherrn lassen sich ganz gut zuordnen.

Besitzerfolgen

Bei eindeutigen Eckpunkten 1671, 1760 und 1812 läßt sich meist aus Familienblättern nach dem Pfarrbuch eine Besitzerreihe ermitteln. Wiederverheiratung von Witwen, Übergaben an Töchter, selbst ein Verkauf nach dem Tod des ersten Ehegatten und Hochzeit des Besitznachfolgers, reihen sich logisch und nahtlos aneinander. Verkäufe erfolgten häufig an nahe Verwandte. Es lohnt sich, die Geburtsnamen der Mütter und Frauen zu vergleichen.

Sollte ein etwa vorhandenes Familienbuch eines Pfarrers Ihren eindeutigen Zuordnungen widersprechen, so vergessen sie es, denn es ist falsch. Der Pfarrer hatte keine so guten Quellen wie Sie und hat meist einfach Familiennamen den Hofnamen zugeordnet.

Briefprotokolle

Bei mehreren gleichartigen Häusern in einem Ort führt die beschriebene Methode nicht zum Ziel: 1671 läßt sich nicht zuordnen, es bestehen keine durchlaufenden Besitzerfolgen in den Familien. Bei so schwierigen Orten hilft nur, die (hoffentlich vorhandenen) Briefprotokolle auszuwerten. Da stehen alle Besitzveränderungen, Übergaben, Witwenheiraten, Verkäufe, drin.

Achten Sie darauf, welches "zuständige Gericht" im Steuerbuch angegeben ist. Innerhalb der Land- (bzw. Pfleg-)gerichte gab es stets mehrere "Ämter". Die Briefprotokolle sind nach Ämtern gebündelt. Suche im falschen Amt ist zwecklos.

"Einschichtige" Untertanen findet man in den Briefprotokollen der angegebenen Hofmark, auch wenn diese weit entfernt ist.

Ich bearbeite Briefprotokolle zeitlich rückläufig, das heißt, ich beginne mit dem letzten Band, meist 1803, und nehme dann jeweils den Band davor. So kann ich die Funde gleich nach dem Kataster von 1812 zuordnen. Briefprotokolle sind bei einiger Übung nicht schwer zu lesen, denn der juristische Text ist genormt und immer wieder der gleiche.

Problemfälle

Es sei nicht verschwiegen, daß es schwierige Orte gibt. In Germering (bei München) war jedes Anwesen 1812 ein "Complex" aus etwa 3 Teilanwesen verschiedener Grundherren. Die Teilanwesen wurden in den 150 Jahren davor getauscht und verkauft. Trotz vorhandener Briefprotokolle haben es mehrere Forscher unabhängig von einander wieder aufgegeben, das zu entwirren. Meine Datensammlung enthält auch für Germering ein Häuserbuch, aber ich bin nicht sicher, ob die Häuserzuordnung immer  richtig ist.

Familienzuordnung

Die auf ein Haus zugeordneten Familien werden aus dem alfabetisch sortierten Paket entnommen und mit der Hausnummer versehen. Zeitlich geordnet ergeben sie die Haus- oder Hofchronik. Im Unterschied zu einem nach Namen sortierten Ortsfamilienbuch stehen die Familien hier in einer logischen Ordnung. Die Hauszuordnung ist zugleich eine soziale Einstufung, die sich aus dem Hoffuß ergibt. Mit Text ausgeschmückt, entsteht eine lesbare Geschichte.

Reste

Sind alle Hausbesitzer auf die Häuser der Pfarrei zugeordnet, bleibt ein Rest von den Pfarrbucheinträgen übrig. Die Ortsforscher lassen ihn stets unter den Tisch fallen, obwohl gerade das ein interessanter Personenkreis ist:

1. Auswärtige: Jedes Pfarrbuch enthält Einträge von Fremden, etwa weil die Nachbarpfarrei nicht besetzt oder die zuständige Pfarrei zu weit entfernt ist. Diese Leute lassen sich in den Nachbarorten ganz normal zuordnen. Solche Pfarrbucheinträge werden von den Forschern der Nachbarorte oft verzweifelt gesucht.

2. Inwohner: Das sind Familien ohne Hauseigentum, meist Hüter (Viehhirten), die oft den Wohnsitz wechseln. So ein Vorfahre ist eine Strafe für einen Familienforscher. Nur das beschriebene Verfahren der Hauszuordnung filtert diesen Personenkreis aus der Datenmenge heraus und ermöglicht eine überschaubare Darstellung der Inwohner. Genealogische Zusammenhänge ergeben sich erst, wenn Daten von mehreren (allen) Pfarreien eines Gebietes zur Verfügung stehen.

3. Taufen und Begräbnisse, die zu keiner Familie passen, lassen sich nur alfabetisch auflisten. Zufallsfunde gibt es bei selten vorkommenden Familiennamen.

Technik

Vom Computer war bisher nicht die Rede. Die vorstehenden Sortierungen und Zuordnungen lassen sich nicht maschinell vornehmen, sondern sind Tüftelarbeit, die Ortskenntnis und Gespür für die sozialen Zusammenhänge erfordert. Die Arbeit erfolgt zweckmäßig mit Einzelblättern, die auf einem großen Tisch nach Buchstaben oder Hausnummern verteilt werden.

Die fertig zugeordneten Familien erfasse ich im Computer mit meinem Genealogie-Programm. Neben den üblichen genealogischen Daten steht bei jedem Hausbesitzer eine eindeutige Nummer des Hauses und das Datum des Besitzerwerbes. Für das maschinell erzeugte Häuserbuch sortiere ich die Personendaten nach Hausnummer und Erwerbsdatum und reihe die Familien in dieser Folge. Zu einem Häuserbuch gehört natürlich ein ausführliches Namensregister, das neben Familiennamen auch Vorname und (Heirats-)Jahr enthält.

Das Namensregister zum Häuserbuch erschließt nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen nach ihren Geburtsnamen, ist also flexibler als ein "Ortsfamilienbuch".

Trotz allen geschilderten Schwierigkeiten macht es Spaß !

 

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(C) Josef Kiening, zum Anfang www.genealogie-kiening.de